Frauen in Afghanistan: Kein Weg vorbei
Ein kompletter Boykott der Taliban würde den Frauen schaden. Wer den Afghaninnen helfen will, muss pragmatisch vorgehen.
J oe Bidens Rede zum Afghanistanabzug klang nüchtern. Am 31. August 2021 erklärte der US-amerikanische Präsident, dass der Einsatz eigentlich immer al-Qaida, nicht aber den Taliban gegolten habe. Al-Qaida hätte man besiegt, es wäre also Zeit, aus Afghanistan abzuziehen. Zwar hatte Biden kein „Mission Accomplished“-Banner hinter sich hängen, wie damals George W. Bush bei seiner Irakrede, die Andeutung stand dennoch im Raum.
Anders als behauptet, ging es beim Afghanistaneinsatz nie wirklich um die Befreiung der Frau. In ihrem Text „Frauen statt Taliban“ stellt die Soziologin Edit Schlaffer fest, dass Afghaninnen seit Jahrzehnten missbraucht werden, um Herrschaftsansprüche im Land zu legitimieren. Tatsächlich zierten Bilder leidender Afghaninnen, umrahmt von tiefblauen Burkas, seit dem 11. September 2001 immer wieder Magazincover, um zu zeigen: Der Westen muss diese Frauen befreien.
Mit dem Narrativ der Frauenbefreiung wurden auch Kriegsverbrechen gerechtfertigt. Drohnenangriffe auf Hochzeitsgesellschaften, das Erschießen unbewaffneter Zivilisten durch Spezialeinheiten und Foltergefängnisse gehören zum Erbe des „Kriegs gegen den Terror“. Bereits 2001 warnte die amerikanisch-afghanische Frauenrechtlerin Rina Amiri davor, Terrorbekämpfung mit dem Kampf für Frauenrechte zu vermischen. Man würde Frauen vor Ort einen Bärendienst erweisen. Amiri sollte recht behalten.
Heute assoziieren viele Afghanen das Wort Frauenrechte mit Krieg und Gewalt. Dabei würden mehr Frauenrechte die afghanische Gesellschaft nicht zerstören, sondern voranbringen. So paradox es klingt, ist diese einfache Wahrheit offenbar nicht nur vielen Taliban neu. Auch im Westen kann man diesbezüglich noch einiges dazulernen.
Die Taliban kontrollieren den Tisch
Während die Taliban verstehen müssen, dass es dem Land nur besser gehen kann, wenn es auch den Frauen besser geht, muss man im Westen lernen, dass es den Frauen nur besser gehen kann, wenn es auch dem Land besser geht. Man darf die Frauen nicht gegen den Rest der afghanischen Gesellschaft ausspielen. Das aber geschah in den letzten zwanzig Jahren zu häufig.
Obwohl Edit Schlaffer in ihrem Text gegen die Instrumentalisierung von Frauen argumentiert, fordert sie am Ende doch Ähnliches: „Frauen statt Taliban“. Schlaffer erklärt, dass afghanische Frauen vom Westen ignoriert würden. Man müsse ihre „geheimen Kanäle“ für den „Widerstand“ nutzen – wie das passieren soll, schreibt sie nicht.
Extremisten dürfen durch Verhandlungen nicht gestärkt werden. Im Fall von Afghanistan ist es jedoch zu spät, denn die Taliban muss man nicht an den Tisch holen: sie kontrollieren ihn bereits. Auch stimmt nicht, dass die internationale Gemeinschaft Exilafghaninnen ignoriert. Tatsächlich haben einige von ihnen gute Verbindungen zu westlichen Institutionen.
So berichtete jüngst der Guardian, wie sechs einflussreiche afghanische Frauen, darunter die Politikerin Fausia Kufi, weiterhin die Geschicke das Landes lenken. Dabei ist Kufi umstritten. Ihr werden seit Jahren Korruption und Verbindungen zu mafiösen Drogenhändlerringen vorgeworfen, auch von RAWA, der ältesten afghanischen Frauenorganisation. Solche Verbindungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen waren der Hauptgrund für den Zerfall der Republik.
Warnung vor großer Hungersnot
Auf Frauen wie Kufi zu setzen bedeutet, die alten Fehler zu wiederholen. Es ist nicht gelungen, einen funktionierenden afghanischen Staat zu schaffen. 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammten aus Entwicklungshilfegeldern. Als im August 2021 alle Zahlungen sofort stoppten, drehte man nicht nur den Taliban, sondern der afghanischen Bevölkerung das Geld ab.
Das IRC (International Rescue Committee) warnt, dass eine Hungerkatastrophe mehr Menschenleben als die letzten zwanzig Jahre Krieg kosten könnte. Derzeit sorgt das Internationale Rote Kreuz dafür, dass das Gesundheitssystem nicht komplett zusammenbricht. Einfluss im Land hat die Organisation nur, weil sie sich den Taliban gegenüber neutral verhält.
Die Bemühungen der Organisation Women for Afghan Women, ihre Frauenhäuser nach der Machtübernahme offenzuhalten, sind auch daran gescheitert, dass man den Taliban durch Verhandlungen keine Legitimität verschaffen wollte. Plötzlich mussten schutzsuchende Frauen in gewalttätige Familien zurückgeschickt werden oder sie landeten auf der Straße. Dort, wo Frauenhäuser nicht geschlossen wurden, operieren sie teilweise auch unter den Taliban weiter.
Je pragmatischer man mit den Taliban umgeht, desto mehr Frauenleben kann man retten. Edit Schlaffer hat Recht: Die Taliban sind keine monolithische Gruppe, gerade in Bezug auf Mädchenbildung. Vor wenigen Tagen hat in Kabul eine Frauenbibliothek eröffnet, die von den Taliban erst einmal geduldet wird. In ländlichen Regionen setzen sich sogar Dorfälteste immer mehr für das Recht der Mädchen auf Bildung ein.
lehrt an der Universität Duisburg-Essen britische Literatur, forscht zum Themengebiet Orientalismus, Männlichkeitsbilder und Afghanistan als Ort britischer Militär- und Kolonialgeschichte. Zudem arbeitet sie als freie Autorin für die taz, für Deutschlandfunk Kultur und andere Medien.
Die afghanische Organisation Pen Path dokumentiert diese Bemühungen, unterhält selbst ein von den Taliban geduldetes mobiles Schulsystem. Gerade weil es diese Schlupflöcher gibt, muss man die Kanäle zu den Taliban offenhalten. Schlaffers Vorschlag würde im schlimmsten Fall jedoch dazu führen, dass sich die Hardliner komplett durchsetzen. Mit den Taliban zu sprechen bedeutet nicht, ihr Regime als legitime Regierung anzuerkennen.
Es macht einen großen Unterschied, ob man sie – wie in der Vergangenheit – im Kampf gegen den IS unterstützt oder mit ihnen über Entwicklungshilfe und die Wiederbelebung der afghanischen Zentralbank verhandelt. Was viele vergessen: die Taliban haben Alternativen. Bereits heute bemühen sich China und Russland, ihren Einfluss in Afghanistan zu festigen. Nachdem wir den Taliban das Land und die Leute überlassen haben, bleibt uns also nichts anderes übrig, als weiter mit ihnen zu reden. Das ist die bittere Bilanz des Kriegs.
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