Folgen des EU-Ölpreisdeckels: Tankerstau am Bosporus

Als Reaktion auf den Ölpreisdeckel verschärft die Türkei Kontrollen von Schiffsversicherungen. Nun stecken 20 Tanker fest – nicht nur mit russischem Öl.

Blick vom Land aufs Meer, mehrere große Schiffe in der Ferne

November 2022: Frachtschiffe warten im Schwarzen Meer auf die Durchfahrt durch den Bosporus Foto: Kahlil Hamra/dpa

MOSKAU taz | Die Bilder von der türkischen Meerenge zwischen Schwarzem Meer und dem Mittelmeer zeigen eine fast schon erhabene Schönheit. Als hätte sie jemand gemalt: Schiffe über das blaue Wasser verstreut, die Weite, der Lichteinfall. An die 20 Öltanker sollen sich am Bosporus verteilt haben und in Wartestellung verharren.

Das sind offenbar die ersten Auswirkungen des Preisdeckels der Europäischen Union und der G7-Staaten für russisches Öl, der seit Montag greift. Nicht weil die Schiffe mit dem Öl grundsätzlich nicht weiterfahren dürfen, sondern weil die Türkei eine neue Art von Versicherungen für die Tanker verlangt. Das sorgt für den ungewöhnlichen Stau.

Der Preisdeckel verlangt von westlichen Versicherungsunternehmen, dass sie Schiffe mit russischem Öl nur noch versichern dürfen, wenn nachgewiesen wird, dass dieses Öl für nicht mehr als 60 Dollar pro Barrel (159 Liter) verkauft wird. Vor diesem Hintergrund bestehen die türkischen Behörden auf umfangreichen Belegen eines Versicherungsschutzes etwa im Falle von Öllecks oder Kollisionen. Es seien viel mehr Informationen als je zuvor, hat die Financial Times in Gesprächen mit den Versicherern herausgefunden.

Die Beschaffung und Überprüfung der Nachweise kostet Zeit und bremst die Schiffe aus. Viele transportieren kein russisches, sondern kasachisches Öl. Der Preisdeckel erschwert somit die globale Versorgung auch mit nichtrussischem Öl. Die G7 will damit nichts zu tun haben und verweist auf neue Vorschriften Istanbuls.

Die Situation wird sich wohl weiter zuspitzen

Die Lage dürfte sich in den kommenden Tagen noch verschärfen, da eine Versicherung im Rahmen der Preisobergrenze der G7 und der EU nicht so einfach abzuschließen sei, sagen Beobachter. Für Russland bringt das wesentliche Erschwernisse mit sich, da die wichtigsten Schifffahrts- und Versicherungsunternehmen in den G7-Staaten ansässig sind.

Und so droht der Kreml wieder einmal und nennt drei Varianten, über die er als Reaktion auf den Preisdeckel nachdenke: ein vollständiges Verbot des Ölverkaufs an Länder, die den Ölpreisdeckel unterstützen; ein Exportverbot im Rahmen von Verträgen, die eine Preisobergrenze enthalten, unabhängig vom Empfänger; und – das ist wohl das unwahrscheinlichste Szenario – ein Rabattverbot für russisches Öl.

Experte: Russland hat sich mit dem Deckel abgefunden

Der unabhängige russische Energieexperte Michail Krutichin sagte in einem Interview mit dem russischen Onlinemagazin Fontanka, Moskau habe sich ohnehin bereits mit dem Ölpreisdeckel abgefunden, „aber ein wenig Geschrei, dass man das Öl ja auch an andere Abnehmer wunderbar liefern könne, muss wohl sein“.

Diese Partner sind aus der Sicht Russlands vor allem China, Indien und die Türkei. China werde aber auf Öl aus Tankern gar nicht erst zurückgreifen, denn seit 2019 beziehe das Land genügend russisches Öl über die Pipeline Sila Sibiri (Kraft Sibiriens), eine 2.200 Kilometer lange Röhre vom Tschajanda-Feld in Ostsibirien. Indien könne wohl kaum die Hälfte der russischen Ölexporte tragen, die Moskau auf dem europäischen Markt verlieren dürfte. „Und die Türkei ist auch nicht die Lösung für alles“, meint Krutichin.

Dass Russland auf die so­genannte Schattenflotte aus bis zu 100 gebrauchten Tankern zurückgreifen könnte, um die Sanktionen zu unterlaufen, hält der Experte für möglich. Auf solchen Schmugglerwegen müsste Moskau allerdings mit Iran und Venezuela konkurrieren.

Vorerst greifen die Maßnahmen des Westens aber kaum. Über die Auswirkungen könne wohl erst in der zweiten Hälfte 2023 diskutiert werden, so Krutichin, weil erst ab Februar das EU-Embargo gegen verarbeitete Ölprodukte wie Benzin und ­Diesel gilt.

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