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Flüchtlingslager in GriechenlandSogar Sechsjährige erwägen Suizid

Zwar kommen weniger Flüchtlinge auf die griechischen Inseln. Im Lager auf Lesbos herrschen dennoch katastrophale Bedingungen.

„Eine humanitäre Katastrophe“: Auf Lesbos gibt es kaum noch Platz für Kinder (Archivbild 2017) Foto: reuters

Athen taz | Längst kommen nicht mehr so viele Flüchtlinge auf die griechischen Inseln wie 2015 – aber die Lage vieler, die da sind, ist katastrophal. Am schlimmsten ist die Situation im sogenannten Hotspot Moria auf der Insel Lesbos. Jetzt schlagen Behörden und Hilfsorganisationen Alarm.

„Was hier geschieht ist eine humanitäre Katastrophe“, sagt Luca Fontana, Sprecher der Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos. Doch werde die Situation nicht mehr – wie im Jahr 2015 – als diese eingestuft. Deshalb seien auch kaum noch Nichtregierungsorganisationen vor Ort.

Auf den fünf Ägäisinseln nahe der Türkei leben derzeit knapp 20.000 Flüchtlinge – etwa 6.500 Menschen mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres – die Zahl der Ankünfte ist wieder gestiegen.

Zwar wurden zwischen Anfang Mai und Ende August 3.950 Flüchtlinge auf das griechische Festland gebracht, so der griechische Migrationsminister Dimitris Vitsas. Allerdings sind im gleichen Zeitraum 5.450 weitere Flüchtlinge angekommen.

„In Moria harren 8.700 Menschen aus, davon etwa 3.000 Kinder und 2.000 Frauen – bei einer Kapazität für maximal 3.100 Menschen“, so Fontana. Knapp 80 Personen pro Toilette und Dusche, die Kanalisationen seien völlig überlastet. Fäkalien strömen aus beschädigten Sanitäranlagen.

EU-Gipfel in Salzburg

Am Mittwochabend kommen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer zu einem Gipfel in Salzburg zusammmen. Über zwei Tage werden sie über Fragen der Migrations- und Flüchtlingspolitik wie über den Brexit verhandeln. (taz)

GesundheitsinspektorInnen machten nun publik, dass das Camp durch die „unkontrollierbaren Abfallmengen“ gesundheitsgefährlich sei. Da der Platz innerhalb der hohen Drahtzäune nicht ausreicht, haben sich die Neuankömmlinge rings um das Camp angesiedelt. Hier gibt es keine Container. Sie leben in einfachen Zelten oder schlafen unter aufgespannten Planen.

Dem Schicksal ausgeliefert

Zwar gibt es im Hotspot einen abgesperrten Bereich für Frauen und Kinder, doch der ist längst überfüllt. Zahlreiche Mütter, Kinder sowie unbegleitete Minderjährige müssen sich dem Campalltag stellen. Immer wieder kommt es zu körperlicher Gewallt, auch zu sexuellen Übergriffen. „Die Regierung bietet keinerlei Schutz“, sagt Fontana. Es gibt immer mehr Suizidversuche. Selbst Kinder im Alter von sechs bis acht Jahren wollen sich das Leben nehmen, berichtet Fontana. Er beobachtet, wie ausgeliefert die Menschen ihrem Schicksal sind. Bereits im vergangenen Jahr warnten Ärzte ohne Grenzen, dass die Zahl der Behandlungen wegen schwerer psychischer Probleme um etwa 50 Prozent zugenommen habe. Heute sind es noch mehr.

Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, warnte nun vor einer „sozialen Explosion“. Einwohner und Flüchtlinge sind mehr als überfordert mit der Situation.

Mehrere Hilfsorganisation hatten Ende August in einer öffentlichen Stellungnahme auf eine Entlastung der Inseln gedrängt. Die Asylverfahren müssten schneller durchgeführt werden, um die Menschen von den Inseln aufs Festland zu bringen. Die griechische Regierung verweist auf mangelnde Kapazitäten. Manche der Flüchtlinge in Moria warten bereits über zwei Jahre auf ihren Bescheid.

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4 Kommentare

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  • Hmm? Griechenlands Zivilgesellschaft ist ohne Zweifel arg überfordert! Durch Schulden, hove Steuern, Rentenkürzungen und billige Löhne! Als nordeuropäischer 'Urlauber' zzt in Hellas, bin ich betreten, zu sehen wie Griechen sich in unterbezahlter Lohnarbeit kaputtmachen! Die EU Hilfen weg en der Misere der Flüchtlinge muss besser koordineret werde!

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Frage mich, was die 180Mio EUR Soforthilfe der EU-Kommission vom April dieses Jahres bewirkt haben? Zu wenig, im Korruptionssumpf verschwunden, zu inkompetent, die Mittel sinnvoll zu verwenden?

    "Die EU-Kommission stellt Griechenland weitere 180 Millionen Euro Soforthilfe zur Integration von Flüchtlingen zur Verfügung. Mit dem Geld soll unter anderem ein Programm aufgestockt werden, das die Unterbringung von Asylbewerbern in Städten fördert. .... kann die Kommission seit März 2016 Soforthilfe auch innerhalb der EU leisten. Bislang habe Griechenland 605,3 Millionen Euro erhalten, hieß es."

    www.zeit.de/politi...hilfe-griechenland

  • Also muss eine europäische Lösung her. Wäre mal gut, dass Länder wie Griechenland mal diese Diskussion führen. Sozusagen auf Augenhöhe mit Hern Orbán. Dann wäre Deutschland mal nicht der Doofe in dem Spiel.

    Alternativ könnte ja ein Finanzschlüssel erstellt werden, in dem jedes Land seine lokalen Aufnahmekosten je Flüchtling untereinander verrechnet bekommt. Länder mit relativ zur Bevölkerung überdurchschnittlichen Aufnehmer wären Nettoempfänger.



    Wäre bei angenommen 500 Tsd. Flüchtlingen über dem relativen EU-Durchschnitt bei 25Tsd. Euro je Flüchtling/Jahr satte 12 Milliarden pro Jahr die Deutschland erhält. Wäre vielleicht eine Motivation zur Mehraufnahme in anderen Ländern und in D könnten in Integrationsmassnahmen intensiviert werden.:-)