Folgen des Gasstreits: Der Balkan bibbert

In Bosnien und Serbien stehen die Menschen wegen des Gasstopps zum Teil ohne Heizung da - und das bei arktischer Kälte. Bosniens Regierung rät, mit Holz zu heizen.

Heißer Tipp der bosnischen Regierung: einfach wieder mit Holz heizen. Bild: dpa

Der Gasdruck wird schwächer, die Flamme der Gasheizung erlischt. Langsam kriecht die beißende Kälte von minus 15 Grad durch die Fensterritzen, in die Wohnungen, in die Betten.

Wegen des russisch-ukrainischen Gasstreits ist Sarajevo seit Dienstagnachmittag ohne Gas - wieder einmal. Wie damals vor 13 Jahren während des Krieges, als die 400.000 Einwohnern zählende Stadt von serbischen Truppen eingeschlossen war. In seinem Stadtteil, berichtet ein Mann, sei sogar die Stromversorgung zusammengebrochen. Die Menschen dort hätten ihre alten Elektrostrahler hervorgeholt, was das altersschwache Leitungssystem offenbar überfordert hat.

Schon am Dienstagabend bilden sich Autoschlangen vor den großen Einkaufszentren. Der sonst um diese Zeit gähnend leere Parkplatz des "Merkator" ist gefüllt. Viele jener, die ebenfalls mit Gas heizen, hasten zur Elektroabteilung - nur um zu erfahren, dass es schon seit dem Nachmittag keine Elektroheizungen mehr zu kaufen gibt. "Kommen Sie morgen wieder, vielleicht bekommen wir dann Nachschub", erklärt die freundliche Verkäuferin. Leere Regale auch bei "Robot" und "Obi". So blieb nur, sich einige Kerzen zu sichern. Doch auch schon diese wurden knapp. Nur noch die extrem langen und teuren Kerzen waren zu ergattern.

"Kerzen geben auch Wärme", sagt ein Nachbar. "Wir sitzen in der Küche, zünden mehrere Kerzen an und spielen Schach." Auch er fühlt sich unweigerlich an den Krieg erinnert. "Damals haben wir noch Speiseöl in ein mit Wasser halb gefülltes Glas gegossen, mit dem Alumiumpapier aus der Zigarettenschachtel abgedeckt und dann einen Wollfaden durchgezogen. Das war der Docht. Das Glas wird warm, und man kann sich herrlich die Hände wärmen."

So weit ist es aber Gott sei Dank noch nicht. Noch gibt es in den meisten Vierteln Strom. Und deshalb funktioniert auch noch der Fernsehapparat. Dort gab der Minister für Energie am späten Dienstagabend seltsame Ratschläge. Die Leute sollten nicht mit Elekrizität, sondern wieder mit Holz heizen. Was auf dem Lande durchaus möglich ist. Aber in der Stadt? Noch sei ein Vorrat für ein paar Tage für die Fernheizung da, erklärte der Politiker, die durch dieses System versorgten Bürger bräuchten also nichts befürchten. Und wenn der Vorrat verbraucht ist?, fragt die Moderatorin. Schweigen.

Keiner der bosnischen Journalisten kommt auf die Idee, den Minister zu fragen, warum keine Reserve angelegt worden ist. So viel Fürsorge erwartet man nicht von den eigenen Politikern. In Kroatien immerhin hat der Staat vorgesorgt. Und seit langem auch die eigenen Vorkommen angezapft. 60 Prozent des Gases kommt aus heimischen Quellen. Auch Bosnien verfügt über Gas- und Ölreserven, die Regierung hat jedoch versäumt, mit der Ausbeutung der Vorkommen zu beginnen.

Schlimmer noch sind die Serben dran. Denn die haben erst im Vorjahr ihren staatlichen Energiekonzern an die Russen verkauft. Mit der Zusicherung, dafür im Gegenzug die Gasversorgung des Landes zu gewährleisten. Am 1. Januar trat der Vertrag in Kraft. Sechs Tage danach ist er schon gebrochen. "Auf die Russen kannst du dich nicht verlassen", sagt ein Mann aus Novi Sad am Telefon, "und jetzt frieren wir auch noch während unseres Weihnachtfestes." Die orthodoxe Welt feiert am 6. Januar ja Weihnachten. "Die haben unseren Energiekonzern für ein Butterbrot und Ei bekommen, und jetzt das." Er ist kaum zu beruhigen.

In den nächsten Tagen wird es noch kälter werden, am Freitag werden die Temperaturen in Sarajevo und dem gesamten Balkan unter minus 20 Grad sinken. Für Familien mit Kindern eine Katastrophe. "Wir haben schon anderes überstanden", tröstet eine Frau, Mutter dreier Kinder. "Und denken Sie an die Menschen im Gazastreifen, denen geht es weit schlechter."

Sagt es und packt den neu erstandenen Elektrostrahler aus dem Kofferraum. Sie war schon um 6 Uhr früh nach Kiseljak gefahren, das 40 km von Sarajevo entfernt liegt, um die Öffnung der Geschäfte dort nicht zu verpassen. Und hatte Glück.

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