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Flutkatastrophe in ChinaDer Klimawandel kennt keine Zensur

Drei Tage Starkregen fordern Dutzende Tote in der chinesischen Provinz Henan. Doch Pekings Staatsmedien zeigen lieber positive Bilder.

Wenn in drei Tagen so viel Niederschlag fällt wie sonst im ganzen Jahr: Zhengzhou am 20. Juli Foto: epa

Peking taz | Wer die schockierenden Videos auf Chinas sozialen Medien gesehen hat, kann nur darüber staunen, dass die Behörden bislang lediglich 25 Tote bestätigt haben. Im zentralchinesischen Zhengzhou haben sich Straßen zu reißenden Fluten verwandelt, ganze Bezirke waren vom Stromnetz abgeschnitten, mindestens auch ein Krankenhaus. Ein Fernzug musste 40 Stunden lang auf mittlerer Strecke anhalten und die Passagiere ohne Nahrungsmittelversorgung auskommen.

Die tragischsten Szenen ereigneten sich unter der Erde. Am Dienstagabend fluteten die Rekordniederschläge zunächst eine U-Bahn-Station im Nordwesten der Fünf-Millionen-Metropole – und wenig später auch mehrere Züge der erst vor wenigen Jahren erbauten Linie 5. Die Wassermassen reichten den eingeschlossenen Fahrgästen bis zur Brust.

Eine Überlebende schildert auf dem sozialen Netzwerk Weibo, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen ist: „Das Wasser ist durch die Risse in der Tür reingeströmt. Es war das erste Mal, dass ich mich dem Tod nahe gefühlt habe.“ Einige Passagiere seien aufgrund des Sauerstoffmangels ohnmächtig geworden. „Ich habe am Ende nur mehr meiner Mutter eine Nachricht geschickt, dass ich sterben würde“, heißt es in dem Beitrag, der wenige Stunden später von den Zensoren gelöscht wurde.

Unwetter werden immer monströser

Seit Samstagnacht kam es in der Provinz Henan zu den größten jemals gemessenen Niederschlägen. In drei Tagen fiel so viel Regen wie sonst während eines Jahres. Mindestens 140.000 Personen mussten evakuiert werden. Chinas Staatsführer Xi Jinping hat die Fluten „sehr besorgniserregend“ genannt und Militär in die Region geschickt. Die Truppen sprengten unter anderem Teile eines Dammes, um einen Kollaps zu vermeiden.

Überschwemmungen gehören in weiten Teilen Chinas zur Sommerroutine. Auch wenn die Regierung die Flüsse des Landes mit Dämmen und Entwässerungssystemen unter Kontrolle zu bringen versucht, werden die Ausmaße der Unwetter immer monströser: Im Sommer 2020 kamen bei Überschwemmungen in China mehrere Hundert Menschen ums Leben. Der Drei-Schluchten-Staudamm – einer der größten weltweit – hatte noch nie mit einem so hohen Wasserstand zu kämpfen.

Debatten über Folgen des Klimawandels finden derzeit in China nur am Rande statt

Henan zählt eigentlich nicht zu den traditionellen Hochrisikogebieten. Das Flachland dort ist so etwas wie die Kornkammer der Volksrepublik. Mit fast 100 Millionen Einwohnern zählt die landwirtschaftlich geprägte, wirtschaftlich rückständige Provinz zu den einwohnerreichsten Chinas. Viele betrachten das Gebiet auch als Wiege der Han-chinesischen Zivilisation.

In den offiziellen Staatsmedien wird der historische Regenfall vor allem mit einem Taifun erklärt, der derzeit von Osten auf Chinas Küste zusteuert. Laut Wetterbehörde schickte der Taifun Luftströme in Richtung Henan, die sich dort in Niederschlägen auflösten.

Selbst Überlebende werden zensiert

Debatten über Folgen des Klimawandels hingegen finden derzeit nur am Rande statt. Dabei liegt es auf der Hand, hinter den extremen Unwettern in diesem Jahr System zu erkennen – vom Hitzerekord in Kanada über den Waldbränden in Sibirien bis hin zu den Jahrhundertfluten in Westdeutschland.

Die humanitäre Katastrophe in Henan bringt nicht nur die Risiken des Klimawandels ans Tageslicht, sondern auch die Verlogenheit der chinesischen Zensur, die selbst Beiträge von Überlebenden löscht. Die KP-Zeitung Renmin Rebao hat die Unwetter auf seiner Titelseite am Mittwoch nicht einmal erwähnt.

Am Dienstag beschwerte sich der renommierte Journalistik-Professor Zhan Jiang auf Weibo, warum der lokale TV-Sender in Henan im Vorabendprogramm Seifenopern zeige, statt über die Fluten zu berichten. Das Staatsfernsehen berichtete dann am Mittwoch zwar ausgiebig, jedoch stets mit Fokus auf die angeblich erfolgreichen Bergungsarbeiten. Die Todeszahlen wurden nur am Rande erwähnt, Kritik an den Behörden war nicht einmal im Ansatz zu vernehmen.

Dies ist umso erstaunlicher, als dass ebenjene Staatsmedien noch mit einer Mischung aus Schadenfreude und Zynismus auf die Fluten in Westdeutschland geblickt haben. Oder, wie es der Bloomberg-Journalist Vincent Lee – er hat lange Jahre in China gelebt – pointiert auf Twitter schreibt: „Bestimmte Personen, die im übertragenen Sinne auf den Gräbern der deutschen Opfer tanzten, sind nun seltsam still.“

Gemeint ist damit wohl vor allem Hu Xijin, Chefredakteur der ultranationalistischen Global Times. Der hatte geschrieben, dass sich „vom Gebäudekollaps in Miami bis zu den Fluten in Deutschland der Antihumanismus des Westens manifestiert“ habe. Würden sich ähnliche Mängel in China ereignen, dann wären die verantwortlichen Regierungsbeamten längst bestraft worden, behauptete er.

Die Scheinheiligkeit, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich. Doch bei vielen Chinesen verfangen solche Töne, denn sie haben aufgrund der allumfassenden Zensur keinen Zugang zu freien Informationen.

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11 Kommentare

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  • Wasserdampf - Stefan Rahmstorf.



    Nachlesen.



    Die Klimakatastrophe kommt anders als erwartet:



    nicht mit Anstieg der Meeresspiegel, sondern an U-Bahnen, in die das Wasser reinrast, Hitzetod in Westkanada und ein Tornado über Tschechien.



    Wenn dann alle Opfer der Industrieproduktion mit SMS gewarnt werden, bitte vorher noch die Nationalstaatsgrenzen abschaffen, und die Weiterflucht ermöglichen.

    • @nzuli sana:

      "nicht mit Anstieg der Meeresspiegel, sondern an U-Bahnen, in die das Wasser reinrast, Hitzetod in Westkanada und ein Tornado über Tschechien."

      Das eine schließt das andere aus?

  • "in China ereignen, dann wären die verantwortlichen Regierungsbeamten längst bestraft worden,..."

    Stimmt! Selbst wenn diese nicht daran schuld wären. Aber Regel Nr. 1 in der Diktatur: Untere Ränge sind ersetzbar und ein Exempel bringt alle anderen auf Linie!

  • Mit zweierlei Maß wird der Schutz vor den Katastrophen bemessen. China sieht und bewertet den mangelhaften Katastrophenschutz in Deutschland, der einer so kapitalmächtigen Nation unwürdig scheint. Wie der Katastrophenschutz bei der chinesischen Flut gewirkt, ob er effektiv viele Menschenleben gerettet hat, darüber ist ja eine Einschätzung noch gar nicht möglich. Grundsätzlich hat die Kritik Chinas am westlichen Katastrophenmanagement ja ihre Berechtigung, da sie festellen, das darin der Westen im Vergleich zu China ziemlich versagt, siehe Coronakrise. Man führe sich auch nochmal das Desaster in New Orleans vor Jahren vor Augen, könnte sich solch eine Dimension des politischen Versagens im heutigen in China ereignen? Wohl kaum. Die chinesische Kritik tanzt nicht auf den deutschen Gräbern. Diejenigen, die auf den Gräbern tanzen sind die deutschen Politiker, die es ihrem Staatshaushalt nicht antun wollen für ne lächerliche Summe ein gutes Frühwarnsystem zu installieren.

