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Flüchtlingsteam bei OlympiaIm warmen Licht der Wohltat

Das IOC stellt zwei Tage vor Beginn der Sommerspiele das Team Refugee vor. Die Flüchtlinge sollen helfen, das angeschlagene Image aufzubessern.

Team Refugee in Rio Foto: ap

Rio de Janeiro taz | Sie schleichen in den Saal der Pressekonferenz. Auf ihren T-Shirts steht R.O.T. Refugee ­Olympic Team. Die olympische Mannschaft der Flüchtlinge. Es dauert eine Weile, bis jeder der zehn Athleten weiß, wo er sitzen soll, damit er der Weltpresse im Saal „Samba“ seine Geschichte erzählen kann.

Popole Misenga, der Judoka, läuft mit seinem Namensschild etwas verloren herum. Und auch Yonas Kinde, der Marathonläufer, weiß nicht so recht, wo er mit sich und seinem Schildchen hinsoll. Dann sitzen sie und blicken schüchtern in über 20 Kameras hinein, nur Yusra Mardini, die Schwimmerin aus Syrien, schaut wie immer keck.

Chefin des Teams ist die ehemalige kenianische Weltklasseläuferin Tegla Loroupe, die zweimal den Marathon-Weltrekord gebrochen hat. Sie ist zugleich die Chefin der besten PR-Idee, die das Internationale Olympische Komitee zuletzt hatte. Das IOC, gebeutelt vom russischen Dopingskandal, braucht dringend gute Nachrichten. Das Team Refugee soll sie liefern – und schöne Bilder dazu. Es soll eine Erzählung sein von den Wirren der Flucht und von der Großzügigkeit der olympischen Funktionäre. Tegla Loroupe aber verpasst die günstige Gelegenheit, das IOC im warmen Licht der Wohltat erstrahlen zu lassen.

In ein paar dürren Worten nuschelt sie etwas. Loroupe hatte mal in Deutschland eine unschöne Steuergeschichte zu überstehen. Aber sicherlich wurde sie vom IOC nicht deswegen ausgewählt, sondern weil sie sich nach ihrer Karriere Meriten erworben hat, zum Beispiel als Athletenbotschafterin der Entwicklungshilfeorganisation Right to Play. In ihrer Heimat gründete sie ein Internat für Waisen, die Tegla Loroupe Peace Academy.

Dramatische Fluchtgeschichte

Sie gibt nun das Wort an die Sportler weiter. Yonas Kinde aus Äthiopien soll anfangen, aber er findet den Knopf am Mikrofon nicht. Dann sagt er: „Hallo, ich bin Yonas Kinde und starte im Marathonlauf.“ Er lebt jetzt in Luxemburg. So geht das reihum. Von rechts nach links. Rami Anis, der syrische Schwimmer, der in Belgien lebt. Yusra Mardini, die syrische Schwimmerin, deren Balkanroute in Berlin bei den Wasserfreunden Spandau 04 endete. Paulo Lokoro, der finster dreinblickende Südsudanese, der in einem Flüchtlingscamp in Kenia lebt und in Rio über 1.500 Meter in der Leichtathletik an den Start gehen will. Seine Landsmänner James Chiengjiek (400 Meter) und Yiech Biel (800 Meter). Dann sind die Südsudanesinnen Rose Lokonyen (1.500 Meter) und Anjelina Lohalith (800 Meter) dran. Zum Schluss die ­Judokas Yolande Mabika und ­Popole Misenga. Sie sind aus dem Kongo geflohen und haben in Rio eine Heimat gefunden.

Es ist schnell klar, dass sich Yusra Mardini zur Sprecherin des Teams aufschwingt. Zwei Drittel der Journalistenfragen muss sie beantworten. Die Geschichte ihrer spektakulären Flucht ging ja eh um die Welt: Ihr Schlauchboot, auf dem sie die Überfahrt von der Türkei nach Lesbos wagte, schlug leck. Der Motor streikte. Mardini sprang ins Meer, zog das Boot. Sie kamen irgendwie an Land.

