Flüchtlingspolitik in Berlin: Abschiebestopp umgangen
Mehr als 150 Menschen wurden in Berlin in diesem Winter abgeschoben. Möglich machen dies weitreichende Ausnahmeregelungen.
Die rot-grün-rote Landesregierung hatte zuvor vereinbart, in der kalten Jahreszeit aus humanitären Gründen vom 1. Januar bis 31. März auf Abschiebungen zu verzichten. Ausgenommen sind Dublin-Rückführungen in EU-Länder sowie Straftäter*innen, worunter alle Menschen fallen, die zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurden.
„Die hohen Zahlen der Abschiebungen trotz Winterabschiebestopp in Berlin zeigen, dass Ausnahmeregelungen zu weit gefasst sind“, sagt der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Jian Omar. Insbesondere die Grenze von 50 Tagessätzen kritisiert er als zu niedrig. Dies führe dazu, dass bereits wegen Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl – aber auch Schwarzfahren – der Abschiebestopp nicht greift.
Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin
Vor dem Hintergrund, dass die Leistungsauszahlung für Geflüchtete in den ersten Wochen oft nicht funktioniere und viele anfangs ohne Geld dastehen, sei diese Praxis besonders fragwürdig, kritisiert Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Auch weil die Familieneinheit nicht beachtet werde. „Das führt zu knallharten Familientrennungen wegen geringfügiger Straftaten“, sagt Classen zur taz.
Innensenatorin hatte Abschiebestopp blockiert
Welche Straftaten genau dazu geführt haben, dass die Betroffenen trotz Abschiebestopp zur Ausreise gezwungen wurden, wird laut Senatsinnenverwaltung statistisch nicht erfasst. Auch nicht, ob es dabei zu Familientrennungen gekommen ist. „Anscheinend möchte man nicht, dass das Parlament genauer auf die Schicksale der Betroffenen schaut“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Vasili Franco.
Die Intransparenz bei der Anwendung der Ausnahmeregelungen hält er für keinen Zufall. „Es stellt sich die Frage, ob die Innenverwaltung bewusst Schlupflöcher zur Umgehung des Abschiebestopps gesucht hat“, sagt Franco. Immerhin habe Innensenatorin Iris Spranger (SPD) den vereinbarten Abschiebestopp zunächst blockiert.
Spranger wollte ursprünglich bis Ende März 600 Menschen nach Moldau abschieben, um in den Unterkünften Platz für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu schaffen. Nach Protesten der Koalitionspartner Linke und Grüne musste sie jedoch zurück rudern. Aus den Zahlen der Innenverwaltung geht nun hervor, dass bis Ende März 46 Moldauer*innen abgeschoben wurden. Seit Ende des Abschiebestopps gab es bereits drei Sammelabschiebungen, bei denen laut „nd“ mindestens 80 weitere Menschen nach Moldau abgeschoben wurden.
Rom*nja werden ins Elend geschickt
Moldau gilt als eines der ärmsten Länder Europas und ist eines der Hauptherkunftsländer von Geflüchteten in Berlin. Ein Großteil von ihnen sind Rom*nja, die in ihrer Heimat strukturell diskriminiert werden. Abschiebungen in das 2,6 Millionen Einwohner*innen-Land werden von Menschenrechtsorganisationen daher scharf kritisiert. Der Berliner Flüchtlingsrat und das BARE-Bündnis gegen Antiziganismus fordern, Abschiebungen nach Moldau aus historischer Verantwortung wegen der Verfolgung und Vernichtung von Rom*nja während der Nazizeit generell auszusetzen.
Jian Omar, Grüne
Zumal das Land zwischen Rumänien und der Ukraine massiv unter den Folgen des russischen Angriffskrieges leidet. „Hunderttausende Geflüchtete aus der Ukraine sind nach Moldau geflüchtet und die Infrastruktur, vor allem die Versorgung mit Strom ist nicht mehr sichergestellt“, so der Grünen-Abgeordnete Jian Omar. Abschiebungen im Winter in Länder wie Moldau seien „Abschiebungen ins Elend“.
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