    • @Colonel Ernesto Bella:

      > Grundsätzlich hat die Kritik Chinas am westlichen Katastrophenmanagement ja ihre Berechtigung, da sie festellen, das darin der Westen im Vergleich zu China ziemlich versagt, siehe Coronakrise.

      Was man schon auch sehen muss, ist dass es gezielte Desinformation und harte Propaganda gibt, das ist beim Brexit so und bei den Querdenkern. Beim Brexit ist es ja recht klar, dass es da Einflüsse von außen gab, mit Hilfe von Propagandafirmen wie Cambridge Analytica, über die Carole Cadwalladr im britischen The Observer detailliert berichtete. Ich halte es für sehr wahrschenlich, dass es solche Strukturen auch bei den Querdenkern gibt, die rechte/nationalistische Ideologie ist nur ein Vehikel für gezielte Disruption.

      Und beides richtet sich auf eine ironische Weise gegen Errungenschaften der Demokratie. Volksabstimmungen sind demokratisch, aber was sind sie wert wenn die Bevölkerung über Jahre nationalisicher Propaganda ausgesetzt ist? Und die freie Presse und freie Meinungsäußerung sind essentiell für die Demokratie, sie ist der Gegenpol zur Zensur in China -- aber was wenn gute und wichtige Informationen durch eine Flut von Desinformation verdrängt werden?

      Taiwan hat ein interessantes Projekt, wo nicht versucht wird, Desinformationskampagnen zu verbieten, sondern sie durch gezielte vertrauenswürdige Information zu entkräften. Solche Ansätze sollte man viel mehr verfolgen. Aber sie leben auch vom Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen. Und deswegen sind Dinge wie die Mauschelgeschäfte mit Masken hochgefährlich für die Demokratie.

  • 3G
    38404 (Profil gelöscht)

    Wie dem auch sei, mit folgenden Ausführungen will ich keinerfalls die Flutkatastrophe in D. verharmlosen aber in China droht möglicherweise die größte Katastrophe seit Menschengedenken.

    "Der Drei-Schluchten-Staudamm – einer der größten weltweit – hatte noch nie mit einem so hohen Wasserstand zu kämpfen."

    Das ist richtig. Das Wasser, was dort aufgefangen wird kommt aus Gegenden, die bereits das 2. Jahr in Folge, jetzt ohne zu übertreiben, wirklich sintflutartige, nahezu ununterbrochene Regenfälle erleben.

    Und angesichts dessen droht der Damm zu brechen !

    Und so etwas darf nicht passieren !

    Denn Klimawandel hin oder her; ein Bauwerk dieser Größenordnung MUSS so konstruiert sein, daß es selbst diesen Regenmassen stand hält - hier gibt es keine Diskussion !

    Denn sollte dieser Damm brechen, dann geht die Opferzahl mit Sicherheit in die Millionen !!!

    Das muss man sich mal vorstellen !

    Ich bete für die Menschen in den betroffenen Regionen und bete der Damm möge halten.

    Dennoch: sollte er bersten; dann ist dafür nicht der Klimawandel verantwortlich, auch nicht irgendwelche Saboteure oder ausländische Agenten, die die CCP in solch einen Fall mit Sicherheit verantwortlich machen würde.

    NEIN !

    Die Schuld an dieser Katastrophe würde einzig und allein die CCP selbst tragen !

    Es gibt weltweit Staudämme, die teils seit 100en Jahren ohne Probleme funktionieren und der 3 Schluchten Damm droht nach noch nicht mal 50 Jahren zu bersten? Was ist nur los mit dem Kommunisten ?







    Anmerkung der Redaktion: Kommentar gekürzt.

  • Insbesondere die Bilder auf Youtube sind sehr verstörend. Sie zeigen so etwa - und in ähnlich unwirklich-grotesken Szenen - was passiert wenn Staudämme brechen, oder eher: sich auflösen, und Wassermassen wie in Ahrweiler oder im Erftkreis in großstädtische Gebiete wie das Ruhrgebiet oder Frankfurt strömen.

