Frauenbewegung in der DDR: Zwischen Filz und Punkrock

Im Frauen*bildungszentrum in Dresden treffen junge auf alte Feminist*innen – und streiten ziemlich produktiv. Besuch in einem Utopie-Workshop.

Eine Frau poliert ein Maschinenteil

Arbeit im real existierenden Sozialismus: eine Frau poliert ein Maschinenteil im VEB SKL Magdeburg, 1987 Foto: Imago/PEMAX

Kristina Krömer hält einen Briefumschlag in der Hand. Darauf ist eine Katze zu sehen, weil Katzen sie beruhigen. Im Umschlag steckt ein Bild, es zeigt einen Schraubendreher. „Das ist mein Utopie-Kit“, sagt die 38-Jährige. „Wir brauchen die richtigen Werkzeuge für unsere Utopie von einer gleichberechtigten ­Gesellschaft.“

An einem sonnigen Tag im Oktober sitzen neun Frauen im Gemeinschaftsraum eines Hausprojektes in der Dresdner Friedrichstadt zusammen. Das zweistöckige Haus ist rot, die Decken sind hoch, das Innenleben selbst gebaut. Es gibt Kaffee, Mate und Süßigkeiten, viele unterschiedliche Stühle, einzelne Nüsse hängen als Dekoration im Raum. Kristina Krömer – hellblonde, kurze Haare, Pumphose – nimmt am Workshop „Gemeinsam utopisch denken“ des AK.Unbehagen teil, eines feministischen Lesekreises aus ­Leipzig.

Organisiert hat den Workshop das Frauen*bildungszentrum Dresden (F*BZ). 1990 wurde das Zentrum von Aktivistinnen der Frauenbewegung der DDR gegründet. Seit 2015 leitet Krömer das Projekt gemeinsam mit Maria Steinhaus. Zum Thema Utopien haben sie 2019, im Jahr der sächsischen Landtagswahl, eine ganze Veranstaltungsreihe gemacht; es gab Gründe.

Eine der Teilnehmerinnen kommt zu spät, weil sie im feministischen Block der „Solidarität mit Rojava“-Demonstration war und Hooligans von Dynamo Dresden die Demo aufmischten. „Hier in Dresden feministisch aktiv sein ist anstrengend“, sagt eine andere. Sie sieht müde aus. Aber jetzt: die großen Fragen. Was ist das, ein gutes Leben für alle? Was passiert eigentlich mit den Männern nach der Revo­lution? Und ist Verzicht vielleicht ein Weg in die richtige Richtung?

Geschlecht nicht an Geschlechtsteilen festmachen

Im Workshop wird die Utopie zu einem Prozess. „Wenn es ein fertiges Bild gibt, in dem dann alle leben müssen, ist die Utopie schon gescheitert“, sagt eine Teilnehmerin. Eine andere erzählt davon, dass es in der DDR normal war, die Nachbarin nach einem Ei zu fragen. „Wenn ich hier in der Nachbarschaft nach einem Ei frage, kriege ich es auf den Kopf“, wendet eine andere ein. Von den Menschen hier in den Wohnhäusern und der Kleingartensparte fühlen sich viele Teilnehmerinnen nicht gern gesehen.

Die Protagonistinnen des Textes

Kristina Krömer (links) und Maria Steinhaus Foto: Anja Ecke

Nach einer Weile wird der Umgang mit Konflikten zum zentralen Thema der Überlegungen. „Utopie heißt ja nicht, dass alle gleich sind.“ Also wie kann man sie austragen, die Differenzen, ohne dabei zu zerbrechen?

Kristina Krömer und Maria Steinhaus kannten sich nicht, bevor sie die Leitung des F*BZ übernahmen. Die eine aus dem Saarland, studierte Politologin, die andere aus Schwerin, studierte Soziologin, beide um die 30 Jahre alt. Als sie vor vier Jahren anfingen, sprach das F*BZ eher ein älteres Publikum an, es gab Kreativ- und Begegnungsangebote in einem Schutzraum für Frauen. Die damalige Leiterin Barbara Feichtinger wollte nach fast 20 Jahren die Leitung an eine neue Generation abgeben. Die Neuen wollten gerne alles anders machen: das Haus partizipativ leiten, Geschlecht nicht an Geschlechtsteilen festmachen, intersektional arbeiten, das Haus als politischen Raum etablieren.

Kristina krömer

„Als ich hier ankam, habe ich vor lauter Filz und Ton gar nicht mehr durchgeblickt.“

Die Älteren fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Warum sollte Frausein plötzlich nicht mehr als Gebärfähigkeit definiert werden? Was ist so schlecht daran, einen reinen Rückzugsort für Frauen zu schaffen? Und was wissen die Jungen vom Leben der Alten?

Dresden war ein wichtiges Zentrum

Dabei gibt es viel zu erzählen. Etwa von der ersten großen Förderung 1991, als eine Vereinsfrau in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Dresden nach Bonn mit dem Auto fuhr, um den Förderantrag rechtzeitig abzugeben.

Dresden war ein wichtiges Zentrum für aktive Frauen in der DDR. Eine der Bekannteren ist Karin Dauenheimer. Sie gründete den AK Homosexualität in der Kirche, organisierte 1985 das erste alternative Frauenfest der DDR, in den Jahren danach folgten weitere. Die Themen waren „Lesbische Liebe in der Literatur“ oder „Die berufstätige Frau zwischen Job und Selbstverwirklichung“, jedes Mal kamen bis zu 300 Frauen. 1990 gründete Dauenheimer das Frau­en*­bil­dungszentrum mit.

