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Forschung im ShutdownVideokästchen auf dem Bildschirm

Die Coronaforschung boomt in Deutschland. Doch viele andere Forschungsinstitute arbeiten nur noch in Minimalbesetzung.

Ein Sensor für ein Beatmungsgerät Foto: Bodo Schackow/dpa

Berlin taz | Die Welt der Forschung ist seit dem Ausbruch der Coronapandemie zweigeteilt. Während in den Laboren der Virologen und Pharmazeuten mit Hochdruck an wirksamen Vakzinen und Medikamenten geforscht wird, um der Seuche Einhalt zu gebieten, ist der sehr viel größere Teil des Forschungsbetriebes ebenso wie die akademische Lehre in den Shutdown gegangen. Wissenschaftliche Arbeit findet gegenwärtig überwiegend aus dem Homeoffice statt.

„Um einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken, hat das Forschungszentrum mit all seinen Standorten auf einen Basisbetrieb umgestellt“, heißt es aus dem Forschungszentrum Jülich, mit seinen 6.000 Wissen­schaftlern und Beschäftigen einer der großen Forschungsstandorte in Nordrhein-Westfalen. Durch die Nähe zum Corona­hotspot Heinsberg war man dort schon früh mit der Virusabwehr befasst, zudem auch zwei der Beschäftigten zu den Heinsberg-Infizierten zählten. So wurden Dienstreisen seit Jahresbeginn immer weiter eingeschränkt, die Kantine geschlossen, Veranstaltungen mit mehr als 40 Personen untersagt und schließlich der Basisbetrieb eingeführt.

Das bedeutet: „Wir arbeiten voll weiter und setzen alle Geschäftsprozesse so gut wie möglich fort, dies aber für einen begrenzten Zeitraum mit minimaler Präsenz auf dem Campus in Jülich und an den Standorten des Forschungszen­trums“, erklärt Pressesprecher Erhard Zeiss gegenüber der taz. Lediglich die „sicherheits- und sicherungsrelevanten Funktionen und Zentralen“ des Großforschungszentrums der Helmholtz-Gemeinschaft sind weiter besetzt. „Auch die Werkfeuerwehr, die Rufbereit­schaften und Strahlenschutz­ein­satzdienste bleiben im normalen Umfang bestehen.“ Der Zugang zum Campus und die Erreichbarkeit bleibe gewährleistet.

Wie die Forschung derzeit real abläuft, hat die Neuro­wissenschaftlerin Anna Geiger in ihrem Internet-Blog geschildert. „In unserem Institut, dem Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7), wurde bereits Anfang März das Homeoffice eingeführt“, schreibt die Forscherin, die mit 64 Kollegen am FZ Jülich Messungen der Hirnströme vornimmt, um die neuronalen Übertragungs­prozesse zu untersuchen. „Wir haben unser Institut vollständig digitalisiert, was glücklicherweise nur mit minimalen Kompromissen in Bezug auf Forschung und Betreuung verbunden ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungs­phase hat sich jeder mit der neuen Situation angefreundet.“

Reinraumlabor in Jena: Produktion von Sensoren für Beatmungsgeräte Foto: Bodo Schackow/dpa

Probanden können derzeit zwar nicht in den Computer­tomografen gelegt werden. Aber die Werte vergangener und anderer Messungen liegen vor und können im Zugriff auf den Zentralrechner des Instituts von zu Hause aus bearbeitet werden.

Jeden Dienstagabend treffen sich die Neuroforscher auf ein paar Drinks zu einer sozialen Videokonferenz

Was fehlt, sind die Kollegen. „Um einen sozialen Austausch zu ermöglichen, haben wir einen virtuellen Meetingraum namens INM-7-Küche eingerichtet, damit wir nicht auf unsere gemeinsame Kaffeepause verzichten müssen“, berichtet Anna Geiger. Jeden Dienstagabend treffen sich die Neuroforscher „auf ein paar Drinks zu einer sozialen Videokonferenz“, bei der man sich über die aktuelle Lebenssituation austauscht und versucht, „ein Stück Normalität zu genießen“. „Sogar unsere Institutsseminare können online abgehalten werden, was überraschend gut funktioniert.“ Bei mehr als 60 Personen verlangt dies jedoch erhöhte Diskursdisziplin.

Auch in den anderen Forschungseinrichtungen von Max-Planck, Fraunhofer, der Leibniz-Gemeinschaft und den vielen Laboren und Werkstätten in den Hochschulen regiert der Minimal- und Notbetrieb. Geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung ist momentan tendenziell im Vorteil, weil hier früher schon ein Gutteil der Kreativarbeit ortsungebunden erledigt werden konnte.

