Foto-Ausstellung im Münchner Stadtmuseum: Gebäude wie Planeten
Brutalismus ist nicht nur Ästhetik, die Architektur strebte auch lebenswerte Räume für viele an. Fotograf Eli Singalovski hält sie auf seinen Fotos fest.
Die Schwarzweißbilder des israelischen Fotografen Eli Singalovski sind Porträtaufnahmen, nicht von menschlichen Gesichtern, sondern von Gebäuden. In der Ausstellung „Sunbreakers“ im Münchner Stadtmuseum lässt sich gerade eine Auswahl jüngster Arbeiten des Fotokünstlers besichtigen, die der 38-Jährige größtenteils in seiner Heimatstadt Be’er Sheva und deren unmittelbarer Umgebung angefertigt hat.
Anders als die Kulturmetropole Israels, Tel Aviv, und deren Bauhaus-Architektur gilt Be’er Sheva mit seinen rund 200.000 Bewohner:innen am Rande der Wüste Negev nicht gerade als Hort auserwählter Baukunst. Doch wie Eli Singalovskis gestochen scharfe Digitalbilder zeigen, ist die abgeschiedene Stadt im Süden Israels ein architektonisches Highlight. Zumindest, wenn man Sinn für eine gewisse ruppige Form der Ästhetik besitzt.
Singalovski widmet sich in seiner Fotokunst nämlich den Bauten des Brutalismus, eines Architekturstils, der heftig polarisiert. In Israel und andernorts. Viele lehnen die wuchtigen Betonbauten ab. Bezeichnen sie als monströs, hässlich oder gar inhuman. Andere – davon zeugen zahllose architekturaffine Instagram-Accounts – feiern sie genau wegen ihrer selbstbewusst-kantigen Formensprache, die nichts beschönigt oder hinter Schnörkeln zu verbergen versucht.
Die Ausstellung SOS Brutalism des Frankfurter Architekturmuseums brachte es 2015 mit dem Slogan „Rettet die Betonmonster“ ziemlich treffend auf den Punkt. Häufig sind die vornehmlich in den 60ern und 70ern entstandenen Bauten heute restaurierungsbedürftig und viele ziehen es vor, sie einfach gleich abzureißen.
Brutalismus in Israel
Von Großbritannien und der Arbeit des Architekt:innen-Paars Alison und Peter Smithson aus hat der Brutalismus seine Spuren auf der ganzen Welt hinterlassen. Bei seinen Designs ließ sich das Paar von den modernistischen Großprojekten des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier leiten.
Als Erkennungszeichen Nummer eins des Brutalismus gilt jedoch der rohe, unverputzte Sichtbeton – das Material der Wahl vieler seiner Architekt:innen. Doch beim Brutalismus handelt es sich nicht nur um eine Ästhetik, um einen reinen Stil. Die klaren, freisinnigen Formen folgen immer auch dem Gedanken, möglichst lebenswerte Aufenthalts- und Wohnräume für eine große Zahl von Menschen zu schaffen. Seinen Niederschlag findet dieser Impetus in Sozialbausiedlungen weltweit.
In Israel ist der Brutalismus dann auch verknüpft mit dem zionistisch-sozialistischen Staatsprojekt, das seit der Staatsgründung 1948 einen stetigen Bevölkerungszuwachs erfuhr.
Für Eli Singalovski sind es die Bauten seiner Kindheit. Seine Familie wanderte aus Russland in die heutige Boomtown in der Negev ein. Die von ihm fotografierten Gebäude muten an wie Entwürfe von einem anderen Planeten. Und einer anderen Zeit. Großzügige Flächen treffen auf kühne Geometrien wie eine aus Polyedern aufgetürmte Synagoge, deren gestapelte Module auch die einer Raumstation sein könnten.
„Sunbreakers“. Stadtmuseum München, bis 30. Juli
Ein optimistisches Zukunftsbild
Eine medizinische Bibliothek sieht aus wie eine in der Wüste gelandete fliegende Untertasse. Der aus dem osteuropäischen Galizien nach Israel gelangte Architekt Arieh Sharon und sein Sohn Eldar hatten sie geplant. Arieh Sharon, ein wichtiger Vertreter einer Architektur der Moderne in Israel. Aus dreieckigen Grundflächen falteten die Sharons die Bibliothek zu einem flachen, geschlossenen Panzer, der von einer Rampe am Eingang jäh gebrochen wird.
Runde Bullaugenfenster und ein Schlüsselloch-Zugang lassen den kühnen Betonbau endgültig wie ein Spaceship aussehen. Doch wie die Dachschrägen auf einen Punkt zulaufen, erinnert auch an ein Zeltdach. Man denkt dabei an die Wüstenzelte von Beduinen, die in der Negev beheimatet sind. Trotz Ufo-Ästhetik sollte der Bau an diesem Ort kein Fremdkörper sein.
Die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, deren Anlass mitunter die 2022 ausgerufene Städtepartnerschaft der bayerischen Landeshauptstadt und Be’er Sheva ist, zeigt Singalovskis fotografische Arbeiten auf Wunsch des Künstlers ganz ohne Beschriftung. Man solle die größtenteils bei Nacht entstandenen Aufnahmen unvoreingenommen betrachten. Die lange Belichtungszeit lässt die abgebildeten Bauten unwirklich erträumt erscheinen.
Die brutalistische Architektur in Be’er Sheva erzählt von einer Zeit, in der ein optimistisches Zukunftsbild herrschte. Singalovskis hochaufgelöste Digitalbilder deuten aber auch eine mögliche Kritik an. In der detailreichen Aufnahme eines langgezogenen Sozialbaus zeigt sich, wie die Bewohner aus der Einförmigkeit der Megastruktur auszubrechen versuchen. Individuelle Erweiterungen und Anpassungen überwuchern hier die Klarheit der Architektur. Wer genau hinsieht, dem erzählen Singalovskis Bilder also auch eine mögliche Geschichte von morgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!