Immer mehr junge Ostdeutsche entdecken auf ihrer Identitätssuche die feministische Literatur der DDR

Maria Steinhaus, 31, rote Haare, erzählt nach dem Utopie-Workshop spät am Abend: „Zwei Jahre lang ging es viel um Wertschätzung. Wir wollten verstehen, warum sich das Haus über die Jahrzehnte primär zu einem spirituellen Ort für Frauen entwickelt hatte. Für diesen Prozess brauchte es gegenseitiges Vertrauen, was Zeit braucht.“ Krömer ergänzt: „Als ich hier ankam, habe ich vor lauter Filz und Ton gar nicht mehr durchgeblickt. Aber die Frauen hatten früher Häuser besetzt und den Stadtrat gestürmt!“

Feministische Geschichte ist ein Spezialwissensgebiet, ostdeutsche feministische Geschichte ein noch spezielleres. Erst in den letzten Jahren wird die Frauenbewegung der DDR wiederentdeckt und erforscht.

Einerseits kommen einige Protagonistinnen von damals jetzt ins Rentenalter, in dem Zeit für Reflexion ist, für das Erzählen ihrer Geschichte, die untergegangen ist. So haben etwa Aktivistinnen der „Frauen für den Frieden“ im Oktober das Buch „Seid doch laut“ veröffentlicht. Darin erzählen sie ihre Geschichte, die Geschichte von sieben Frauen, die 1982 etwa 130 Unterschriften in Berlin und Halle sammelten und per Eingabe die Wehrpflicht für Frauen in der DDR verhinderten.

Andererseits entdecken jüngere Ostdeutsche auf der Suche nach Identität den literarischen Feminismus der DDR. Der AK.Unbehagen hat Christa Wolf gelesen, ihre Formung von weiblicher Subjektivität analysiert. Die Leipziger Schauspielerin Elisa Ueberschär liest regelmäßig aus „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann vor, aus der Geschichte einer jungen Architektin, die ­Wohnungen für den neuen Menschen bauen will. Sie knallt hart gegen die real existierenden ­Plattenbauten.

„Friede, Freude, Frauen(*) – ein Eiertanz?“

In Reimanns Erzählung zwischen Anspruch und Wirklichkeit fanden sich viele Frauen in der DDR wieder. Aus diesem Missverhältnis entstand in den 80ern eine Bewegung: Am 3. Dezember 1989 kamen 3.000 Frauen in die Berliner Volksbühne und gründeten den Unabhängigen Frauenverband der DDR. Die Bühne hatten sie mit Wäsche an Leinen dekoriert, die Nebenzimmer quollen von Kindern über. Sie wollten den Wandel in der DDR mitgestalten, stellten sich als Partei auf – und bekamen nur wenige Stimmen bei der Volkskammerwahl 1990.

Es war nur ein kleines Zeitfenster, in dem die vielen Frauengruppen der DDR an Mitgestaltung glauben konnten. Dann kamen die Neunziger. Der Streit mit den Westfeministinnen, die Arbeitslosigkeit, die Existenzangst. Viele Frauen schafften es, ihre Projekte zu retten, bekamen Fördergelder für Frauenhäuser und -zentren, die bis heute existieren. Die Web­sites vieler dieser Vereine sehen nicht mehr so frisch aus. Ganz im Gegensatz dazu die Seite des Frauen*bildungszentrums: kräftiges Pink, Sternchen, Gender Gap, visuelle Referenzen zu Kult-Punk-Band X-Ray Spex. Wie hat das geklappt, diese Transformation?

„Geholfen haben uns vor allem Ausdauer und das gemeinsam durchgeführte Festival F*“, erzählt Maria Steinhaus. Ein Festival zum „Feiern statt Fürchten“ im Mai 2018. Es sollte die Generationen zusammenbringen und war Teil eines moderierten Teamprozesses, den Steinhaus und Krömer angestoßen hatten. Die Einladung zum Festival wurde in zwei verschiedenen „Sprachen“ verfasst. Eine ist etwas differenzfeministischer für die Älteren, eine etwas queerer für die Jüngeren. In diesem Spagat bewegen sich Kristina Krömer und Maria Steinhaus. Sie sind damit zu einer wichtigen Schnittstelle in Dresden geworden – zwischen jungen linken Gruppen und etablierten Frauenhäusern.

Es wurde viel gestritten auf dem Festival und viel geteilt, die Lebenserfahrung der Alten, der Geschlechterpunkrock der Jungen. „In unserem Teamprozess platzte der Knoten, als allen Beteiligten klar wurde, dass es nicht um Schuld geht“, sagt Steinhaus. Jetzt könnten Differenzen markiert und mit Humor geklärt werden. „Frauenräume können gut nebeneinanderher existieren, ohne sich zu berühren. Aber wir brauchen gerade jetzt eine Vernetzung“, sagt Krömer. Zusammen mit ihrer Vorgängerin hat sie einen Workshop entwickelt: „Friede, Freude, Frauen(*) – ein Eiertanz?“ Sie wollen den Generationswechsel unterstützen. Hauptthema: der Umgang mit Konflikten. Die Werkzeuge dafür scheinen sie zu haben.

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