In Reinraumlaboren hingegen, wo sehr hohe Hygienestandards gelten, können Forschungsthemen in der Mi­kroelektronik weiter bearbeitet werden, teilt das Wissenschaftsministerium in Sachsen mit. „Besonders wichtig sind momentan medizinische Forschungsbereiche und die Weiterarbeit an Krebstherapien zum Beispiel, natürlich unter Beachtung der Hygiene­maß­gaben und im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten“, erklärt ein Sprecher des Dresdener Ministeriums.

So hat das Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU/Dresden) zusammen mit Neurochirurgen der Uniklinik Leipzig einen Prototyp für ein 3D-gedrucktes Notfall-Beatmungsgerät entwickelt. Am Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS/Dresden) werden mit verfügbaren 3D-Druckern Kopf- und Unterteile eines Gesichtsschutzvisiers hergestellt.

An der TU Berlin werden mit der gleichen Technik dringend benötigte Ersatzteile für die Beatmungsgeräte gefertigt. Das Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI/Leipzig) ist bei der Diagnostik von Infektionen mit dem neuen Coronavirus aktiv. Gesucht wird nach Verfahren, die bereits überstandene Infektionen mit Hilfe von Antikörpern erkennen, die gegen das Virus gebildet wurden.

Ernüchterung hat eingesetzt

Anderswo sind die Schotten dicht, etwa in Österreich. „Die Coronakrise hat massive Auswirkungen, weil wir nicht ins Labor können“, berichtet die Krebsforscherin Anna Obenauf, Gruppenleiterin am Institut für molekulare Pathologie (IMP) in Wien. „Es gibt einen Notfallplan, der umgesetzt wird: Zelllinien, Labortiere werden weiterhin betreut, aber es dürfen keine Experimente durchgeführt werden.“ Man versuche jetzt, die Zeit mit Literaturrecherchen zu überbrücken.

„Am Anfang dachte ich mir: Endlich viel mehr Zeit!“ Da konnte Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien, dem Shutdown noch eine positive Seite abgewinnen. „Inzwischen hat eine gewisse Ernüchterung eingesetzt.“ Die Interaktion in der Gruppe habe sich sehr verändert. „Wenn ich dieser Tage Seminare mit meinen Mitarbeitern und Kollegen abhalte, hat das ein ganz anderes Flair“, schildert Maulide in einer Sammel­beschreibung der Wiener Zeitung Der Standard. „Statt die Menschen persönlich zu treffen, sehe ich jetzt 25 kleine Videokästchen dichtgedrängt auf meinem Bildschirm.“

Auch die übergeordnete Ebene der Forschungspolitik ist von der neuen Lage betroffen, so etwa die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG), die bislang aus ihrer Bonner Zentrale mit 800 Beschäftigten jährlich über 2 Milliarden Euro an Forschungsgeldern in der deutschen Wissenschaftslandschaft verteilte. Nun läuft alles ganz anders, berichtet DFG-Präsidentin Katja Becker. Die DFG-Geschäftsstelle führt nun größtenteils vom Homeoffice aus die Antragsbearbeitung fort und lenkt die Finanzströme.

„Remote“ arbeiten auch die Gutachter, Fachkollegen sowie „die Mitglieder unserer Entscheidungsgremien, die Sitzungen nun per Telefon- und Videokonferenz absolvieren und Förderentscheidungen im schriftlichen Verfahren treffen“, so die neue DFG-Chefin, die sich für dieses Jahr eigentlich auf viele Jubiläumsfeierlichkeiten ihrer Organisation eingestellt hatte.

Damit Forschungsprojekte unter den widrigen Umständen nicht abbrechen und aufgegeben werden, hat die DFG Maßnahmen ergriffen, „um die finanziellen und zeitlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Projekte möglichst abzufedern“. Dazu zählt die „kostenneutrale Verlängerung haus­haltsjahrgebundener Projekte“ wie auch „Ausgleichs-, Überbrückungs- und Auslauf­finanzierungen“ oder die Verlängerung von Stipendien und Doktorandenverträgen. Weitere kostenwirksame Maßnahmen seien in Vorbereitung, stellt Becker in Aussicht – und spornt zum Durchhalten an. Denn. So die DFG-Präsidentin: „Auch nach dem Gipfel der Coronaviruspandemie wird es einige Zeit dauern, bis die Forschungs­prozesse wieder in normalen Bahnen verlaufen“.

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