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Folgen des KlimawandelsArtensterben nimmt zu

Zu warm, zu wenig Eisflächen, ausbleichende Korallen, zu wenig Wasser: Jede sechste Tierart dürfte den Stress des Klimawandels nicht verkraften und aussterben. Was nun?

Dem geht es gut: Amerikanischer Pfeifhase Bild: ap

STORRS dpa | Mit jedem Grad Erwärmung infolge des Klimawandels wird sich das Artensterben beschleunigen. Zu diesem Schluss kommt der US-Ökologe Mark Urban nach der Neubewertung von mehr als 130 Studien zum Thema.

Folge die Welt dem bisherigen „business-as-usual“-Pfad, sei etwa jede sechste Art vom Aussterben bedroht, schreibt er im Journal Science. Am stärksten sei die Vielfalt der Tiere und Pflanzen in Südamerika, Australien und Neuseeland gefährdet, in Nordamerika und Europa sei das Risiko am geringsten.

Viele Experten sind der Ansicht, dass der Klimawandel etliche Arten an den Rand des Aussterbens – oder darüber hinaus – bringen wird. Dies passiert etwa, wenn sich die Klimabedingungen in einem Lebensraum so verändern, dass dieser für bestimmte Spezies unbewohnbar wird und neue Lebensräume nicht oder nicht schnell genug erschlossen werden können.

Darüber, wie vielen Arten dieses Schicksal droht, gehen die Schätzungen gegenwärtig allerdings weit auseinander. Je nach Studie liegen sie laut Urban zwischen 0 und 54 Prozent.

Der Biologe, der an der Universität von Connecticut in Storrs (US-Staat Connecticut) im Bereich Ökologie und Evolutionsbiologie forscht, analysierte nun die Ergebnisse von 131 Studien neu. Er bewertete unter anderem, welchen Einfluss der Temperaturanstieg, die geografische Region oder die taxonomische Zugehörigkeit einer Spezies auf ihr Aussterberisiko haben und wie etwa die Art des eingesetzten Modells oder die vorab gesetzten Annahmen das Ergebnis beeinflussen.

Im Durchschnitt prognostizieren die Modelle demnach einen Artenverlust von insgesamt 7,9 Prozent. Die starken Unterschiede zwischen einzelnen Studien kommen laut Urban vor allem durch unterschiedliche Annahmen zum Ausmaß des künftigen Klimawandels zustande. Das Aussterberisiko beschleunige sich, je stärker die Temperaturen stiegen.

Gelinge es, die Temperaturerhöhung auf die angestrebten zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, steigt das Aussterberisiko der Untersuchung zufolge nur von derzeit 2,8 auf 5,2 Prozent. Die meisten Experten hielten das allerdings für nicht mehr möglich.

Bei einer Temperaturerhöhung von 3 Grad betrage das Aussterberisiko schon 8,5 Prozent. Folgt die Klimaerwärmung aber dem derzeit eingeschlagenen Weg, steigen die Temperaturen um 4,3 Grad Celsius und 16 Prozent der Arten könnten von der Erde verschwinden, wie der Wissenschaftler schreibt.

Hochspezialisierte Lebewesen haben die größten Probleme

Endemische Arten – also solche die nur in einem eng umgrenzten Gebiet vorkommen – seien besonders stark gefährdet. Die taxonomische Zugehörigkeit einer Art – also etwa ob es sich um ein Amphibium oder einen Vogel handelt – habe hingegen keinen signifikanten Einfluss auf das Aussterberisiko, berichtet Urban weiter.

Die meisten Studien berücksichtigten Prozesse, die das Ausmaß des Artensterbens beeinflussen, derzeit nicht oder nicht ausreichend, schreibt Janneke Hille Ris Lambers von der Universität von Washington in Seattle (US-Staat Washington). So sei weitgehend unklar, inwieweit sich Arten an die Klimaveränderungen anpassen oder diese durch ihr Verhalten abpuffern können.

