Frankfurter Buchmesse 2020: Das Netz ist kein Ersatz

Die Pandemie hat die Frankfurter Buchmesse, Verleger, Agentinnen und das Publikum ins Netz gezwungen. Lieber wären sie alle an einem Ort.

Meschen mit Masken lauschen sitzend einer Person, die nicht zu sehen ist.

Im Montez am Main stellt Richard David Precht während der Frankfurter Messe sein Buch vor Foto: Marc Jacquemin/Buchmesse Frankfurt

FRANKFURT taz | Traurig sei das alles anzuschauen, sagt die für die Frühschicht verantwortliche Barchefin des Frankfurter Hofs. Das geschmackvoll altmodische Hotel, das wie alle guten Hotels Klasse, Zurückhaltung und Diskretion, also ein Niveau von Service garantiert, das den Deutschen außerhalb ihrer Hotelinstitutionen oft fremd ist, war in der Zeit vor der Pestilenz die Homebase für Agentinnen und Verleger aus aller Welt. Der Frankfurter Hof war einer der Hotspots der Frankfurter Buchmesse.

Wäre alles wie zuvor, träfe man sich im Hof nun zum Gespräch und zum Tanzen. Die russischen Verleger buchten einen der großen Säle, eine Band spielte Hits von Daft Punk bis Grace Jones. Man könnte kurz vorbeischauen, ein Glas Wein trinken, ein bisschen vom Buffet essen, sich unterhalten und dann weiterziehen. Bis tief in die Nacht wäre die Bar gefüllt und im Hof des Hofs, der mit seinen klassizistischen Säulen nach draußen, zur Stadt hin respekteinflößend und einladend zugleich wirkt, würde getrunken und geraucht. Es würde getratscht, und es würde über Bücher geredet.

Jetzt ist die Tür der Bar zum Hof verschlossen. Drinnen sitzt ein Gruppe von vier Leuten an einem Tisch. Man spricht leise. Es herrscht gespenstische Ruhe im Hotel. Traurig sei das. Es fühle sich so an, als sei gar keine Messe, sagt die Barchefin, und sie hat recht.

Für die Hotels der Stadt, in denen man während der Messetage sonst kein freies Zimmer findet, ist die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr ausgefallen. Eine Messe unter Pandemiebedingungen, euphemistisch „Special Edition“ geheißen, ist auch für die Gastronomie und für die Taxifahrer keine Messe, sondern eine Katastrophe. Es ist nicht nur das Buchmessegeschäft, das im Jahr der Pandemie verloren ist. Auch eine Institution wie die Europäische Zen­tral­bank mit ihren rund 5.000 internen und externen Mitarbeitern lädt niemand mehr zu Besprechungen und Konferenzen nach Frankfurt ein. Die Stadt ist auf sich selbst zurückgeworfen.

Dabei ist die Frankfurter Buchmesse ein globales kulturelles Großereignis. Die Messeleitung hat aus der Not der Pandemie eine Tugend zu machen versucht und innerhalb weniger Monate ein Programm für Fachbesucher und interessiertes Lesepublikum zusammengestellt, das zum größten Teil im Netz stattfindet. Dafür habe es kein Vorbild gegeben, sagt Messechef Juergen Boos der taz. „An wem hätten wir uns orientieren sollen? Die Frankfurter Buchmesse ist die einzige Buchmesse auf der Welt, die so ausgeprägt den Rechtehandel hat, die ein Wirtschaftsfaktor und gleichzeitig ein Festival ist. Alle anderen Messen sind entweder das eine oder das andere.“

Wir verkaufen keine Schrauben

Für die Journalisten und das Publikum findet der Rechtehandel auch sonst hinter den Kulissen statt. Jetzt ist er vollständig in den virtuellen Raum verlagert. „Die Leute konnten sich in unterschiedlichen Formaten treffen – wir hatten schon vor Jahren etwas für den Rechtehandel gebaut, das mussten wir jetzt nur anpassen – bis hin zu einem virtuellen Barformat“, sagt Boos. „Das wurde moderiert, es gab einen Barkeeper und Musik. Die Leute haben sich in kleinen und großen Gruppen getroffen.“

4.400 Aussteller besuchten die virtuellen Meetings. In den ersten fünf Messetagen wurden 300.000 Titel in die Rechtedatenbank geladen. „Das hat alles wunderbar funktioniert“, sagt Boos. Aber klar geworden sei auch, dass das kein Ersatz für Begegnungen in Frankfurt sein kann. „Wir verkaufen keine Schrauben“, sagt Boos, „sondern Geschichten. Und um Geschichten zu verkaufen, musst du dich tatsächlich treffen.“ Das sehen auch Verleger und Agenten so: „Mir haben in dieser Woche Hunderte geschrieben, die gesagt haben: Bitte, bitte sorgt dafür, dass diese Buchmesse wieder stattfindet. Aber das liegt nicht an uns.“

Im Frühjahr hatte man noch gehofft, dass die Messe im Oktober in Frankfurt stattfinden würde. Im Sommer wurde klar, dass die Fachbesucher aus Amerika und Asien nicht kommen würden. Eine europäische Buchmesse sollte es nun werden, aber auch die großen deutschen Verlage sagten ab.

Wenigstens unter der großen Kuppel der Festhalle auf dem Messegelände sollte das Publikum sitzen dürfen, wenn auf der Bühne diskutiert wird, dachte man sich. Aber auch diesen Plan musste die Messeleitung am Montag fallenlassen. Frankfurt wurde zum Risikogebiet erklärt.

Medizincheck für Journalisten

Im Lauf der Woche stieg die Zahl der registrierten Infizierten weiter an. Die Inzidenz lag nun bei 70,9. Am Freitagmorgen hatte mir das automatisierte Reservierungssystem für meine Pressekarte eine Mitteilung geschickt. Ich möge ein Formular über meinen Gesundheitszustand ausfüllen. Die Mail hatte ich nicht gesehen, weswegen ich nun zum Medical Clearing gehen muss, bevor ich die Messehallen betreten darf.

Ein freundlicher Arzt befragt mich. Puls und Blutdruck werden gemessen, die Temperatur in beiden Ohren. Es ist alles in Ordnung, mein Ticket wird freigeschaltet, ich darf rein. Die Gänge, in denen man sonst Slalom laufen muss, wenn man es eilig hat, sind leer. Nur ein paar Mitarbeiter von der Sicherheit sind da.

Die Festhalle, die in diesem Jahr für größere Veranstaltungen genutzt werden sollte, ist ein beeindruckender Raum, besonders im Dunkeln, nur mäßig bestuhlt. Die meisten Stühle sind leer. Auf der Bühne sitzt Chilly Gonzalez, erst allein, dann in Gesellschaft seines Pianistenkollegen Malakoff Kowalski. Gonzalez hat ein Buch über Enya geschrieben, eine Musikerin, deren Qualitäten von der Kritik eher unterschätzt werden, um es vorsichtig auszudrücken.

Für Chilly Gonzalez ist seine Liebe zu Enyas Musik eine Chiffre. Cool wollte er früher sein, wie die halbstarken Indierocker um ihn herum. Jahre hat es ihn gekostet, zu seiner Vorliebe für Soft Rock und Jazz zu stehen, den „inneren BeeGee rauszulassen“. Vor Jahren sei er aufgefordert worden, ein Memoir zu schreiben, aber das konnte er damals nicht, sagt er. Jetzt aber, in der Auseinandersetzung mit Enya, kamen die Gedanken und die Sätze ganz von allein.

Kowalski, der eine begnadete Lesestimme hat, liest am Ende der Show aus Gonzalez’ Enya-Buch vor, dazu begleitet ihn Gonzalez, wie immer im Hausmantel und in Pantoffeln, auf dem Piano. Es ist ein schöner Moment und großes Entertainment. Die beiden Männer sind Profis, sie lassen sich nicht anmerken, dass sie vor einer leeren Halle sitzen.

Am Morgen, beim Frühstück, hatte ich ein Foto von Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann in der Zeitung gesehen, der im Römer Soldaten der Bundeswehr empfing. Das Gesundheitsamt bei der Coronabekämpfung unterstützen sollen sie. Ab 23 Uhr ist Sperrstunde in der Stadt, und es herrscht nun auch ein generelles Alkoholverkaufsverbot bis morgens um sechs. Auf der Zeil galt bereits Maskenpflicht, ab Montag muss im gesamten Innenstadtbereich einschließlich des Sachsenhäuser Mainufers eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden.

Das alles hält die Frankfurter aber nicht ab, zu den knapp 200 Lesungen und Diskussionen des „Bookfests City“ der Messe und der vom Kulturamt Frankfurt organisierten Reihe „Open Books“ zu kommen. Wenn es sein muss, dann sitzt man eben mit Abstand und mit Maske in der St.-Katharinen-Kirche, im Ratskeller oder im Montez am Main. „Angst ist bei Gefahren das Gefährlichste.“ Das schrieb Heinrich Heine in seinem Bericht über die Cholera in Paris im Jahr 1832.

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