Flüchtlingspolitik in der EU: Am Ende eines verheerenden Jahres
Auf seinem Flüchtlingsforum am Mittwoch will das UNHCR Hilfe für Vertriebene und Aufnahmeländer mobilisieren. Viele Staaten verschärfen ihr Asylrecht.
Jamal koordiniert das am Mittwoch startende Globale Flüchtlingsforum der Vereinten Nationen in Genf. Die Organisation will mit dem Treffen Hilfe für Vertriebene und die Länder und Gemeinden mobilisieren, die sie aufnehmen. Vertreter aus über 100 Ländern, darunter Staats- und Regierungschefs, sollen bei den Beratungen vor allem die Umsetzung des 2018 beschlossenen Globalen Pakts für Flüchtlinge der UN vorantreiben.
Die politischen Bedingungen für das Treffen sind indes schwierig. In vielen Zielländern von Fluchtbewegungen werden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen dieser Tage verschärft.
Die französische Nationalversammlung etwa debattierte am Montag den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes, das unter anderem Abschiebungen erleichtern soll. Dies soll auch Menschen, die bei ihrer Ankunft in Frankreich jünger als 13 Jahre alt waren, sowie ausländische Eltern französischer Kinder betreffen.
Den Rechten noch nicht rechts genug
Präsident Emmanuel Macron hatte ursprünglich ein Gesetz angekündigt, das sowohl die Integration von Migranten fördern als auch das Abschieben erleichtern sollte. Der mehrheitlich rechte Senat hatte jedoch einen zentralen Artikel gekippt, nach dem Migranten, die in Branchen mit Personalmangel arbeiten, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollten. Diskutiert wird, die medizinische Versorgung von Migranten auf Notfälle zu reduzieren. Ein Bündnis aus rechten Parteien und Grünen wies das Vorhaben aber am Montag allerdings vorerst ab.
Einen Tag später warb in Großbritannien Premier Rishi Sunak für Zustimmung zum neuen Asylgesetz. In sozialen Medien forderte Sunak die Abgeordneten auf, „das härteste Gesetz gegen illegale Einwanderung zu unterstützen, das es je gab“. Großbritannien könne damit selbst kontrollieren, wer ins Land komme – „nicht kriminelle Banden oder ausländische Gerichte“. Der Gesetzentwurf soll den Plan wiederbeleben, Asylbewerber ins ostafrikanische Ruanda abzuschieben. Das Oberste Gericht hatte das Vorhaben im November blockiert.
Am Freitag hatten sich die UN mit einer außergewöhnlich deutlichen Stellungnahme gegen neue europäische Pläne zur Flüchtlingsabwehr gestellt. In einem gemeinsamen Gastbeitrag von UNHCR-Direktor Filippo Grandi und der neuen IOM-Chefin Amy Pope heißt es, dass alle Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit an eine Grenze kommen, Zugang zum Hoheitsgebiet erhalten, um Asyl beantragen zu können. „Menschen dieses Recht zu verweigern oder Asylsuchende in Drittländer auszulagern, verstößt gegen das Völkerrecht. Es sind Akte der Grausamkeit“, so Grandi und Pope in dem im Spiegel und dem Time-Magazine veröffentlichten Text.
Asylverfahren in Drittstaaten auslagern
Eine wachsende Zahl europäischer Politiker, unter anderem der Migrationsbeauftragte der rot-grün-gelben Bundesregierung, Joachim Stamp, prüft derzeit Möglichkeiten, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Die CDU will eine entsprechende Forderung in ihr neues Grundsatzprogramm aufnehmen. Ohne eine Beteiligung von UNHCR und IOM sind solche exterritorialen Asylverfahrenszentren allerdings kaum denkbar.
Das Genfer Flüchtlingsforum findet zwischen den zwei womöglich letzten EU-Verhandlungsrunden zu ihrer seit 2014 beratenen Reform des Gemeinsamen Asylsystems GEAS statt. Auf dem Tisch liegt unter anderem ein Konzept zu Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen.
Vor Beginn der Abschlussberatungen am Donnerstag hatte die spanische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, auch Minderjährige ab sechs Jahren diesen Verfahren zu unterziehen. Bisher war ein Mindestalter von 12 Jahren im Gespräch. Die Grünen hatten die Schnellverfahren, die Deutschland 2019 ins Spiel gebracht hatte, lange kategorisch abgelehnt. Im Frühsommer aber stimmte Deutschland im Rat den Kommissionsvorschlägen zu. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 18. Dezember angesetzt.
Gestiegene Zahl von Flüchtenden
Derweil meldete die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Montag für 2023 die höchste Zahl irregulärer Grenzübertritte in der EU seit 2016. Demnach erreichten in den ersten elf Monaten des Jahres insgesamt 355.000 Menschen ohne Einreiseerlaubnis das EU-Territorium – ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Den höchsten Anstieg – um 116 Prozent auf rund 32.400 Menschen – verzeichnete Frontex dabei auf der sogenannten Westafrika-Route aus Ländern wie Senegal und Mauretanien über den Atlantischen Ozean zu den Kanarischen Inseln. Und um 61 Prozent auf rund 153.000 Menschen stieg die Zahl der Ankommenden im zentralen Mittelmeer.
Der politische Druck, diese Zahlen zu senken, ist angesichts der erstarkenden extremen Rechten hoch – und die Skrupel sind oft entsprechend niedrig.
Am Montag etwa berichteten der Spiegel und die Recherche-NGO Lighthouse Reports, dass auch eine mit der russischen Söldnergruppe Wagner in Verbindung stehende libysche Miliz daran beteiligt ist, Flüchtlinge und Migranten auf dem Mittelmeer einzufangen und nach Libyen zurückzutransportieren. Bisher war vor allem bekannt geworden, dass die von der EU und Italien ausgebildete und ausgestattete libysche Küstenwache dies tut. Laut Zählung der UN gab es dabei in diesem Jahr bisher 14.500 solcher Pullbacks auf dem Meer Richtung West- und Zentrallibyen, häufig in direkter Kooperation mit europäischen Stellen.
Wie nun der Spiegel berichtete, fängt auch die dem General Haftar unterstehende und als Foltertruppe bekannte Tareq-bin-Zeyad-Brigade aus Bengasi Flüchtlingsboote ab, die aus der östlichen Mittelmeerregion Richtung Italien und Malta unterwegs sind. Dem Bericht zufolge haben in mindestens drei Fällen Frontex oder maltesische Behörden die Flüchtlingsboote entdeckt, die Haftars Männer anschließend aus der maltesischen Such- und Rettungszone nach Libyen schleppten, wo die Insassen eingesperrt und misshandelt werden. Haftars Männer sind demnach zu Handlangern der EU geworden, obwohl sie selbst am Schleppergeschäft in Libyen beteiligt sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen