Formale Hürden: Baubremser ausgebremst

Die Bezirke lehnen Bürgerbegehren gegen große Flüchtlingsunterkünfte ab, weil sie sich nicht gegen Bezirks-, sondern Landesbeschlüsse richten würden.

Auch die Volksgesetzgebung muss administrative Hürden überwinden Foto: Daniel Reinhardt (dpa)

HAMBURG taz | Sechs Hamburger Bezirke haben am Dienstag wortgleich die bei Ihnen eingereichten Bürgerbegehren gegen Unterkünfte für mehr als 300 Flüchtlinge für „unzulässig“ erklärt. Die Bescheide wurden am Nachmittag an den Dachverband der „Initiativen für eine gelungene Intergration“ verschickt. Ihre Ablehnung begründen die Bezirke vor allem damit, dass die bezirklichen Begehren gegen mehrere Senatsbeschüsse opponieren, statt sich wie erlaubt nur um Bezirksbeschlüsse zu kümmern.

Der Senat hatte im Oktober beschlossen, in jedem der sieben Bezirke der Stadt bis Ende 2016 rund 800 Wohnungen pro Bezirk für die Folgeunterbríngung von insgesamt 28.000 Flüchtlingen bauen zu lassen. Dabei sollen „auch deutlich größere Einheiten als 300 Flüchtlinge pro Wohnungsbauvorhaben“ möglich sein, heißt es in einer Erklärung des Bezirksamtes Nord.

Dagegen geht der Dachverband bereits mit einer stadtweiten Volksinitiative an, die aber die Planungen nicht aufhält. Die bezirklichen Bürgerbegehren hingegen würden dem Initiativzusammenschluss bereits nach der Sammlung weniger Tausend Unterschriften pro Bezirk ein Bau-Moratorium bis zur Entscheidung bescheren. Damit würden die Senatspläne zumindest auf der Zeitachse gegenstandslos werden.

In Wandsbek etwa wurden bereits am Montag laut Initiativ-Sprecher Klaus Schomacker 4.049 Unterschriften gegen Großunterkünfte abgegeben, fast doppelt so viele, wie für ein Bürgerbegehren und damit ein Moratorium notwendig wären. Hamburgweit haben die Initiatoren der Begehren nach eigenem Bekunden in der vergangenen Woche bereits mehr als Zehntausend Unterschriften gesammelt. Der Initiativenverbund gegen Großunterkünfte will gegen die bezirkliche Ablehnung vorgehen.

Die Volksgesetzgebung in Hamburg wurde 1996 als Element der direkten Demokratie eingeführt. Ihre Elemente sind:

Volksinitiative: Gegen Beschlüsse von Senat und Bürgerschaft, zugleich erster Schritt zum Volksbegehren.

Volksbegehren: Notwendiger Schritt zur Durchführung eines Volksentscheids, muss von mindestens fünf Prozent (gut 60.000) HamburgerInnen unterstützt werden.

Volksentscheid: Beim Volksentscheid stimmen die wahlberechtigten BürgerInnen direkt über das Anliegen eines Volksbegehrens ab. Sie können dabei nur mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen.

Auf Bezirksebene können analog Bürgerbegehren und Bürgerentscheide durchgeführt werden. Sie haben den Rang eines Beschlusses der Bezirksversammlung und binden Senat und Bürgerschaft nicht.

Acht erfahrene Juristen hätten den Text der Bürgerbegehren vorab geprüft, darunter auch zwei Richter, sagt Schomacker. Er ist überzeugt, dass ein Widerspruch gegen den Stopp der Bürgerbegehren erfolgreich sein wird. Darüber muss nun binnen zehn Tagen die Finanzbehörde entscheiden, die die Aufsicht über die Bezirke hat. Bestätigt sie den verhängten Stopp der Begehren, bleibt den Gegnern der Großunterkünfte nur der Gang vor das Verwaltungsgericht.

Doch darf das Volk mit unterschiedlichen Instrumenten gleichzeitig im Bezirk und auf Landesebene gegen die Baupläne vorgehen? Der Verein „Mehr Demokratie“ hält sich bei der Bewertung bedeckt. „Diese Rechtsfrage ist etwas unübersichtlich“, sagt Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“. Aus seiner Sicht gibt es „keine saubere Trennung zwischen der Landes- und der Bezirksebene“.

Es müsse aber differenziert werden zwischen der Flüchtlingspolitik aus Stadtstaatsebene und Bebauungsplänen, so Brandt. Letztgenannte fielen in die Kompetenz der Bezirke und seien deshalb mit Bürgerbegehren angreifbar, die aber für Senat und Bürgerschaft nur „empfehlenden Charakter“ hätten.

Die Ablehnung zeige, dass dem Senat „nicht an einer inhaltlichen Einigung mit der Initiative gelegen ist, sondern lediglich an einer schnellen Abwicklung der Begehren“, sagt die FDP-Fraktionschefin Katja Suding: Das Vorgehen führe zu Verdrossenheit. Stattdessen müsse der Senat endlich offenlegen, wie viele „Expresswohnungen“ genau an welchen Standorten geplant seien. „Die Menschen haben ein Recht zu erfahren, wie es konkret weitergehen soll.“

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