Mardini spricht von Träumen, die sie dank des IOC verwirklichen kann. „In meiner Heimat haben die Menschen ihre Träume verloren, aber ich möchte ihnen Mut machen“, sagt sie. Sie grüßt „alle Teenager der Welt und alle Flüchtlinge“, über 60 Millionen weltweit. Im Team der Flüchtlinge seien alle miteinander befreundet. „Die olympische Flagge verbindet uns.“ Sie hat die Sätze im Schlaf drauf, so oft hat sie sie wiederholt. Hunderte von Journalisten wollten ihre Geschichte immer wieder hören. Über 1.000 Interviewanfragen hat ihr Berliner Trainer Sven Spannekrebs managen müssen.

Selfie mit Phelps

Der Coach ist nun Trainer des Flüchtlingsteams. Das hat sich kurzfristig so ergeben. Spannekrebs hat seinen Urlaub in Andalusien storniert und lebt nun auch seinen kleinen olympischen Traum. Sein Schützling geht über 100 Meter Schmetterling und 100 Meter Kraul an den Start. Jeweils ein Vorlauf, dann wird sie ausscheiden. Die anderen sind zu stark. „Ich glaube“, sagt der Trainer, „sie weiß gar nicht, was in der Schwimmarena auf sie zukommt, denn die Brasilianer sind echt vernarrt in sie.“ Yusra, das Sternchen. Sie wird es aushalten.

Das Training in Rio absolviert sie mit Landsmann Rami Anis. Er ist überglücklich, mit den weltbesten Schwimmern ins ­Becken gehen zu können. Zum Beispiel mit Michael Phelps, dem US-Star. Rami Anis will demnächst ein Selfie mit dem zigfachen Olympiasieger schießen.

Es wird ein Schnappschuss werden, wie ihn eine Wer­beagentur nicht besser hätte inszenieren können für das IOC.

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2 Kommentare

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  • Schon klar, das war eine PR-Idee des IOC. Aber dabei muss es ja nicht zwingend bleiben. Dieses Team, so hilflos es derzeit vielleicht auch noch auf Journalisten wirkt, kann sehr viel mehr sein als nur das.

     

    Nicht nur das IOC betreibt Publicity. Die Olympischen Spiele sind eine einzige PR-Aktion. Für Staaten und Sponsoren beispielsweise. Auch für solche, die nicht unbedingt ein Vorbild sind an Fairness, Souveränität und Menschlichkeit. Siegen einzelne Athleten, siegen immer auch die Staaten oder die Sponsoren.

     

    Was wäre, wenn sich kein Sportler dieser Welt mehr genötigt sehen müsste, für einen Staat anzutreten, der Rassismus unter seinen Polizisten toleriert, der seine Sportler systematisch dopen lässt oder in dessen Verwaltung Korruption herrscht? Was, wenn sie auf solche Sponsoren pfeife könnten, die von Kinderarbeit profitieren oder die Umwelt ruinieren? Was, wenn die Angst, ein halbes Leben lang umsonst trainiert zu haben, entfiele, weil man nun auch als Flüchtling starten kann und der erstaunten Welt zu zeigen in der Lage ist, was alles geht ganz ohne Protektion von "Großen", die sich all zu kindisch zu verhalten wünschen?

     

    Dann, sehr geehrter Markus Völler, hätte solche Staaten und Sponsoren ein Problem – und mit ihnen das IOC. Ich fände das persönlich wirklich wunderbar. Sie wissen doch: Viel mehr als eine Chance bekommt man nicht geschenkt in einem Leben wie dem unseren. Alles darüber raus ist (fest) immer zu teuer eingekauft.

  • Immerhin kann man sich auch mal mit den Flüchtlingen freuen, dass sie ein wenig Aufmerksamkeit bekommen und mal etwas schöneres erleben dürfen.