Frauenfußball im Westjordanland: Sie wollen endlich weiterspielen
Durch den Krieg in Gaza pausiert auch der palästinensische Frauenfußball im Westjordanland. Ein Bericht aus Ramallah.
Der Krieg hat die palästinensische Fußballsaison gestoppt. „Es ist unklar, wie es weitergehen soll“, sagt Leen Qattawi, die Trainerin bei Sareyyet Ramallah im Westjordanland ist. Sareyyet Ramallah zählt zu den Spitzenteams im palästinensischen Frauenfußball. „Am 6. Oktober begann noch die Saison unserer U14-Juniorinnen. Wir haben zwei Spiele bestritten und gewonnen, aber natürlich hat der Palästinensische Fußballverband die Meisterschaft bis auf Weiteres ausgesetzt. Die Frauen sollten am 14. Oktober beginnen“.
Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der dadurch ausgelöste Krieg hat nicht nur den Sport im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland zum Erliegen gebracht. Qattawi berichtet: „Die Profiliga der Männer hier, deren Saison bereits im Gange war, wurde wegen der fatalen Situation auf den Straßen abgesagt. Soweit ich weiß, sind sechs Spieler getötet worden.“
Der Palästinensische Fußballverband führt bei den Männern zwei regionale Profiligen, die West Bank Premier League und die Gaza Strip Premier League. Die Aussetzung des Spielbetriebs beeinträchtigt auch die Teilnahme der palästinensischen Teams an internationalen Wettbewerben des Asiatischen Fußballverbands. Abgesehen davon, dass die Spieler derzeit ohnehin nicht ins Ausland reisen können, wird der palästinensische Fußball bestraft, weil die Kalendervorschriften der Fifa durch den Krieg nicht eingehalten werden können.
Bei den Fußballerinnen ist die Situation anders. Es besteht immerhin noch die Möglichkeit, dass deren Saison ausgespielt werden könnte. „In Palästina gibt es keine Profiliga für Frauen“, erklärt Qattawi. Der Spielbetrieb pausiere, die Saison sei aber nicht abgesagt worden. Denn die Saison ist nicht so lang wie die der Männer, die etwa acht Monate dauert und gemäß dem Fifa-Kalender an festgelegten Terminen beginnen und enden muss.
Existenz des Frauenfußballs steht auf dem Spiel
Momentan steht dennoch die Existenz des Palästinensischen Frauenfußballs auf dem Spiel. „Was jetzt im Gazastreifen geschieht, hat auch Auswirkungen auf das Westjordanland“, erklärt Qattawi, „wir sind das gleiche Volk und sehen uns der gleichen Brutalität durch die gleiche Besatzung ausgesetzt. Viele Menschen im Westjordanland wurden von den israelischen Streitkräften getötet, besonders in Dschenin und Tulkarem. Als der Krieg gegen den Gazastreifen begann, wurden auch die Straßen im Westjordanland zu einem Albtraum für alle Palästinenser.“
Qattawi berichtet, dass die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung, die ohnehin schon stark eingeschränkt war, noch weiter begrenzt wurde, und die Gefahrenlage größer geworden ist. „Palästinenser aus Jerusalem können nicht in das Westjordanland einreisen, und die wenigen Palästinenser aus dem Westjordanland, die eine Einreisegenehmigung für Israel haben, dürfen dort nicht mehr einreisen.“
Auch im Westjordanland sei es fast unmöglich, sich fortzubewegen. Sie sagt: „Zum Beispiel können Menschen, die in Dschenin leben, nicht nach Ramallah kommen, oder Menschen, die in Nablus leben, können nicht nach Hebron gehen, oder Menschen, die in Ramallah leben, können nicht nach Bethlehem gehen. Die Städte im Westjordanland wurden also abgeriegelt und der Verkehr zwischen ihnen verboten.“
Diese Situation betrifft die Spielerinnen von Sareyyet sehr, sagt Qattawi, insbesondere diejenigen, die nicht in Ramallah wohnen. „Meine beiden Spielerinnen, die in Jerusalem leben, Leen und Natal“, erzählt sie, „konnten seit dem 7. Oktober nicht mehr zum Training oder zu irgendeinem Freundschaftsspiel kommen.“
Schwierig zum Training zu kommen
Die 16-jährige Leen Khoury sagt, mit dem Krieg sei der Weg von Jerusalem nach Ramallah lang und gefährlich geworden. So sei es schwierig für sie, zum Training zu kommen. Der Krieg mache es ihr fast unmöglich, ihren Sport weiterzubetreiben. „Es ist unmöglich zu erahnen, was als Nächstes passieren wird.“
Qattawi berichtet, es gäbe viele ähnliche Fälle: „Rein, eine Spielerin unserer Mannschaft, wohnt in al-Ram, einer kleinen Stadt zwischen Ramallah und Jerusalem, in der Palästinenser mit israelischem Pass leben. Auch zwei andere Spielerinnen von außerhalb Ramallahs, eine aus einem Dorf namens Dura al-Qar und eine aus Yabrud, konnten nicht kommen.“
Einer sehr harten Realität ausgesetzt sind auch Spielerinnen, die in Flüchtlingslagern leben, erklärt Qattawi. „Ich habe vier Spielerinnen aus dem Flüchtlingslager Qalandia, das zwischen Ramallah und Jerusalem liegt. Sie waren mit vielen Problemen konfrontiert, da israelische Soldaten auf sehr brutale Weise in das Lager eingedrungen sind und Jugendliche töteten oder verhafteten. So konnten sie die meiste Zeit nicht zum Training kommen.“
Khoury, die in Jerusalem lebt, erklärt, dass Reisen nicht offiziell verboten sind, aber die Behörden immer wieder für unvorhersehbare Erschwernisse sorgen. „Es ist nicht unmöglich zu reisen“, sagt sie, „es ist nur schwieriger und dauert länger. Es ist schwierig geworden, in bestimmte Gebiete in Jerusalem und im Westjordanland zu reisen wegen etlicher Unsicherheiten. Es ist beispielsweise nicht vorhersehbar, wann die Kontrollpunkte geschlossen werden oder wann sie entscheiden, den Verkehr einzustellen. Aus diesen Gründen ist es fast unmöglich, am Training teilzunehmen.“
Im Training mit der Situation umgehen
Aber auch auf die Spielerinnen, die in Ramallah leben, wirkt sich die Kriegssituation spürbar aus. Qattawi erzählt: „Die meisten Spielerinnen leben hier, wie Jessica und Nai und die anderen. Sie kommen regelmäßig, aber wir mussten einige Trainings absagen, weil die israelischen Streitkräfte in die Stadt Ramallah einmarschiert sind und es für uns zu gefährlich gewesen wäre, rauszugehen.“ Der Versuch, das tägliche Leben aufrechtzuerhalten, während solch schockierende Ereignisse stattfinden, kann unerträglich sein, wie Leen ausführt: „Es ist extrem schrecklich, und die Tatsache, dass wir währenddessen weiter wie immer arbeiten, trainieren und unserem Alltag nachgehen sollen, gibt uns das Gefühl, dass unser Leben sinnlos ist.“
Als Trainerin ist es für Qattawi besonders schwierig, mit dieser Situation umzugehen, da sie sich auch für das menschliche Wohlergehen ihrer Spielerinnen verantwortlich fühlt. „Es ist gerade extrem schwierig für uns, die Mädchen zu trainieren“, sagt sie. „Sie sind psychisch sehr instabil, und es ist äußerst schwer für sie, mit all diesen Problemen und Herausforderungen zurechtzukommen. Vor allem wenn man bedenkt, dass ihre Altersgenossen in Gaza sterben oder nur knapp überleben.“ In diesem Zusammenhang versuchen Qattawi und Claudie Salameh, die auch Trainerin der Frauenfußballmannschaft von Sareyyet ist, verschiedene Strategien.
„Was den Fußball betrifft, so haben wir beschlossen, das Training so zu gestalten, dass es den Mädchen mehr Spaß macht und sie sich psychisch und physisch abreagieren können, da sie keine anderen Orte und Möglichkeiten dafür haben“, sagt Qattawi und fügt hinzu: „Der Fußball ist ein wichtiges Ventil für sie. Es ist jetzt sehr schwierig, sie zu trainieren und sich auf den Fußball zu konzentrieren, während so viel Schreckliches passiert.“
Khoury, die es oft nicht schafft, zum Training anzureisen, versucht trotz dieser dramatischen Situation ihr sportliches Engagement fortzusetzen. „Ich gehe immer noch ins Fitnessstudio und auf den Sportplatz, um ein wenig zu trainieren“, sagt sie. „Damit meine Einstellung und mein Spiel lebendig bleiben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen