Französischer Kandidat Mélenchon: Der Letzte seiner Art
Der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon will Frankreich komplett umkrempeln. Er hat sich deshalb ziemlich gewandelt.
Mélenchon hat in Frankreich viele Fans. Wenn er spricht, sind die Hallen voll. Als exzellenter Redner erreichte er die Massen auch unter freiem Himmel, in Paris, Marseille, Toulouse. Und er machte etwas, was bisher noch niemand im französischen Wahlkampf gemacht hat: Er trat an mehreren Orten gleichzeitig auf. Die moderne Technik kam ihm da zu Hilfe. Während er in einer Stadt eine Rede hielt, konnten die Zuschauer in anderen Städten sein virtuelles Double bewundern.
Auch in den sozialen Medien war er sehr präsent und seine sehr guten Auftritte bei den TV-Debatten taten das Übrige: Nie waren seine Umfragewerte besser als jetzt, kurz vor dem ersten Wahlgang: um die 19 Prozent. Damit ist Mélenchon den beiden Favoriten – dem Mann der Mitte, Emmanuel Macron, und der Kandidatin der extremen Rechten, Marine Le Pen – dicht auf den Fersen.
Schon einmal schien er gute Aussichten zu haben, die Endrunde der Präsidentschaftswahl zu erreichen. 2012 war das, eine Woche vor dem ersten Wahlgang lag er in den Umfragen bei 17 Prozent. Nach einem halbgaren Wahlkampfendspurt landete er dann aber mit bitteren 11 Prozent der Stimmen nur auf Platz 4.
Fünf Jahre später ist die Situation eine völlig andere. Mélenchons Sprecher Alexis Corbière beschreibt das so: „Weite Teile der linken Wählerschaft schwankten damals zwischen uns und François Hollande. Am Ende hat sich die Mehrheit aus wahltaktischen Gründen für Hollande entschieden, um Nicolas Sarkozy zu verhindern.“ Dieses Mal ist es Mélenchon, der von der Taktik der Wähler profitiert – auf Kosten des Sozialisten Benoît Hamon.
Qui est qui ?
„Das unbeugsame Frankreich“
Die Sozialisten waren Mélenchons politische Heimat, lange saß er für sie im Senat, und unter Premier Lionel Jospin war er kurze Zeit auch Minister, von 2000 bis 2002. Wenige Jahre später kehrte er der Partei den Rücken und gründete 2008 die „Parti de Gauche“ nach dem Vorbild der deutschen Linkspartei; mit Oskar Lafontaine ist Mélenchon befreundet. Um 2009 bei der Europawahl anzutreten, bildete die neue Partei eine Allianz mit den Kommunisten, die „Linksfront“. Mélenchon zog ins Europaparlament ein.
Dann hat er alles über den Haufen geworfen, um eine neue „Bewegung“ zu gründen, dieses Mal der spanischen Podemos nachempfunden: „La France insoumise“, „das unbeugsame Frankreich“. Sie schwenken nun keine roten Flaggen mehr, sie singen auch nicht mehr die Internationale.
Entscheidender sind die Veränderungen, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Mélenchon verlässt sich nur noch auf wenige Vertraute. Der altgedienten Schwergewichte der radikalen Linken hat er sich entledigt, weil sie ihn nur behinderten. Auch wenn die Mitglieder sich angeblich online beteiligen können, entscheiden Mélenchon und sein engstes Umfeld in Wahrheit jetzt alles allein.
Die taz und die französische Tageszeitung Libération machen journalistisch gemeinsame Sache. Wir arbeiten erst zur Wahl in Frankreich und dann zur Bundestagswahl zusammen. Dieser Beitrag ist Teil der Kooperation.
Auf vielen Ebenen versucht Mélenchon nun, die Fehler zu korrigieren, die ihm vor fünf Jahren die nötigen Stimmen gekostet haben. Er hat seine Wutausbrüche und seine Müdigkeit besser im Griff. Außerdem war es für ihn wichtig, aus der Schublade „extreme Linke“ herauszukommen.
2012 hatte er noch ein Loblied auf die Mittelmeerregion und die Chancen von Multikulti gesungen. Das hatte ihn Stimmen gekostet, weil die Wähler, die eine radikale Position wählen wollten, Le Pen vorzogen. Seitdem spricht Mélenchon nun anders über die Einwanderungsfrage, mehrdeutiger. Mitunter klingt er dabei wie ein Rechtsextremer.
Im Juli 2016 behauptete er im Europaparlament, Arbeitsmigranten würden „dem Arbeiter vor Ort das Brot wegnehmen“. Angela Merkel hat er, der in Tanger in Marokko geboren wurde, dafür kritisiert, dass sie die Grenzen für syrische Flüchtlinge geöffnet hat. Er hat sich gegen ein Bleiberecht von Einwanderern ausgesprochen und schlägt als Lösung der Flüchtlingskrise schlicht das „Ende des Krieges in Syrien“ vor. Er begrüßt das Eingreifen der russischen Armee, ohne die Kriegsverbrechen in Aleppo anzuprangern oder Baschar al-Assad für das Massaker in Chan Scheichun zu verurteilen.
Aus seiner Haltung zu Europa macht er inzwischen keinen Hehl mehr. Offen spricht er vom Frexit, einem EU-Ausstieg Frankreichs „zusammen mit allen anderen Ländern, die das wollen“, falls Deutschland sich weigert, die Europäischen Verträge zu überarbeiten. Er will vor allem, dass die Europäische Zentralbank ihre Unabhängigkeit verliert und Staatsschulden komplett aufkaufen darf.
Indem er „die Kasten“ und „die Oligarchie“ anklagt, spricht Mélenchon verschiedene Wählerschaften an. Nicht nur die Linken. In den vergangenen Wochen hat der ehemalige Sozialist Mélenchon oft François Mitterrand zitiert, den er vor dessen Tod häufig traf, und auch den Gründungsvater der Fünften Republik, Charles de Gaulle. In dessen Tradition will Mélenchon den französischen Universalismus verkörpern. Diese Methode funktioniert.
32, ist Redakteur im Ressort Innenpolitik der Libération. Er schrieb ein Buch über Jean-Luc Mélenchon.
Zuletzt wandte sich Mélenchon dem Teil der Rechten zu, der von den Skandalen um den konservativen Kandidaten François Fillon verunsichert worden war. Er präsentiert sich als Intellektueller und zugleich als Mann der Tat, der nichts auf dem Kerbholz hat.
Bleibt nur die Frage, ob die Wähler das Risiko eingehen, einen Mann zu wählen, der wie einst Robespierre eine „Revolution“ ankündigt. Eine bürgerliche Revolution zwar, mit Wahlzetteln statt Waffen. Eine Revolution aber, die einen echten Bruch in der Geschichte Frankreichs verspricht.
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