Flüchtlingspolitik in Deutschland: Merkels Plan B?
In CDU und CSU glauben nicht mehr viele an Merkels europäische Lösung. Ein Konzept aus Rheinland-Pfalz könnte die Kanzlerin retten.
Klöckner will der SPD das Ministerpräsidentinnenamt in Rheinland-Pfalz abjagen. Ist ihr Plan nur der durchsichtige Versuch einer Wahlkämpferin, ihr Profil zu schärfen? Sicher auch. Aber es gibt einige Hinweise darauf, dass die Ideen aus Mainz in der Bundespolitik noch wichtiger werden könnten, als viele heute denken. Klöckners Strategiepapier, das der taz vorliegt, klingt, als sei es über weite Strecken im Kanzleramt geschrieben worden.
Die CSU rebelliert seit Monaten gegen Merkels Diktum offener Grenzen in Europa, doch auch in der CDU wird es einsam um die Kanzlerin. Merkels Rezepte funktionieren nicht schnell genug. Sie setzt bekanntlich auf eine europäische Lösung, um die Einreise nach Deutschland zu dämpfen. Sie will Staaten wie Griechenland dazu bringen, die Außengrenzen der EU besser zu sichern. Außerdem arbeitet sie an einem Pakt mit der türkischen Regierung. Die Türkei, ein wichtiges Transitland für syrische Flüchtlinge, soll EU-Milliarden bekommen und dafür Flüchtlinge daran hindern, weiterzureisen.
Merkels Problem ist, dass dieser Plan Zeit braucht. Für viele EU-Staaten ist es sehr bequem, dass Deutschland die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Sie sehen keinen Handlungsbedarf. Merkel aber braucht rasche Ergebnisse, auch in der CDU werden die Rufe nach einem Plan B lauter. Nun kommt der besagte Vorstoß Klöckners ins Spiel.
Stets loyal zur Kanzlerin
Die Rheinland-Pfälzerin setzt sich damit keineswegs von Merkel ab. Ausdrücklich versichert sie, eine europäische Lösung sei nach wie vor richtig. Aber sie betont auch: „Gleichzeitig müssen wir jetzt innenpolitisch und in den bilateralen Beziehungen zu Nachbar- und Transitländern einen Schritt weiter gehen.“ Es gehe um ein „zweigleisiges, paralleles Vorgehen“.
Merkel dürfte mit der Veröffentlichung kein Problem haben. Klöckner verhielt sich bisher stets loyal zur Kanzlerin, auch in der Flüchtlingspolitik. „Einfach mal die Klappe halten und arbeiten“, bürstete sie vor einer Woche im CDU-Vorstand die Kritiker der Kanzlerin ab.
Dass sich Klöckner ausgerechnet bei diesem brisanten Thema nicht mit der Kanzlerin abgestimmt hat, ist unwahrscheinlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber, ein bekennender Merkel-Unterstützer, lobte den Plan am Sonntag denn auch demonstrativ. Bereitet Merkel über Klöckner einen Kurswechsel vor?
Das sind die wichtigsten Punkte aus dem Klöckner-Papier, das erst die Ausgangslage analysiert, dann einen Vorschlag und seine Umsetzung beschreibt:
Grenzzentren und Hotspots: Deutschland würde an den Grenzen Grenzzentren einrichten. Nur noch über sie könnten Flüchtlinge einreisen. Diese Idee dockt an die Transitzonen an. Jene hatte die CSU vor einigen Monaten vorgeschlagen, die SPD hatte sie verhindert. Mit Staaten wie Italien, Griechenland oder der Türkei würde Deutschland bilaterale Abkommen über Hotspots abschließen. Dies wären ebenfalls Lager, in denen Flüchtlinge registriert würden. Viele sollen von dort aus freiwillig in ihre Heimat zurückkehren.
All das hieße nichts anderes als eine Abkehr von einer gemeinsamen EU-Strategie. Künftig würde Deutschland unwillige EU-Staaten ignorieren und mit willigen Partnern zusammenarbeiten. Andere Staaten müssen diese Andeutung als handfeste Drohung interpretieren. Offen lässt das Klöckner-Papier allerdings die Gretchenfrage: Was, wenn weiter sehr viele Flüchtlinge über die grüne Grenze einreisen? Müsste Deutschland Zäune an der Grenze bauen? Dazu heißt es nur vage: Jeder nicht registrierte Flüchtling, der ohne Flüchtlingsausweis im Land aufgegriffen werde, werde in die Zentren überführt.
Flexible Kontingente: Deutschland soll „eigene, tagesaktuelle Kontingente“ für Flüchtlinge in den Grenzzentren und Hotspots einführen. „Diese Tageskontingente richten sich nach der Aufnahmefähigkeit der Länder und Kommunen“, heißt es in dem Plan. Eine Reduzierung der Kontingente würde den Anrainerstaaten der Balkanroute und Italien frühzeitig mitgeteilt.
Dies wäre faktisch eine Obergrenze, allerdings eine flexible. Deutschland nähme nur noch eine selbst definierte Zahl an Flüchtlingen auf - und nicht mehr alle, die zufällig vor der deutsch-österreichischen Grenze stehen. Eine Kettenreaktion auf der Balkanroute wäre die Folge, auch andere Staaten würden zumachen, weil sie fürchteten, auf Flüchtlingen sitzen zu bleiben. Wie deutsche Grenzschützer die Einhaltung der Kontingente überwachen sollen, lässt das Papier offen. Die Idee birgt für Merkel einigen Charme, weil sie einen gesichtswahrenden Kompromiss zwischen ihr und Horst Seehofer ermöglicht. Merkel könnte fixe Obergrenzen nach wie vor als Unfug bezeichnen, Seehofer könnte sich dafür loben, eine harte Begrenzung durchgesetzt zu haben.
Anreizsysteme: Das ist eine besonders schlaue - oder, je nach Sicht: besonders perfide - Idee. Die Kontingente sollen größer werden, je größer die Distanz zu Deutschland ist. Ein Flüchtling, der sich in einem Hotspot an türkisch-syrischen Grenze meldet, hätte also größere Chancen auf Asyl in Deutschland als einer, der es bis an die deutsch-österreichische Grenze geschafft hat. Dies lasse den Weg über Schleuser direkt an die deutsche Grenze „weniger chancenreich“ werden, argumentiert das Papier.
Klöckners Plan wurde am Sonntag prompt von der CSU gelobt. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der Passauer Neuen Presse, er gehe in die richtige Richtung. „Über allem bleibt die Botschaft: Schnell den Zustrom begrenzen.“ Merkel selbst hat angekündigt, nach dem anstehenden EU-Gipfel am 18. und 19. Februar eine „Zwischenbilanz“ ziehen zu wollen. Falls bis dahin andere EU-Staaten ihren Kurs weiter blockieren, könnte sie parallel die beschriebenen Maßnahmen anschieben.
Hinter Klöckners Konzept mit der lustigen Überschrift „Plan A 2“ könnte sich also in Wirklichkeit etwas sehr Wichtiges verbergen: Merkels Plan B.
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