Flüchtlingskrise der EU: Nichts geht ohne Ankara
Immer lauter wird vor einem Scheitern in der Flüchtlingskrise gewarnt. Dabei liegen die Positionen in der EU gar nicht so weit auseinander.
Ist die Lage wirklich schon so ernst? Oder dient die alarmierende Rhetorik vor allem dazu, die 28 EU-Staaten vor dem nächsten Sondergipfel mit der Türkei am 7. März zur Ordnung zu rufen? Bis zu diesem Datum müssten sich alle Beteiligten zusammenraufen, da sind sich Merkel, Asselborn und Avramopoulos einig.
Auf den ersten Blick scheint dies fast unmöglich. Seit Mazedonien seine Grenze zu Griechenland abgeriegelt hat, gerät die Lage zunehmend außer Kontrolle. Österreich hat Merkels „Koalition der Willigen“ verlassen und macht nun mit den Balkanländern gemeinsame Sache, teilweise auch mit den Osteuropäern.
De facto allerdings liegen die Positionen in der EU gar nicht so weit auseinander. Einigkeit besteht darüber, dass die Zahl der Flüchtlinge drastisch reduziert werden soll – und zwar vor Beginn des Frühlings, wenn wieder mehr Menschen die gefährliche Flucht übers Meer wagen dürften.
Unterschiede gibt es vor allem in der Methode. Österreich und die Staaten entlang der Balkanroute glauben nicht mehr an die EU-Lösung, die Merkel und Kommissionschef Jean-Claude Juncker versprechen. Daher haben sie selbst Maßnahmen ergriffen, um den Zustrom zu begrenzen. Davon profitiert auch Deutschland: Schon jetzt kommen kaum noch Flüchtlinge aus Österreich über die bayerische Grenze – und wenn doch, dann nur noch die „richtigen“.
Spiel mit dem Feuer
Schon vor Wochen hatte die Bundesregierung signalisiert, dass sie keine Afghanen und keine Migranten mit Reiseziel Schweden mehr aufnehmen will. Österreich und Mazedonien haben sich an diese Vorgabe gehalten – und sieben die „falschen“ Migranten aus.
Was Asselborn als „Anarchie“ kritisiert, folgt also nachvollziehbaren Mustern, deutschen Wünschen – und teilweise sogar EU-Beschlüssen. So berufen sich sowohl Österreich als auch die Balkanländer auf das schon im Herbst vereinbarte Ende der „Politik des Durchwinkens“, das auch Merkel gefordert hatte.
Auch den „Schutz der Außengrenze“ hat die EU beschlossen. Allerdings war damit die Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland gemeint – nicht die Schengen-Außengrenze zwischen Griechenland und Mazedonien. Die völlig dicht zu machen, wie es Wien jetzt offenbar plant, hätte fatale Folgen: Griechenland würde zum Flüchtlingslager der EU, humanitäre und politische Krisen wären vorprogrammiert.
Österreich und die Balkanstaaten spielen also mit dem Feuer – und die harte Reaktion Athens ist durchaus verständlich. Selbst die Drohung von Premier Alexis Tsipras, beim EU-Sondergipfel in einer Woche alle Beschlüsse zu blockieren, ist nachvollziehbar.
Ein Desaster droht
Schwer nachvollziehbar ist hingegen, worauf Merkel hinauswill. Sie setzt mehr denn je auf die Türkei, um den Zustrom zu begrenzen. Doch Ankara fordert im Gegenzug, dass die EU ihr Kontingente von Flüchtlingen abnimmt. Von einer Million Menschen ist da die Rede – das kann selbst Merkel nie und nimmer durchsetzen.
Sollte die Türkei auch beim Sondergipfel am 7. März auf dieser Maximalposition beharren, dann wird es keine Einigung geben. Dann droht in der Tat ein Desaster. Vielleicht wäre es deshalb an der Zeit, Druck auf Ankara aufzubauen. Die Türkei muss endlich den Aktionsplan umsetzen, den sie im November mit der EU vereinbart hat.
Doch darüber spricht derzeit niemand in Brüssel. Auch Merkel, die die Türkei überhaupt erst ins Boot geholt hat, sagte davon kein Wort. Die „türkisch-europäische Lösung“, die die Kanzlerin immer noch beschwört, ist bisher nicht viel mehr als ein frommer Wunsch.
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