Flughafen BER ist eröffnet: Genug der Häme, jetzt wird gestartet
Berlins neuer Flughafen ist tatsächlich in Betrieb gegangen – mit mehr als acht Jahren Verspätung. Viele Klimaaktivisten protestierten dagegen.
„Dies ist kein historischer Tag; es ist aber für uns, für Berlin und Brandenburg, ein ganzer wichtiger Tag“, sagt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup kurz nach den ersten Landungen und nennt den BER ein „Tor für die Welt für Ostdeutschland“. ELD, wie er auch kurz genannt wird, hat das gar nicht so kleine Wunder fertiggebracht, den skandalumwitterten Bau fertigzustellen. Die Arbeit sei schwer gewesen, bisweilen ein „Kampf gegen Windmühlen“. Aber: „Wir haben gelernt, dasss es sich lohnt, durchzuhalten. Der BER ist heute Europas sicherster Flughafen.“
Für Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), schon länger nicht gerade als Fan der BER bekannt, ist dieser keineswegs das Wichtigste an diesem Tag. Er dankt erst mal dem Flughafen Tegel. Es war laut dem Minister nichts weniger als „ein Weltwunder“, dort so viele Fluggäste – zuletzt weit mehr als 20 Millionen – abzufertigen. Die BER-Eröffnung sei „kein Jubeltag, sondern ein Arbeitstag mit sehr viel Erleicherung und Vorfreude.“ In Richtung Lütke Daldrup und der Flughafengesellschaft raunte er: „Sie haben geliefert, liefern sie weiter.“
Viel Presse aus aller Welt ist gekommen zu diesem insbesondere für Berlin politisch enorm entscheidenden Termin. Schließlich wurde vor allem dieses Bundesland immer wieder öffentlich an den Pranger gestellt, sobald es zu weiteren Verzögerungen kam. „Berlin kriegt keinen hoch“, titelte die taz 2012 etwa. Dabei sind auch Brandenburg und der Bund Miteigentümer und damit für viele Pannen mitverantwortlich.
Gekommen sind am Samstag zudem viele BrandenburgerInnen und BerlinerInnen, die einen ersten Blick auf denn nun wirklich funktionierenden Flughafen werfen wollen. Und schließlich nutzen Klimaaktivisten von Gruppen wie Robin Wood, Am Boden bleiben und Extinction Rebellion die Chance, öffentlichkeitswirksam gegen den BER und den in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Flugverkehr zu protestieren, der wesentlichen Einfluss auf die massiv zunehmende Erderwärmung hat.
Als Pinguine verkleidet besetzen sie seit dem frühen Morgen stundenlang einen der Zugänge im Terminal 1 zu den Abflugbereichen; die Polizei lässt sie weitgehend gewähren. „Die Flughafengesellschaft und die Polizei gehen wirklich entspannt mit den Protesten um“, zieht der Linksparteiabgeordnete Michael Efler, der als parlamentarischer Beobachter vor Ort ist, am Mittag eine positive Bilanz.
AktivistInnen seilen sich mit Plakaten an einer der Hauptfassaden ab, auf Plakaten wird die Abkürzung BER zu „Blockieren, Einstellen, Recyclen“ umgewandelt. Doch ihr angekündigtes Ziel, die Inbetriebnahme des Flughafens zu verhindern, erreichen die Protestierenden nicht.
Jungfernflug kommt aus Tegel
An Bord der beiden Flieger von Easyjet und Lufthansa, die kurz nach 14 Uhr landen, sind noch keine „echten“ Fluggäste, sondern vor allem Prominente, um mit der Landung zumindest ein bisschen das historische Datum zu zelebrieren. Die Maschine mit Easyjet-Chef Johan Lundgren kam aus dem nur wenige Kilometer entfernten Tegel angeflogen, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lufthansa, Carsten Spohr, war immerhin in München gestartet. Beides Flüge, die unter normalen Umständen natürlich völlig überflüssig sind.
Engelbert Lütke Daldrup, Flughafenchef
Die erste kommerzielle Landung ist für Samstagabend, 20 Uhr, angesetzt, die Maschine kommt aus Fuerteventura. Ab Sonntag kann man via BER Brandenburg und Berlin dann auch verlassen. Bis Ende kommender Woche ist der innerstädtische Flughafen Tegel noch parallel in Betrieb, am 8. November wird er für immer geschlossen. Der bisherige Flughafen Schönefeld fungiert künftig als Terminal 5 des BER.
Schon wer in den vergangenen Jahren, als eine Eröffnung fast undenkbar war, durch das zentrale Terminal 1 spazierte, hatte meist den Eindruck, das Gebäude sei fertig und startbereit. Die Schwierigkeiten lagen oft im Detail und hinter der Wandverkleidung verborgen. Entsprechend wenig anders stellt sich die Situation am Samstag da. Alles strahlt neu, gläsern, aufgeräumt, und vieles ist irgendwie quadratisch. Die ersten Geschäfte und Snackstände haben geöffnet; in den anderen Läden, auch im Duty Free-Bereich, ist alles vorbereitet auf den Start.
Es ist halt ein Flughafen
Das ganze Ambiete ist nüchtern, wenig spektakulär. Die von zwei auf offiziell mindestens sechs Milliarden Euro gestiegenen Baukosten merkt man dem BER nicht an. Es ist halt ein Flughafen, mit Besuchertribüne, überteuertem Mineralwasserflaschen aus Automaten, vielen Check-In-Schaltern. Und einer wirklich gelungenen Kapelle plus interreligiösem Andachtsraum.
Vor einem Starbucks sitzt, gut zwei Stunden vor der ersten Landung, Flughafenchef Lütke Daldrup, der an diesem Tag noch dazu Geburtstag hat und 64 Jahre alt wird. Er wirkt relaxed, lässig, wie man ihn auch sonst aus Gesprächen kennt. Ringsherum rüsten sich derweil Kamerateams und Reporter.
Dabei ist die Situation für die Flughafengesellschaft alles andere als entspannt. Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass die Auslastung des künftig einzigen Berliner Flughafens aktuell unter 20 Prozent der Vorjahreszahlen liegt. Und mit dem erneuten deutschlandweiten Lockdown ab Montag dürften die Zahlen wieder massiv sinken. Im April, zur Hochphase der ersten Pandemiewelle in Europa, betrugen die Fluggastzahlen in Berlin gerade mal 0,9 Prozent des Vorjahreszeitraums.
Die Startphase fällt also in eine besonders schwierige Zeit. Wenn man fortan noch Witze über den BER machen kann, dann diese: Jetzt ist er endlich fertig, und fast niemand braucht ihn. So richtig lachen darüber mag niemand, schließlich ist dadurch auch die Reisefreiheit jedes einzelnen auf absehbare Zeit eingeschränkt und risikobehaftet.
Viele Fluggäste werden am BER in den kommenden Wochen jedenfalls nicht erwartet – mit einem entsprechend verringerten Angebot stellen sich die Fluggesellschaften darauf ein. Der bislang größte Anbieter etwa, das britische Luftfahrtunternehmen Easyjet, hat die in Berlin im vergangenen Jahr stationierte Flotte von 34 Flugzeugen auf 18 reduziert. So gut wie alle stehen an diesem Samstag dekorativ auf dem Flugfeld.
Die Lufthansa, die in der Vergangenheit betont hat, sich auch weiterhin auf ihre Drehkreuze in Frankfurt (Main) und München konzentrieren zu wollen, hat am Samstag am BER gerade mal drei Maschinen öffentlichkeitswirksam abgestellt. Eigens stationiert hat Deutschlands just für neun Milliarden Euro Steuergeld gerettete Airline kein einziges Flugzeug am BER. Sie nutzt den Flughafen vor allem als Ausgangspunkt für Langstreckenflüge mit Umstieg in Frankfurt oder München. Trotzdem trägt die erste gelandete Maschine der Airline die Aufschrift „Lufthansa liebt Berlin“. Mal sehen, wie sich diese Liebe in Zukunft ausdrückt.
