Flüchtlingslager Moria in Flammen: Moria ist abgebrannt
Das größte griechische Geflüchtetenlager Moria auf der Insel Lesbos ist fast vollständig verbrannt. Die 12.600 Bewohner werden evakuiert.
Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie auch in der Landschaft der Umgebung ausgebrochen. Der AFP-Fotograf berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne.
Schon in der Nacht begannen die Behörden laut griechischen Medienberichten mit der Evakuierung des Lagers, nachdem Wohncontainer Feuer gefangen hatten. Über Verletzte oder gar Tote gab es zunächst keine Informationen. In Tweets einiger vorort tätiger Hilfsorganisationen war von Toten und Verletzten die Rede, ohne dass das jedoch zunächst bestätigt wurde.
Moria ist das größte Flüchtlingslager Griechenlands und Europas. Es ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt leben dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten – bei einer Kapazität von gerade einmal 2.800 Plätzen.
Wer die Brände gelegt hat, blieb zunächst unklar
Vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Coronafall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.
Ob die Brände von Flüchtlingen oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb vorerst unklar – die Angaben dazu gingen zunächst auseinander. Auf rechten Socia-Media-Accounts ist jedoch bereits von einem „Erpressungsversuch illegaler Migranten“ zu lesen, und es wird die Vermutung nahegelegt, dass der Brand in Moria mit der wenige Tage zuvor gestarteten „Wir haben Platz“-Kampagne zugunsten der Aufnahme der Menschen aus Moria in Deutschland zusammenhängen könnte.
Der grüne Europa-Abgeordnete Erik Marquardt schrieb auf Twitter: „Ich weiß nicht, wer die Feuer gelegt hat. Aber ich weiß, dass viele wollen, dass dieser entwürdigende Ort nicht mehr existiert. Wir haben politisch versagt, jahrelang.“
Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die „Bye-bye, Moria!“ sangen.
Corona ließ die Spannungen im Lager explodieren
Viele der mehr als 12.000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben. Am Morgen wurde berichtet, die meisten harrten unter Polizeibewachung auf einer Autobahn aus.
Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Coronaproblematik sei die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.
Hilfsorganisationen fordern schon seit geraumer Zeit die Evakuierung des Lagers. Mehrere deutsche Bundesländer hatten sich bereit erklärt, Menschen aus dem Lager aufzunehmen. Das scheiterte jedoch am Widerstand des Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU).
Pistorius verlangt Auflösung
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat nach dem Ausbruch der Brände die Auflösung des Lagers gefordert. „Ich fordere die Bundesregierung und die europäischen Staaten auf, das Lager aufzulösen und die Menschen über die EU zu verteilen, damit sie dann in Europa ihr Asylverfahren durchlaufen können“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch. „Das Feuer im Lager Moria auf Lesbos ist eine Tragödie. Es trifft die Schwächsten.“ Das überfüllte Lager sei das „Symbol für das Versagen europäischer Flüchtlingspolitik. Sie hat die Menschen vor Ort quasi zu Gefangenen gemacht“.
Pistorius betonte: „Meine Gedanken sind bei den Menschen, die in ohnehin auswegloser Situation mit der nächsten Katastrophe konfrontiert sind.“ Er forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Mitgliedstaaten dazu auf, alles zu tun, damit den Menschen geholfen werde. Auch verlangte er, noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein System der Flüchtlingsverteilung umzusetzen, das „endlich klare Antworten auf die seit Jahren bekannten Fragen gibt“. Dieses System müsse EU-Staaten, die entgegen der humanitären Grundsätze Europas nicht dazu bereit seien, Menschen aufzunehmen, „drastisch“ in Haftung nehmen.
„Bei meinen beiden Besuchen auf Lesbos war die Situation in Moria schon völlig inakzeptabel, nach diesem Brand jetzt vor dem Winter wird es Zeit, diesem unwürdigen, lebensgefährlichen Schauspiel ein Ende zu setzen“, sagte Pistorius. „Die EU muss sich daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten umgeht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe