Flüchtlinge werden verteilt: Volksentscheid abgewendet

Die Hamburgische Bürgerschaft hat den Kompromiss zur Unterbringung von Geflüchteten durchgewunken. Künftig werden Schutzsuchende dezentral wohnen.

Hat ihren Zweck erfüllt: die Parole gegen Großunterkünfte in Hamburg. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Die Hamburgische Bürgerschaft hat am Mittwoch mit rot-grüner Mehrheit und Unterstützung der Linken den mit dem Initiativen-Dachverband „Hamburg für gute Integration“ (IfI) ausgehandelten Kompromiss zur Flüchtlingsunterbringung verabschiedet. Mit dem Kompromiss, der elf sogenannte Bürgerverträge mit lokalen Initiativen beinhaltet, ist ein drohender Volksentscheid über die Unterbringung von Geflüchteten vom Tisch, der nach Auffassung aller Beteiligten die Stadt gespalten hätte. „Das hätte zur Mobilisierung eines rechten Mobs und zu einem Klima geführt, in dem Integration nicht gedeihen kann“, begründet Christiane Schneider von der Linken die Zustimmung ihrer Fraktion zu dem Kompromiss.

Der Kern der Vereinbarung lautet: Es soll mehr, dafür aber kleinere Folgeunterkünfte für Geflüchtete in Hamburg geben. Die Anzahl der Folgeunterkünfte soll von heute 150 auf bis zu 300 aufgestockt werden und keine Unterkunft soll langfristig mehr als 300 Menschen beherbergen. Zudem wurden die Integrationsmaßnahmen im Bereich Kinderbetreuung, Bildung und Arbeitsmarkt aufgestockt.

Es gibt nur wenig inhaltliche Kritik an dem Papier. „Die Stadtteile, in denen es keine Initiativen gibt, die ihre Interessen in den Kompromiss einfließen ließen, werden die Verlierer sein“, befürchtet allerdings die Vize-Fraktionschefin der CDU, Karin Prien, und hat diese auch schon lokalisiert: „Die zukünftige Verteilung geht zu Lasten der ohnehin stark belasteten Stadtteile.“ Es seien vor allem die begüterten Regionen Hamburgs an Elbe und Alster, wo starke Initiativen entstanden, die mit am Verhandlungstisch gesessen und dort ihre Interessen hätten durchsetzen können.

Besonders von den vor Ort tätigen Flüchtlingsinitiativen, die sich um praktische Hilfe für die Schutzsuchenden sowie deren Integration kümmern, kommt massive Kritik an dem Vorgehen der IfI. „Die Initiative hat den Senat mit der Drohung, die Stadt durch einen Volksentscheid zu spalten, schlicht erpresst“, findet etwa Theresa Jakob von der Initiative „Refugees welcome – Karoviertel“.

Ihr Mitstreiter, der Arzt Michael Siassi, kritisiert, dass der Senat mit der Nicht-in-meinem-Vorgarten-Fraktion verhandelt, die „bislang nichts Konstruktives zur Diskussion beigetragen“ habe. „Volksdemokratie heißt nicht, mit demokratisch in keinerlei Weise legitimierten Organisationen in Hinterzimmern politische Weichenstellungen zu treffen“, sagt Siassi. „Das ist eine komplette Bankrotterklärung der Politik und ein Tritt vors Schienbein all jener, die sich seit Jahren für Migranten engagieren und Inte­gration leben.“

Auch die Abgeordnete der Grünen, Stephanie von Berg, räumt ein, dass „der Eindruck bleibt, dass mit denen verhandelt wird, die sich lautstark artikulieren“. Sie lobt aber gleichzeitig den „großen Anteil an zukunftsweisenden Integrationsmaßnahmen, der in dem Antrag enthalten ist.“

Prien hingegen spricht von einem „dunklen Tag für die parlamentarische Demokratie“. Am Dienstag hätte Rot-Grün den Bürgerschaftsabgeordneten „150 Seiten Vertrag vor die Füße gekippt, über den sie nur einen Tag später endgültig abstimmen sollten“. Eine qualifizierte Beratung des Schriftstücks sei innerhalb dieser Frist nicht möglich, eine Zustimmung der CDU deshalb nicht denkbar. Nur aus Respekt vor der Initiative habe sich ihre Partei enthalten, sagt Prien.

Die FDP hingegen lehnte den Antrag ab. Ihre Chefin Katja Suding sah in dem Schnellverfahren einen „Anschlag auf die Demokratie“. Ihre Fraktion beantragte eine Sondersitzung in der Sommerpause der Bürgerschaft für die Beratung des Kompromisses, den Suding eine „wachsweiche Angelegenheit“ nennt. Die Mehrheit der Abgeordneten aber wollte für Suding den Urlaub nicht unterbrechen und votierte gegen die Zusatzsitzung in den Ferien.

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