Forscher über Lichtverschmutzung: „Gerade ändert sich viel“
Forscher Christopher Kyba erklärt, warum Zugvögel von Stromsparmaßnahmen profitieren. Und wie wir den Spaß an Licht neu entdecken können.
taz: Vom Pariser Louvre über den Berliner Fernsehturm bis hin zu zahlreichen Werbetafeln – in vielen Städten brennt durch die Energiesparmaßnahmen derzeit weniger Licht in der Nacht. Welche Auswirkungen hat das, Herr Kyba?
Christopher Kyba: Abgesehen von den offensichtlichen Auswirkungen, also dass wir Strom und Geld sparen, nimmt der Lichtsmog ab. Das ist aktuell sogar ein besonders gutes Timing: Wir kommen nämlich gerade in die Zeit, in der die Zugvögel ihre Reise nach Süden antreten. Und Zugvögel haben Probleme mit beleuchteten Fassaden – sie fliegen dagegen. Das bekommen die meisten Menschen gar nicht mit. Die Vögel ziehen nachts. Und selbst wenn da mehrere gegen Fassaden fliegen – bis sich Menschen über die toten Vögel auf dem Boden wundern würden, sind die längst von Füchsen oder anderen Raubtieren aufgefressen worden.
Kann man beziffern, wie viel weniger Licht gerade nachts in den Himmel gestrahlt wird?
Das ist leider gar nicht so einfach. Das liegt vor allem daran, dass wir noch nicht einmal wissen, wie viel Licht ohne die aktuellen Maßnahmen in die Atmosphäre gestrahlt wird. Das ist unheimlich schwer zu messen, weil es so viele unterschiedliche Lichtquellen gibt und diese in unterschiedliche Richtungen strahlen.
43, ist Physiker und forscht am Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum in Potsdam und an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich mit der Wirkung künstlichen Lichts bei Nacht.
Häufig werden Satellitenbilder dafür verwendet.
Ja, das kann man machen. Aber damit erfasst man nicht die Lichtglocke.
Was ist das?
Licht leuchtet in alle Richtungen. Das, was nach oben strahlt, wird zum Teil zurückgestreut, etwa von den Wolken, und strahlt wieder auf den Boden zurück. Diese Helligkeit ist aus großer Entfernung noch zu sehen. Wir haben also für die Organismen auf der Erde die Helligkeit der Lichtglocke plus die direkten Lichtemissionen. Was ebenfalls kaum erforscht ist, sind die Verursacher. Man kann sagen, dass die Straßenbeleuchtung, zumindest auf Großstädte bezogen, nur einen kleinen Teil des Lichts ausmacht, deutlich weniger als die Hälfte. Aber welchen genauen prozentualen Beitrag Werbetafeln liefern, Fassadenlichter, Flutlichter in Stadien, Bauwerkbeleuchtung, Licht aus Fenstern – das wissen wir nicht. Dabei wäre das elementar, wenn man Lichtsmog möglichst zielgerichtet verringern möchte.
Wie kann es sein, dass es nach all den Jahrzehnten darauf immer noch keine Antworten gibt?
Ich glaube, das liegt daran, dass die Folgen von Lichtsmog, aber auch von Kunstlicht im Allgemeinen für Menschen in der Regel unsichtbar sind. Was paradox ist, weil Licht ja sehr sichtbar ist. Aber nehmen wir die ans Fenster geflogenen Zugvögel: Wenn die morgens schon aufgefressen sind, nimmt niemand das Problem wahr. Andere Arten von Verschmutzungen sind viel einfacher zu bemerken: Bei Wasser weiß man, dass es blau sein sollte, und wenn es gelb ist oder grün, ist da ein Problem. Mikroplastik können wir messen. Müll sehen wir, wenn er auf der Erde liegt. Selbst Luftverschmutzung sehen oder riechen wir häufig.
Macht das Licht nicht auch etwas mit den Insekten?
Ja, dass Insekten ein Problem haben mit dem ganzen Licht, das ist noch einigermaßen wahrnehmbar, wenn man sieht, wie sie bei Dunkelheit ständig in die Lampen fliegen. Aber was man eben nicht sieht: Sie tun dadurch andere Dinge nicht. Sie suchen keine Nahrung, sie paaren sich nicht. Kunstlicht ist – neben Pestiziden und abnehmender Artenvielfalt – eine Ursache für das Insektensterben.
Gewöhnen sich Organismen an das in Großstädten ja nun schon so lange permanente Licht?
Für die Evolution ist das ein extrem kurzer Zeitraum. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir stark unterschätzen, wie groß der Einfluss des Kunstlichts auf Organismen aller Art ist. Es gibt Berichte, die beschreiben, welche Massen an toten Insekten Forscher unter einer einzigen Lampe gefunden haben, als es vor mehr als 100 Jahren losging mit der elektrischen Beleuchtung.
Sie haben vorhin gesagt, Zahlen sind schwierig, aber es gibt sogar eine Zahl aus Ihrer Forschung: Satellitenbildern zufolge wird es pro Jahr etwa 2 Prozent heller auf der Erde. Gibt es mehr leuchtende Flächen oder leuchten die vorhandenen Flächen heller?
Das stimmt. Wir haben Daten aus den Jahren 2012 bis 2016 ausgewertet. Dabei haben wir zwei Dinge gesehen. Erstens: Die beleuchtete Fläche wuchs um etwa 2 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig wurden die Orte, die schon beleuchtet waren, um jährlich 2 Prozent heller.
Wie lässt sich dieser Trend stoppen?
Momentan sind wir in einer Phase, wo sich viel ändert – und es könnte in beide Richtungen gehen. Einerseits wird Beleuchtung immer noch effizienter. Häusergroße Werbetafeln waren noch vor 100 Jahren fast nicht existent – weil sie extrem aufwendig und energieintensiv waren. Jetzt sind sie zu vergleichsweise geringen Kosten realisierbar. LEDs waren da ein echter Gamechanger. Andererseits kommt langsam bei der Bevölkerung und in der Politik an, dass Lichtsmog ein Problem ist. Aber eben nur langsam.
Es gibt zum Beispiel zwei US-amerikanische Städte, Cheyenne und Flagstaff. Beide sind sehr ähnlich, was die örtlichen Gegebenheiten, die Bevölkerungs- und Infrastruktur angeht. Aber die eine hat Regeln zu Licht und die andere nicht. Was man sieht und messen kann: Der Himmel über Cheyenne ist über zehnmal heller als der über Flagstaff, wo es Regeln für den Umgang mit Licht gibt.
Regeln helfen also?
Na ja, es kommt darauf an. Es gibt zum Beispiel eine EU-Regelung zur Straßenbeleuchtung. Deutschland hat sie nicht umgesetzt, zum Glück. Denn diese Regelung sieht eine Mindestbeleuchtung vor – und keine Höchstbeleuchtung. In den Ländern, die die Regeln umgesetzt haben, ist es daher heller.
Also was könnte denn nun tatsächlich helfen?
Bevor wir eine Beleuchtung installieren oder nutzen, sollten wir über vier Punkte nachdenken: Wer braucht sie? Zu welcher Uhrzeit? Wie viel Licht ist nötig? Und wohin soll es strahlen? Es geht nicht darum, Licht, das wir etwa aus Sicherheitsgründen brauchen, abzuschalten. Aber ein Negativbeispiel sind digitale Werbetafeln. Die leuchten etwa an Bushaltestellen rund um die Uhr, auch wenn die Haltestelle gar nicht angefahren wird.
Städte, Werbetreibende und alle anderen Akteure sollten sich auch dessen bewusst werden: Was alltäglich ist, wird langweilig. Ein Bauwerk, eine Sehenswürdigkeit, die 365 Tage im Jahr beleuchtet ist – keine Attraktion. Aber das gleiche Bauwerk 360 Tage im Jahr nicht beleuchtet und 5 Tage schon – das ist eine Attraktion. Oder: Fassadenbeleuchtung brauchen wir nicht jeden Abend – aber vielleicht Freitag und Samstag. Das ist eine andere Art, das Licht zu nutzen. Denn Licht macht ja auch Spaß. Und diesen Spaß sollten wir wiederentdecken.
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