Ford-Produktion in Saarlouis: „Belogen, betrogen und verarscht“
Der Autohersteller Ford will seine E-Fahrzeuge in Spanien bauen. Für die Beschäftigen und das Saarland wäre das ein Desaster.
Damit ist die Zukunft des größten Arbeitgebers in einer strukturschwachen, vom industriellen Wandel gebeutelten Region ungewiss. Das Unternehmen hat zwar Konzepte für den Erhalt von Arbeitsplätzen und für die künftige Nutzung des Werksgeländes angekündigt, bisher aber weder Ideen oder konkrete Vorschläge vorgestellt.
Der Weg zum Büro des Ford-Betriebsrats in der Henry-Ford-Straße auf dem Werksgelände in Saarlouis führt vorbei an einem Werbebanner. Auf pflaumenblauem Hintergrund prangt der Slogan: „Ford, eine Idee weiter!“ Dieser Werbespruch aus besseren Zeiten klingt inzwischen für die Betriebsratsmitglieder wie Hohn. Seit Jahren ist klar, dass die in Saarlouis produzierten Verbrenner keine Zukunft haben. Seit Jahren fordern die Belegschaft und ihre Vertretung vom Management Konzepte für das „Danach“.
Doch auch vier Wochen nach der Entscheidung für den konkurrierenden Standort Valencia gebe es aus dem Management nur „vage Überschriften“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Markus Thal der taz. Er fühle sich in dem Auswahlprozess zwischen den europäischen Ford-Standorten „belogen, betrogen und verarscht“. Zumal er fest davon überzeugt ist, dass das Paket, das die Belegschaft und die saarländische Landesregierung in den internen Bieterwettbewerb der Standorte einbrachte, das wirtschaftlich attraktivere gewesen sei. Es ist für die enttäuschten SaarländerInnen sicher nur ein schwacher Trost, dass die Vorentscheidung für den Standort Valencia auch dort keine Sicherheit schafft. Noch ist das Investitionsprogramm zur Produktion von E-Fahrzeugen in Spanien nicht beschlossen, sondern lediglich angekündigt.
Landtag schaltet sich ein
Für diesen Mittwoch hat der Wirtschaftsausschuss des saarländischen Landtags den stellvertretenden Ford-Produktionschef für Europa, Kieran Cahill, zu einer dringlichen Sitzung eingeladen. „Wir wollen vor allem wissen, warum die Entscheidung zugunsten von Valencia fiel, obwohl Saarlouis das deutlich bessere Angebot gemacht hat“, begründet der Ausschussvorsitzende Damhat Sisamci (SPD). Er und seine KollegInnen wollen vom Spitzenmanager Cahill „energisch“ Antworten einfordern. Das Management müsse endlich Vorschläge dafür vorlegen, wie es in Saarlouis weitergehen kann, fordern übereinstimmend die Abgeordneten von SPD und CDU.
Am Montag, zwei Tage vor dem Treffen mit Cahill, konnten Betriebsratschef Thal und die von ihm beauftragten Unternehmensberater vom Saarbrücker „Info-Institut“ den Abgeordneten ihre Sicht der Dinge vorgetragen. „Noch erschreckender als gedacht“ sei die Lage, sagte nach dem Treffen der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Timo Ahr. Das Institut habe in einem Gutachten „professionell und qualifiziert“ dargelegt, dass die Entscheidung des Ford-Managements wirtschaftlich nicht nachvollziehbar sei, so der SPD-Abgeordnete, der seit dem 8. Juli auch Vizevorsitzender des DGB-Bezirks Rheinland-Pfalz-Saar ist. Nach den Erfahrungen mit dem von Ford initiierten Bieterwettbewerb zwischen den beiden europäischen Standorten fordert er politische Konsequenzen im europäischen Recht. „Wir müssen verhindern, dass ein Konzern innerhalb von Europa zwei Belegschaften gegeneinander ausspielen kann“, so Ahr.
Transparenz ist gefragt
Auch die Landesregierung fordert vom Ford-Management klare Ansagen ein. „Tausende Menschen warten nach dem anstrengenden Prozess auf Perspektiven“, betont der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) im Gespräch mit der taz. „Die Landesregierung ist bereit, Verantwortung für die Standortentwicklung zu übernehmen“, so Barke. Dazu müsse Ford allerdings zeitnah offenlegen, für welche MitarbeiterInnen das Unternehmen eine Perspektive sieht. Das Land könne etwa das gesamte Werksgelände oder Teile davon kaufen und in eigener Regie entwickeln. Er sei im Gespräch mit möglichen Investoren, versichert der Minister, aber bevor er Steuergelder einsetzen könne, müssten saubere vertragliche Grundlagen geschaffen werden. „Ende 2025 ist übermorgen“, sagt Barke, er erwarte Klarheit spätestens nach der Sommerpause.
Einstweilen geht in Saarlouis zwischen Management und Betriebsrat nichts mehr. Der Betriebsrat lehnt Anträge auf Kurzarbeit ab. 200 MitarbeiterInnen möchten ein freiwilliges Abfindungsprogramm in Anspruch nehmen, mit dem sie gehen könnten. „Der Betriebsart kann jetzt nicht einfach Abfindungsprogramme mitmachen und Ford aus der Verantwortung rauslassen“, sagt Markus Thal. Die Blockade von kostensenkenden Maßnahmen ist das wichtigste Druckmittel der Arbeitnehmervertretung. Bis Ende 2025 gibt es eine Beschäftigungsgarantie für alle. Die Lohnsumme, die dadurch gebunden ist, schätzen Experten auf 1,5 Milliarden Euro. Nur wenn Ford mit Beschäftigten und Landesregierung konkrete Vereinbarungen für die Zukunft aushandelt, wird es an dieser Stelle für das Unternehmen Entlastungen geben können.
Inzwischen läuft die Zeit davon. Das Ford-Management ist gefordert. Dass Spitzenmann Kieran Cahill bereits am Mittwoch im saarländischen Landtag konkret wird, gilt indes als unwahrscheinlich. Auf eine taz-Anfrage wollte das Unternehmen jedenfalls nicht wirklich antworten: Das Unternehmen sei dabei, „Optionen für künftige Konzepte für den Standort Saarlouis zu evaluieren“, bitte aber um Verständnis, dass man zu Details keine Stellung nehme, hieß es am Montag aus der Kölner Konzernzentrale.
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