Nichtsdestotrotz sollte die Menschheit nicht warten, bis die verbleibenden Fragen geklärt sind, sondern jetzt handeln, in erster Linie die Emissionen begrenzen. „Tun wir das nicht, werden wir schon bald die Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt direkt beobachten können.“

Die Studie liefere eine gute Zusammenfassung des bisherigen Kenntnisstandes, sagt Thomas Hickler, Professor für Biogeografie am Senckenberg Forschungszentrum Biodiversität und Klima. „Genau zu beziffern, wie viele Arten aussterben werden, ist angesichts der Komplexität der Zusammenhänge und der derzeitigen Unsicherheiten nicht möglich. Die Studie gibt uns aber einen wichtigen Hinweis darauf, was wir ungefähr erwarten können.“

Die globale Aussterberate pro Jahr sei derzeit etwa 1.000 Mal höher als die natürliche. Allein in den vergangenen 40 Jahren ist jede zweite Tierart von der Erde verschwunden. „Der Klimawandel spielt hierfür zurzeit noch keine wichtige Rolle. Derzeit tragen vor allem die Habitatzerstörung, aber auch die Überdüngung und die Invasion fremder Arten maßgeblich zum globalen Artensterben bei", sagt Hickler. "Das wird sich allerdings höchstwahrscheinlich ändern, wenn sich die eher wärmeren Klimaszenerien bewahrheiten.“

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8 Kommentare

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  • Welche Erwärmung?

     

    Seit mindestens 15 Jahren erwärmt sich da gar nichts.

  • Wir Menschen sind doch dabei gleich mit "auszusterben".

    In angenähert 8-10 Mio Jahren kann sich dann eine neue Gattung entwickeln, die sich nicht nur durch Intelligenz auszeichnet, sondern auch Klugheit, Verstand und die Fähigkkeit auszeichnet, das LEBEN in jedem Vorkommen zu ehren.

     

    Mir scheint, dass bis einschl. den Neanderthalern auch unsere Vorfahren diese Begabungen hatten. Nur waren sie im Lebenskonzept durch Friedfertigkeit und Bescheidenheit UNS unterlegen; so kam es zum ersten Massenmord unserer Geschichte.

     

    Aber das Leben geht weiter, auch ohne uns. Die Evolution hat noch Zeit für tausende neue Anläufe, ehe unsere Sonne das Leben verschlingt.

  • Flächenfraß mit täglich massiv fortschreitender Habitatzerstörung durch Straßenbau, Gewerbe- und Wohngebiete, Ausbau der Wasserstraßen, Industrielandwirtschaft mit verstärktem Pestizid- und Biozideinsatz, Rodung von Hecken, Zuschüttung von Gräben, Umpflügung der Grünstreifen am Wegesrand und Intensivierung ausschließlich erlösorientierter Forstwirtschaft haben auch bei uns in Deutschland seit den 1980er-Jahren die Anzahl der Arten auf Hälfte schrumpfen lassen und viele weitere Arten stehen ganz akut auf der Gefährdungsliste.

     

    All das hat mit dem Klima nur sehr wenig zu tun, denn wenige Grad Unterschied stecken die meisten Tiere und Pflanzen zumindest dann relativ locker weg, wenn die restlichen Lebensbedingungen stimmen, aber genau daran hapert es zusehends.

     

    Für jedes neue Biotop, gefördert mit viel öffentlichem Geld und eingeweiht mit viel Politikerkameragrinsen werden zwei Ecken weiter drei Biotope für immer zerstört.

     

    Leider haben auch die Grünen mit ihrer Konzentration auf Klima und die teilweise äußerst bedenklichen Bio-Energien den Blick für die tägliche Verarmung unserer Landschaft und den Schwund der Biodiversität verloren.

    • @Khaled Chaabouté:

      Sie liegen völlig richtig! "Klima" ist eine bequeme Ausrede mit der sich alle naturwissenschaftlich Ungebildeten willig blenden lassen.

      • @KarlM:

        Zumindest ist Klimaerwärmung nur Teil des Problems, womit sich gewichtigere Gründe gut übertünchen lassen.

  • Das ginge ja sogar noch ... mag jetzt grausam klingen, aber ich habe auch deutlich andere Prognosen gehört. Auf der anderen Seite wird hier anscheinend nur der Klimawandel berücksichtigt. Welche Auswirkungen Habitatverlust und andere, direkte Bedrohungen von Tierarten haben und vor allem wie diese zusammenspielen, das scheint diese Studie nicht untersucht zu haben.

    • @Christian:

      Der Appetit auf Haifischflossen ist sicher auch so wenig auf den Klimawandel zurückzuführen, wie die Gier nach Elfenbein, den Fellen der Tiger und ihren inneren Organen. Bei der Rodung von Wäldern aber trifft sich der Klimawandel irgendwie wieder mit dem Verschwinden von Arten.

      • @Tecumseh:

        Eben.