Forschungsförderung gegen Corona-Virus: Eine rein medizinische Task Force
Die Universitätsforschung im Kampf gegen Corona wird gestärkt. Sozialwissenschaftliche Ansätze aber bleiben auf der Strecke.

Demnach soll die Task Force, deren Gründung die Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) bereits am 26. März angekündigt hatte, weniger als schnelle medizinische Eingreiftruppe operieren denn als Organisationsteam zum Aufbau eines Netzwerks über alle Universitätskliniken in Deutschland hinweg. Informationen über erfolgreiche Behandlungen schwer kranker Corona-Patienten sollen auf diese Weise schnell und zuverlässig geteilt werden können. Geleitet wird dieses Team vom Vorstandsvorsitzenden der Berliner Charité, Heyo K. Kroemer. Nach heutigem Stand, hieß es aus dem Ministerium, beteiligten sich alle Universitätskliniken.
Weitere Einzelheiten über Zusammensetzung, Arbeitsweise, Erreichbarkeit und inhaltlicher Schwerpunktsetzung der Task Force sind auch zwei Wochen nach ihrer Ankündigung nur schwer in Erfahrung zu bringen. Die Strukturen der Koordinierungsstelle und des gesamten Netzwerkes befänden sich „derzeit im Aufbau“, teilte am Dienstag eine Sprecherin der Charité der taz mit.
Verfahrensweisen, Prozesse und Zuständigkeiten würden „so schnell wie möglich“ geklärt, zeitgleich würden „die Projektbeteiligten angesprochen“. Von besonderer Bedeutung sei „selbstverständlich die Nationale Task Force selbst“, doch müssten deren Details erst noch „zwischen Politik und Wissenschaft abgestimmt“ werden. „Sobald die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, werden die Partner des Netzwerks die Details veröffentlichen und Vertreter der Medien informieren“, versicherte die Charité-Sprecherin.
Soziale Fragen werden ausgeklammert
Klar scheint indes bereits jetzt zu sein: Andere als medizinisch-naturwissenschaftliche Fragestellungen sollen weitgehend auf der Strecke bleiben. Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung, das stellte der Sprecher des Wissenschaftsministeriums gegenüber der taz klar, „wird nicht Schwerpunkt der Arbeit des Nationalen Netzwerkes der Universitätsmedizin sein“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft habe jedoch eine Ausschreibung auf den Weg gebracht, „die sich auch an diese Disziplinen richtet“. Und auch das BMBF habe seinerseits einen Förderaufruf gestartet, an dem sich auch die Sozialwissenschaften beteiligen könnten.
Eine zweite Nationale Task Force, die sich rein sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfragen widmen würde, ist dagegen nicht geplant. Und mit einer luxuriösen 150-Millionen-Euro-Förderung, die das Ministerium gerade in die medizinisch-naturwissenschaftliche Corona-Forschung pumpt, dürften die sozial- und wirtschaftswissenschaftlich Forschenden auch kaum rechnen dürfen: „Aufgrund der unterschiedlichen Ansätze ist es nicht möglich, ein Finanzvolumen für diese Förderung anzugeben“, so der Ministeriumssprecher zur taz.
Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD), ein unabhängiges Gremium aus empirisch arbeitenden Wissenschaftlern sowie Vertretern öffentlicher Einrichtungen zur Datenerhebung, das die Bundes- und Landesregierungen seit 2004 zu Forschungsbedarfen der empirischen Sozial-, Verhaltens- und Wirtschaftswissenschaften berät, reagierte mit Unverständnis und Bedauern: „Bisher sind wir in die Task Force nicht eingebunden“, sagte der RatSWD-Sprecher Mathias Bug der taz.
Mathias Bug, RatSWD-Sprecher
„Wir sehen die Einbindung des RatSWD aber als einen zentralen Baustein, diese wichtigen Kopplungen zwischen medizinischer und sozialwissenschaftlicher Forschung zu bewerkstelligen.“ Auch die drohende finanzielle Benachteiligung der sozialwissenschaftlichen Forschung gegenüber der naturwissenschaftlichen Forschung bei der Vergabe von Fördermitteln und Forschungsaufträgen sei schwer erträglich: „Es ist nicht sinnvoll, Forschungsinitiativen aus Bord- oder Restmitteln zu steuern“, so Bug.
Bug regte in diesem Zusammenhang Langzeitstudien an, die die symptomlose Verbreitung des Coronavirus und die individuellen sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer Ansteckung untersuchen könnten. Zu empfehlen sei daneben, wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und seelische Folgen der Pandemiebekämpfung in Panel-Langzeitstudien zu erheben. „Einkommen, Bildungs- und Migrationshintergrund, Geschlecht und Alter dürften eine erhebliche Rolle für die unmittelbare individuelle Betroffenheit spielen“, so Bug. Erst wenn hierüber empirische Evidenz vorliege, sei „fundierte wissenschaftliche Politikberatung“ möglich.
Forschungsbedarf sieht der RatSWD daneben im Bereich der Schulschließungen und des digitalen Unterrichts. „Wir unterstützen mit Nachdruck die Forderung, dass auch die Nebenwirkungen dieser nicht-pharmakologischen Interventionen untersucht werden“, sagte Bug. Und schließlich gelte es, Faktoren zu erforschen, die das individuelle Verhalten in Haushalten beeinflussten, die Regeln während des Lockdowns zu befolgen oder nicht. „Für die Pandemiebekämpfung ist das kurz- wie langfristige Verhalten der Bevölkerung ausschlaggebend“, so Bug. „Hierüber wissen wir noch zu wenig.“
Das Wissenschaftsministerium investiert derzeit mehr als 300 Millionen Euro in die medizinische Bekämpfung von Corona. Hierzu zählt neben der Behandlung auch die Vorbeugung. Doch Erwartungen, dass man auf kurzem Wege zu einem Impfstoff gegen das Corona-Virus gelangen könne, dämpft das Ministerium derzeit. Ein Impfstoff müsse nicht nur wirksam, sondern auch sicher sein. Man werde keine Abstriche an Sicherheit und Wirksamkeit machen. Derzeit befinden sich erste Impfstoffe in der ersten klinischen Erprobungsphase. Diese Versuche können naturgemäß scheitern. Über die Aussage hinaus, dass ein Impfstoff frühestens 2021 zur Verfügung stehe, seien derzeit keine Voraussagen möglich.
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