Michael Müller, SPD
Wegen der dramatisch niedrigen Passagierzahlen brauchte die Flughafengesellschaft in diesem Jahr eine Finanzspritze von ihren drei staatlichen Eigentümern in Höhe von bis zu 260 Millionen Euro. Angesichts der schwierigen Finanzsituation geht die Fraktionschefin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, davon aus, dass es bald erneut eine öffentliche Diskussion über eine eventuelle Privatisierung des Flughafens geben wird, wie sie am Freitag bei einem Live-Gespräch mit der taz sagte. „Ich gehe aber nicht davon aus, dass sich jemand findet, der einen angemessenen Preis dafür zahlen würde“, so Kapek.
Angesichts der größten Krise der Luftfahrt, den vielen Verzögerungen auf der BER-Baustelle seit dem ersten Spatenstich 2006 ist es kein Wunder, dass es am Samstag keine große Feier gibt. „Wir feiern keine Party, wir machen einfach auf“, sagte Lütke Daldrup. So wird es vor allem eine symbolische Eröffnung mit ein paar Ansprachen und einer Feuerwehrdusche für die beiden ersten gelandeten Maschinen.
In den Reden geht es – abgesehen von der des Bundesverkehrsministers – vor allem um den Blick voraus. Lütke Daldrup lobt, dass die beiden ersten gelandeten Flugzeuge sehr sparsam seien. Überhaupt spiele der BER in der „Champions League der klimafreundlichen Airports“. Er begründet dies vor allem mit der guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, an S-Bahn und Fernzüge.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nimmt Bezug auf die Proteste von KlimaktivistInnen. „Wir brauchen im Fliegen mehr Klimaneutralität und stehen dabei unter immensen Druck“, sagt er. Brandenburg biete dafür perfekte Grundlagen, denn es sei das Bundesland mit dem höchsten Anteil erneuerbarer Energie. Weniger zu fliegen, ist laut Woidke hingegen keine Lösung „Wir brauchen den Flugverkehr, wir brauchen Verbindungen in alle Welt.“ Der Flughafen müsse stärker an andere Kontinente angebunden werden.
Immerhin in dieser Hinsicht deutet Verkehrsminister Scheuer Unterstützung an: „Wir werden alles tun, dass der BER ein internationales Drehkreuz wird.“
Auch Johan Lundgren, Chef von Easyjet, der wichtigsten Airline am BER, betont, dass die Luftfahrtindustrie die CO2-Emissionen reduzieren müsse. Gleichzeitig zeigt er sich überzeugt, dass sich die Passagierzahlen rasch erhohlen werden. Lufthansachef Carsten Spohr berichtet, dass extra für den Erstflug synthetischer Treibstoff getankt wurde.
Und auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller gibt sich optimistisch: Während der langen Bauzeit habe es Tage gegeben, „die waren zum Verzweifeln“. Jetzt besäßen Berlin und Brandenburg einen „wunderbraen Flughafen“. Und da sich die Region wirtschaftlich gut entwickle – Müller nennt die Ansiedlung etwa von Siemens – „haben wir alle Chancen, mit diesem Flughafen gestärkt aus der Krise zu gehen“.
Berlins grüne Fraktionschefin Antje Kapek hofft derweil, dass Fliegen künftig teurer wird. Berlin als Miteigentümerin sollte die Entgelte für Starts und Landungen verteuern: „Fliegen ist bisher zu günstig, das muss einen angemessenen Preis haben.“ Zudem sollte der Bund daran arbeiten, Inlandsflügen ein Ende zu bereiten.
Eine kleine Panne gibt am Samstag es dann doch: die geplante Parallellandung, der gemeinsame Touchdown auf beiden Landebahnen, kann nicht stattfinden. Das Wetter ist zu schlecht; der nötige Sichtkontakt der Piloten konnte deswegen nicht hergestellt werden, so die Begründung.
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