Flüchtlingsverteilung in der EU: Solidarität sieht anders aus
Die Dublin-Verordnung ist ungerecht und funktioniert nicht mehr. In Sofia beraten die Innenminister über ein neues System für die EU.

Bisher war auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière dieser Meinung. Deutschland hat sich sogar besonders für ein neues Quotensystem starkgemacht – schließlich trägt es seit 2015 die größte Last in Europa. Doch nun signalisierte de Maizière einen Kurswechsel. Berlin sei bereit, den Umverteilungsstreit zu vertagen, so der CDU-Politiker in der bulgarischen Hauptstadt.
Beim letzten EU-Gipfel im Dezember hätte dieser Streit fast zum Eklat geführt. Denn nicht nur Polen und Ungarn stellten sich gegen die Quote. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk nannte das bisherige System der Umverteilung „ineffizient“ und „spalterisch“. Danach schwenkte auch die neue Regierung in Österreich auf ein Nein.
Der Gegenwind zeigt Wirkung: „In der Substanz brauchen wir […] selbstverständlich eine faire Verteilung“, sagte de Maizière (CDU) am Donnerstag in Sofia. Um Fortschritte bei der geplanten Reform des Asyl- und Flüchtlingssystems zu erzielen, sei es aber wohl sinnvoll, sich erst einmal auf andere Themen zu konzentrieren.
De Maizière fordert gleiche Aufnahmebedingungen
Als Beispiele nannte de Maizière europäische Regelungen für den Umgang mit Asylsuchenden und gemeinsame Aufnahmebedingungen. Doch dies sind nur kleine Bausteine der geplanten großen Reform der Asylpolitik, die bis Juni über die Bühne gehen soll. Dreh- und Angelpunkt war bisher immer eine neue, gerechtere Umverteilung.
Davon ist die EU auch heute noch weit entfernt. So sitzen in Griechenland immer noch Tausende Flüchtlinge auf den Inseln fest, weil sowohl die Anerkennungsverfahren als auch die Umverteilung stocken. Auch Italien fühlt sich mit den Bootsflüchtlingen aus Libyen alleingelassen.
Statt über neue Formen der Solidarität nachzudenken, wollen sich die Europäer jedoch zunächst stärker abschotten. „Je geringer die Zahl von illegalen Migranten ist, die nach Europa kommen, umso weniger relevant ist das Problem der Verteilung von Schutzbedürftigen, und umso leichter erreicht man sicherlich eine Einigung zur Verteilung“, erklärte de Maizière seinen überraschenden Schwenk.
Doch was passiert, wenn bis Juni immer noch keine Lösung gefunden wird? Könnte Deutschland dann ganz auf die umstrittenen Quoten verzichten? „Das entscheiden wir am Ende der Verhandlungen“, sagte de Maizière. Offenbar möchte er weiter Druck auf Österreich und die Osteuropäer ausüben. Doch wie ein anderes Modell aussehen könnte, ist bislang offen. Das informelle Treffen in der bulgarischen Hauptstadt endet am Freitag.
EuGH-Urteil könnte Dublin außer Kraft setzen
Wie verfahren die Lage ist, macht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) deutlich. Illegal in ein EU-Land eingereiste Asylbewerber dürfen demnach nicht ohne Weiteres in den EU-Staat zurückgeschickt werden, in dem sie erstmals Asyl beantragt haben. Es müsse wieder ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen werden, urteilten die Luxemburger Richter am Donnerstag.
Im konkreten Fall hatte ein Syrer in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Dabei wurde festgestellt, dass er zuvor bereits in Italien internationalen Schutz beantragt hatte. Deutschland bat Italien daraufhin um seine Wiederaufnahme. Als die italienischen Behörden nicht Nein sagten, lehnte Deutschland den Asylantrag des Syrers ab und schickte ihn wieder nach Italien. Er kehrte kurz darauf illegal nach Deutschland zurück.
Nach dem EuGH-Urteil hat der Syrer nun gute Chancen, in Deutschland zu bleiben. Und die Bundesregierung hat ein weiteres Problem mit der – nur auf dem Papier – gemeinsamen Asylpolitik. Bisher gilt die Regel, dass jenes Land für einen Asylantrag zuständig ist, in dem ein Flüchtling in die EU eingereist ist. In der Praxis sind dies meist Italien oder Griechenland. Dieses so genannte Dublin-System war jedoch 2015 zusammengebrochen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell