Fotoausstellung im Haus am Kleistpark: Der Hund ist immer interessanter
Zehn Jahre lang fotografierte Anne Schönharting Menschen in Berlin-Charlottenburg in ihren Wohnungen. Zu sehen ist das Ergebnis in „Habitat“.
Allein die Einladungskarte zu Anne Schönhartings Ausstellung „Habitat“ im Haus am Kleistpark kann einen lange beschäftigen. Zu sehen sind darauf in einem edel, freilich etwas dunkel und antiquitätenlastig eingerichteten Wohnzimmer „Peggy und Bernd Skodzig“. Wobei es vor allem Peggy ist, die man sieht: einen riesigen grauen Irischen Wolfshund, der sich vor dem im Sessel sitzenden Bernd Skodzig aufgebaut hat.
Peggy stützt sich mit ihren Vorderpfoten auf den Knien ihres Herrn auf, wodurch dieser völlig hinter dem mächtigen Tier verschwindet. Der Hund schaut zur Seite, sein eindrucksvoller Kopf ist im Profil erfasst. Peggy wirkt gut gelaunt, scheint leicht zu lächeln – wie es sich eben gehört, wenn man fotografiert wird.
Wovon aber handelt diese Fotografie? Will sie Porträt-, will sie Interieur- oder will sie Milieustudie sein? Wie sehr inszeniert sie? Wie weit dokumentiert sie? Und ist es nicht cool, wie der Mann seinem Hund den Vortritt lässt in der Aufnahme? Wohl wissend, der Hund ist eh immer interessanter als der Mann? Der Hund jedenfalls wird gleich gegoogelt und erst danach der Mann, von dem sich herausstellt, dass er ein bekannter Bühnen- und Kostümbildner ist.
Und wie all die anderen Personen, deren Bilder nun in der Ausstellung wie in dem dort ausliegenden, schön gestalteten und sorgfältig gedruckten Bildband gleichen Titels zu sehen sind, lebt Bernd Skodzig in Berlin-Charlottenburg.
Charlottenburger Nachbarschaft porträtieren
Zehn Jahre lang porträtierte Anne Schönharting dort Menschen und ihre Wohnungen. Angefangen hatte es mit der Bitte, die C/O Berlin 2012 anlässlich des Umzugs vom Postfuhramt Mitte ins Amerikahaus am Bahnhof Zoo an die Mitglieder der Fotoagentur Ostkreuz richtete: Könntet ihr nicht für die Eröffnungsausstellung in den neuen Räumen die Nachbarschaft Charlottenburgs fotografieren?
Anne Schönharting, 1973 in Meißen geboren und seit 1999 Mitglied bei Ostkreuz, hatte also Lust, wie sie bei der Eröffnung sagte, sich die Bewohner:innen hinter großen erleuchteten Fenstern der Altbauwohnungen etwas näher anzuschauen. Es war der Beginn einer bis 2022 andauernden Reise in eine – man ist ja schnell geneigt zu sagen unbekannte, aber weil das nicht wirklich stimmt, wohl richtiger – ganz eigene Welt in dieser Stadt.
Das Leben in dieser Welt spielt stets in spektakulären Räumen, zeigt mondänen Luxus und stilsicheren, teils originellen Geschmack gepaart mit einigem Kunstsinn. In dieser Welt nimmt die Fotografin dann Loretta Würtenberger, Daniel Tümpel und ihre Tochter im Gegenlicht vor einem großen Altbaufenster auf, vor dem sie sich wie in einem Gemälde von Monet gruppieren.
Blickfang ist das exquisit schöne Kleid der Hausherrin, das in einer weiteren Fotografie einen großen Auftritt hat, in der Würtenberger von hinten beim Betreten eines Zimmers gezeigt wird, wobei sich die Querstreifen ihres Kleids mit den Stripes von Jasper Johns Flag an der Wand kabbeln. Die Klassenfrage ist also schnell geklärt.
Die Lust am Fell
Weniger schnell geklärt ist tatsächlich die Faszination der Bilder. In ihr zeigt sich die Kunst von Anne Schönharting. Ihrem besonderen Blick ist es zu verdanken, dass die Porträtierten nicht in dem Museum ihrer Bedeutsamkeit und des Zeitgeists erstarren, als das ihre Wohnungen zum großen Teil eingerichtet sind, mit all der kostbaren und/oder absolut zeitgenössischen Kunst an der Wand, den raumhohen, reich bestückten Bücherregalen, den Designerküchen, den Möbeln der klassischen Moderne wie Le Corbusier oder etwas geistreicher dem Midcentury von Finn Juhl, die endlich das elende Biedermeier verdrängen.
„Habitat“ ist bis 11. Dezember im Haus am Kleistpark zu sehen.
Buchvorstellung: Mittwoch 23. November 19 Uhr.
Der Katalog: Anne Schönharting, Habitat Berlin-Charlottenburg, Hartmann Books 2022. 160 Seiten, 85 Abbildungen, Text von Inka Schube, 68 Euro
Schönharting versteht die Lust am Fell, sei es am Hund, auf Bett oder Sofa und als Kleidung, die alle Bewohner Charlottenburgs zu teilen scheinen, und sie feiert diese Lust als altmeisterlichen Akzent im Bildaufbau. Sie honoriert den Großmut, mit dem die Beteiligten der Fotografin Einblick in ihren privaten Alltag gewährten, durch das Ergebnis besonderer, eigenartiger Bilder.
Denn ihre Charlottenburger Porträts sind nur als Bild und Komposition verständlich. Es verfängt nicht, sie psychologisch oder soziologisch zu lesen, da ist wenig Geheimnisvolles zu entdecken. Ansonsten haben die Stillleben aus dem Habitat Berlin-Charlottenburg aber einiges zu erzählen und geben manches Rätsel auf. Es braucht weniger Bourdieu, dafür mehr Bredekamp, sie zu verstehen.
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