Flugzeugabsturz im Iran: Versehentlicher Raketenbeschuss?
Westliche Dienste gehen inzwischen fest davon aus, dass die ukrainische Passagiermaschine im Iran abgeschossen wurde. Absicht unterstellt niemand.
Ähnlich äußerten sich der britische Premier Boris Johnson und dessen australischer Kollege Scott Morrison. Im Weißen Haus ging auch US-Präsident Donald Trump von einer möglichen Verantwortung Irans aus. „Jemand auf der anderen Seite könnte einen Fehler gemacht haben“, sagte Trump. Das Flugzeug sei in einer „ziemlich rauen Umgebung“ unterwegs gewesen. Vier US-Regierungsvertreter vermuteten, dass der Passagierjet fälschlicherweise für eine Bedrohung gehalten worden sei.
Beim Absturz der Maschine der Ukraine International Airlines nahe Teheran kamen in der Nacht zum Mittwoch alle 176 Insassen um, unter den Toten waren mindestens 63 Kanadier.
Am Donnerstag postete die New York Times ein Video vom mutmaßlichen Raketeneinschlag an der Boing 737-800, das die Zeitung nach eigenen Angaben verifiziert hat. Zu sehen ist ein Objekt, das mit hohem Tempo aufsteigt, ehe es zu einer heftigen Explosion kommt. Ein Objekt, das offenbar Feuer gefangen hat, bewegt sich dann in eine andere Richtung.
Iran lädt internationale Experten und Gutachter ein
Iranische Stellen sprachen zunächst von einem technischen Defekt an der Maschine. Der Chef der Unfalluntersuchungsbehörde für die Zivilluftfahrt, Hassan Resaeifa, sagte nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Irna zudem, dass eine Rakete, Lenkwaffe oder ein Luftabwehrsystem als Ursache auszuschließen seien.
In einem vorläufigen Bericht der ukrainischen Behörde für zivile Luftfahrt hieß es am Donnerstag unter Berufung auf iranische Ermittler, die Besatzung habe keinen Notruf abgesetzt. Augenzeugen, darunter die Crew eines anderen Flugzeugs, das in der Nähe geflogen sei, hätten berichtet, dass die Boeing vor dem Absturz von Feuer umhüllt gewesen sei.
Der Flugdatenschreiber und der Stimmrekorder mit Aufnahmen der im Cockpit geführten Gespräche seien gefunden worden. Sie seien allerdings beschädigt und ihre Daten teilweise zerstört.
Inzwischen läuft eine internationale Untersuchung zum Absturz an. Der Iran will neben US-amerikanischen, kanadischen und ukrainischen Experten auch Gutachter von Flugzeugbauer Boeing einbinden. Auch Fachleute aus anderen Ländern, deren Staatsbürger umkamen, dürften sich beteiligen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Irna unter Berufung auf Außenamtssprecher Abbas Musawi.
Zurückhaltung auf allen Seiten
Die US-Behörde für Transportsicherheit NTSB reagierte verhalten auf die Einladung aus Teheran. Man wolle zunächst den Umfang einer Einbindung in die Untersuchung prüfen, teilte sie mit. Hintergrund sind offenbar die US-Sanktionen gegen den Iran, die die Rolle der NTSB einschränken dürften.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski sagte, sein iranischer Kollege Hassan Rohani habe ihm versichert, dass Teheran ukrainischen Ermittlern Zugang zu allen nötigen Daten verschaffen werde.
Sollten sich die Hinweise auf einen Abschuss erhärten, könnte dies einen weiteren Schatten auf den Konflikt zwischen den USA und dem Iran werfen. Kurz vor der Katastrophe hatte Teheran zwei auch von US-amerikanischen Truppen genutzte Stützpunkte im Irak mit Raketen beschossen, um die gezielte Tötung des Generals Qasim Soleimani durch einen US-Drohnenangriff zu rächen. Für die USA gingen die iranischen Raketenangriffe nach Angaben des Pentagons glimpflich aus, Opfer gab es demnach nicht zu beklagen.
Kanadas Premier Trudeau schreckte davor zurück, den Flugzeugabsturz als Folge der US-Militäraktion gegen Soleimani zu werten. Es sei noch zu früh für Schlussfolgerungen oder Schuldzuweisungen, sagte er vor Reportern. Doch würde ein versehentlicher Abschuss durch eine Rakete die Trauer vieler Menschen verschlimmern.
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