    Und sie zeigen Menschen, die um ihr Leben kämpfen - insofern sind sie sogar noch näher an der Realität. Ein wenig zu nah für mich.

    Das ist wohl das, was den Städten in Europa auch bevor steht.

  • > Die Scheinheiligkeit, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich. Doch bei vielen Chinesen verfangen solche Töne, denn sie haben aufgrund der allumfassenden Zensur keinen Zugang zu freien Informationen.

    Auch bei uns wird massiv schöngeredet und zwar in einem selbstmörderischen Ausmaß. Angefangen mit den ganzen Berichten zum "umweltfreundlichen" Fliegen und Elektroautos statt Strassenbahnen, Fahrradstrassen und Elektrobussen.



    Wenn die taz behauptet, dass sie die Situation nicht weichspült und mit greenwashing schön färbt, dann soll sie doch mal ein paar Artikel von Fridays for Future, Scientists for Future, den Waldbesetzern, Schellnhuber und James Hansen ungekürzt im Wortlaut abdrucken.

    • @jox:

      Ihr habt beide Recht und Unrecht: natürlich rettet das E-Auto jetzt nicht im Alleingang das Klima, aber es ist EIN wichtiger Schritt von sehr vielen.

      Und es ist DIE richtige Entscheidung, welche Art von Mobilität wir haben müssen, wenn wir uns zwischen fossil und elektrisch entscheiden müssen - und das ist die Wahl JETZT an diesem Punkt.

      D.h. nicht, dass wir grundsätzlich nicht weniger rumfahren sollten und weniger Strassen bräuchten, das wäre ein weiterer Schritt.

      Aber wenn man alles auf einmal haben will bekommt man meistens gar nichts, weil die Menschen nicht mitmachen und einfach anders wählen.

      • @Mitch Miller:

        Das Elektroauto konkurriert leider erstmal mit dem ÖPNV, der effizienter ist. Das fängt schon damit an, dass ein Oberleitungsbus, eine Straßenbahn oder ein Zug keine schwere Batterie mit sich herumfahren muss. Auch die Verkehrsmengen in den Städten sind nicht mehr bewältigbar und mit sicherem Fahrradverkehr immer schwerer zu vereinbaren.

        Dass es normalerweise besser ist, kleine Schritte zu gehen, vor allem wenn viele Menschen überzeugt werden müssen, ist richtig.

        Nur, uns geht die Zeit aus. Und was der Situation angemessene Aktivitäten und Taten hemmt ist Angst. Angst vor Veränderung. Und genau auf diese zielt der Pseudowahlkampf der CDU: Alles soll bitte schön bleiben wie es ist.

        Wir brauchen einen Plan, der aufzeigt wie wir die nötige Veränderung stemmen und zwar so dass es eine große Mehrheit von Menschen gibt, die dabei nicht verlieren, sondern gewinnen.

        Die Solidarität an sich ist nämlich nicht das Problem - die Menschen in Ahrweiler und im Erftkreis verhalten sich hoch solidarisch. Was fehlt ist eine glaubwürdige Strategie.

    • @jox:

      Das stimmt. Insbesondere das E-Auto wird hier hochgejazzt. Noch dazu geht es immer um Neuwagen. Um Umbauten von Verbrennerautos zu E-Autos, die mittlerweile entwickelt werden, geht es nicht. Ressourcenverbrauch bezüglich der Autoproduktion findet kaum Beachtung. Das stimmt dann auch mit dem Verhalten der meisten Menschen überein. Um Verzicht bzw. Umschwenken auf wirklich sparsame Lebensweise geht es weniger.



      Nimmt mensch mal etwas naiv an, die Grünen, aber auch die Linke, setzten sich tatsächlich für notwendige Klimapolitik ein, dann würden nach aktueller Umfrage 66 Prozent (!) der Wahlberechtigten Parteien (CDU, SPD, FDP, AFD) wählen, für die Klimapolitik mindestens hinten ansteht! Angeblich soll aber das Klima eines der zentralen Themen sein. Das spiegeln die Parteipräferenzen in den Umfragen nicht wider.