Frankreichs Bildungsminister Ndiaye: Ein woker Schulstart
Der Historiker Pap Ndiaye ist Frankreichs erster Schwarzer Bildungsminister. Mit ihm hat Präsident Macron ein Signal gesetzt – die Rechte schäumt.
Vor seiner Ernennung leitete Ndiaye das Museum für die Geschichte der Immigration im Palais de la Porte Dorée. Dieser Ort der Begegnung der Zivilisationen am Pariser Stadtrand war 1931 für die letzte Kolonialausstellung gebaut und dann auf Wunsch des früheren Präsidenten Jacques Chirac in einer Geste der antikolonialistischen Wiedergutmachung seiner neuen Bestimmung übergeben worden. Dass Ndiaye vom „Palast der Goldenen Pforte“ nun an die Spitze des riesigen und grauen Ministeriums an der Rue de Grenelle wechselt, ist eine klare Botschaft des wiedergewählten Präsidenten Macron.
Denn Ndiaye prangert öffentlich den strukturellen Rassismus und die Benachteiligung von Minderheiten im Land an: Er träume davon, so Ndiaye, dass eines Tages die Hautfarbe nicht mehr zählt als die Augenfarbe, „aber heute ist dies nicht so“. Auch nicht an den Hochschulen: „Wenn wir wollen, dass die Forschung in Frankreich internationaler wird, müssen wir auch das berücksichtigen.“
Pap Ndiaye war Musterschüler
Ndiayes Vorgänger Michel Blanquer hingegen hatte der „Woke“-Kultur im Bildungswesen den Kampf angesagt und hinter antirassistischen und antikolonialistischen Forschungsarbeiten das Werk von „Islamo-Gauchistes“, also Islam-Linksradikalen vermutet. Vielleicht hat Blanquer auch seinen Nachfolger zur Gruppe dieser „Wokistes“ gezählt, denn nach einem Stipendienaufenthalt in den USA hatte dieser sich als Historiker als einer der Ersten in Frankreich mit den afroamerikanischen Black Studies beschäftigt und sich auch für die Politik der „positiven Diskriminierung“ zur Bekämpfung ungleicher Chancen von Kindern aus ethnischen Minderheiten ausgesprochen. Auch verurteilte er öffentlich Fälle von Polizeigewalt gegen Jugendliche in den Vorstädten.
Das allein reichte der extremen Rechten, um sich schockiert über die Nominierung eines ersten Schwarzen Bildungsministers zu äußern. Ndiaye sollte mit einer Flut übler Verleumdungen noch vor seinem Amtsantritt diskreditiert werden. Wollte Macron vielleicht mit der Beförderung eines Vertreters der „sichtbaren Minoritäten“, wie man in Frankreich ethnische Minderheiten politisch korrekt nennt, diesen notorischen Rassisten eine Falle stellen?
Eine Abgeordnete des rechtsextremen Rassemblement National, Hélène Laporte, malte den Teufel an die Wand: „Die Woke-Ideologie und die Beleidigung der Polizei wird nun in den Schulen unterrichtet!“, behauptete sie. Die Ex-Präsidentschaftskandidatin dieser Partei, Marine Le Pen, fühlte sich veranlasst, diese „fürchterliche Wahl“ des Ministers zu verurteilen. Und ihr rechtsextremer Rivale Eric Zemmour wollte sie, wie immer, noch überbieten. Er bezeichnet Ndiaye als Ideologen des „Indigenismus, als einen von Rassentheorien besessenen Wokisten“.
Keiner der drei hat wohl Ndiayes Buch „La condition noire“ (Der Schwarze Zustand) oder andere seiner Werke aufgeschlagen. Sie hätten womöglich zugeben müssen, dass seine Ansichten viel nuancierter sind als die angebliche Ideologie, die ihm unterstellt wird. Dass im Frankreich des 21. Jahrhunderts die Hautfarbe eines Ministers noch immer ein Thema ist, ist konsternierend für die Republik der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Ndiaye verteidigt in seinen Schriften den ursprünglichen emanzipatorischen Charakter der Republik.
Pap Ndiaye verdankt selber seine Karriere der Meritokratie des französischen Bildungssystems, das den Musterschüler*innen trotz ihrer Herkunft einen sozialen Aufstieg ermöglicht. Als Sohn eines Senegalesen und einer alleinerziehenden französischen Lehrerin wuchs er zusammen mit seiner Schwester, der mit dem Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichneten Schriftstellerin Marie Ndiaye, im Pariser Vorort Bourg-la-Reine auf. Dank seiner ausgezeichneten Noten durfte er die besten Schulen besuchen, in den USA studieren und die Pariser Eliteschule Science Po absolvieren. Auch in dieser Hinsicht ist er ein Symbol, auch wenn man in der linken Opposition den Verdacht hegt, dass er vielleicht für Macron eine Alibifunktion haben könnte – was bisher ebenso wenig belegt werden kann wie die polemischen Unterstellungen von rechts.
Reformversuche stoßen stets auf Widerstand
Der neue Minister hat die Karten seiner Schulreformen noch nicht aufgedeckt. Wird er, wie so oft die neu Ernannten, in diesem Ministerium alles umkrempeln, was die Vorgänger eingefädelt und manchmal noch kaum in die Wege geleitet hatten?
Das Ministerium mit seinen 900.000 Lehrerinnen und Lehrern, die sich regelmäßig über ihre Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung beschweren, bewegt und ändert sich nur im Zeitlupentempo. Nicht von ungefähr wird in Frankreich die éducation nationale, das öffentliche Schulsystem, „Mammut“ genannt.
Vorsintflutlich ist dieses zwar nicht, doch alle Reformversuche stoßen stets auf den Widerstand von vielen Seiten, der jede Modernisierung erschwert. In den Pisa-Studien gerät Frankreich im Vergleich zusehends in Rückstand.
Wegen der heftigen Vorauskritik zu seiner Nominierung wird für Ndiaye der Schulbeginn kommende Woche noch mehr als für seine Vorgänger zu einem Test. Bisher weiß man noch praktisch nichts über seine Pläne. Wird er von Blanquers Viertagewoche abrücken, die Lehrpläne weitgehend ändern, die von den Gewerkschaften geforderte und von Präsident Macron in Aussicht gestellten Gehaltserhöhungen durchsetzen?
Die Lehrerverbände geben sich noch zurückhaltend: „Emmanuel Macron wollte mit Ndiayes Nominierung sicher dem Bildungswesen eine Botschaft senden: ein Symbol für einen Wechsel, der eher in die gute Richtung geht. Aber man leitet die Erziehungspolitik nicht allein mit Symbolen, wir werden darum den neuen Minister nach seinen Taten beurteilen“, kündigt Sophie Vénétitay vom großen Verband der Mittelschullehrer*innen SNES-FSU an.
Am Freitag wird das Bild des neuen Ministers vielleicht etwas schärfer, dann gibt Ndiaye eine Pressekonferenz zum Schulstart. Als sicher gilt bislang nur, dass er die Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit in den benachteiligten Quartieren und Zonen fortsetzen oder noch verstärken dürfte. Falls dies nicht der Fall sein sollte, würde wohl doch schnell der Eindruck entstehen, dass seine Ernennung zum Bildungsminister nicht viel mehr ist als ein Alibi.
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