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Flüchtlingskosten und Staatsfinanzen„Schwarze Null darf kein Dogma sein“

Was kostet die Integration von Flüchtlingen und wer zahlt dafür? Die Berliner SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe will die Schuldenbremse aussetzen.

„Viel größer sind die Probleme bei den Gemeinden“: Flüchtlingseinrichtung im rheinland-pfälzischen Bitburg. Foto: dpa
Interview von Martin Reeh

taz: Die Grünen haben den zusätzlichen Finanzbedarf wegen der Flüchtlinge auf 20 Milliarden Euro bis 2020 veranschlagt. Sie wollen ohne Steuern und neue Schulden auskommen. Halten Sie das für realistisch?

Cansel Kiziltepe: Nicht wirklich. Der Deutsche Städtetag schätzt die Kosten in diesem Jahr nur für Länder und Kommunen auf 7 bis 16 Milliarden Euro. Ich vermute aber, dass es mehr wird, da sich die Erkenntnis durchsetzt, dass höhere Investitionen in Integration, Bildung, Wohnungsbau und Sicherheit unumgänglich sind.

Finanzminister Wolfgang Schäuble setzt darauf, auch in diesem Jahr ohne Neuverschuldung auszukommen.

Die „Schwarze Null“ könnte 2016 letztmalig gelingen, da er 2015 gut 5 Milliarden Euro in eine Rücklage verschoben hat. Sinnvoll ist diese Politik dennoch nicht, da die Schuldenbremse dem Bund ein Defizit von 10 Milliarden erlaubt. Dieses Geld sollte besser in die marode Infrastruktur investiert werden. Auch die Länder sollten aktuell bestehende Spielräume nutzen. Viel größer sind die Probleme bei den Gemeinden. Den Ländern wurden Finanzzusagen über 670 Euro pro Flüchtling im Monat gemacht, aber das reicht nicht einmal für die Registrierung, Erstversorgung und Unterbringung aus. Und offen ist, ob alle Länder das Geld weiterreichen.

Warum können die Kommunen das Geld nicht aus den laufenden Einnahmen zahlen?

Bereits jetzt ist es so, dass viele Kommunen besonders in NRW hohe Kassenkredite haben ...

... das sind Dispokredite ...

... weil sie nicht mehr in der Lage sind, die laufenden Ausgaben aus den Einnahmen zu bestreiten. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren kommunale Zuschüsse und Zuweisungen massiv reduziert. Es kann von einem regelrechten Schuldenexport in die Kommunen gesprochen werden. Viele Länder stehen unter enormen Konsolidierungsdruck, da die Schuldenbremse ab 2020 gilt.

Im Interview: Cansel Kiziltepe

Cansel Kiziltepe ist seit 2013 SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Finanzausschuss. Sie wurde 1975 als Tochter einer Gastarbeiterfamilie in Berlin geboren. Kiziltepe war 2005 bis 2012 Mitarbeiterin Ottmar Schreiners und zählt zur SPD-Linken.

Was tun? Linke Sozialdemokraten fordern dann gerne die Vermögensteuer.

Ich wäre schon froh, wenn wir eine verfassungskonforme Reform der Erbschaftsteuer hinbekämen, so dass auch große Betriebsvermögen endlich besteuert werden. Die Länder bekämen so zusätzlich 5 Milliarden Euro in die Kassen. Mit der Union ist das aber nicht zu machen. Wenn die Länder zukünftig vor der Wahl stehen, die Schuldenbremse einzuhalten oder den Kommunen Geld für Integration zu geben, dann sollten sie letzteres tun. Die nächste Generation wird es ihnen danken.

Ist es verfassungskonform, die Schuldenbremse zu umgehen?

Es gibt im Grundgesetz die Regelung, dass die Länder in Notsituationen – wenn sie diese nicht beeinflussen können – von der Schuldenbremse abweichen dürfen. Es muss dann ein Tilgungsplan erstellt werden. Die aktuelle Flüchtlingskrise ist eine solche Notsituation.

Die Schuldenbremse ist eine Heilige Kuh der SPD. Wen haben Sie in Ihrer Partei als Verbündeten?

Das ist zugegebenermaßen schwierig. Als die Schuldenbremse beschlossen wurde, war ich noch nicht im Bundestag. Aber nun ist sie beschlossen, und das Argument, wir dürfen die folgenden Generationen nicht belasten, kommt in der Öffentlichkeit meist gut an. Es hat aber Folgen, wenn wir nicht in die Zukunft, also in Bildung und Infrastruktur und die Integration der Menschen investieren können. Das verursacht in der Zukunft noch mehr Kosten. Deshalb ist für mich die „Schwarze Null“ kein Selbstzweck und darf kein Dogma sein.

Die Bundesregierung will die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Brauchen wir dann noch mehr Geld?

Noch haben wir keine Einigung auf europäischer Ebene. Es ist kurz vor dem Frühjahr, die Wanderungsbewegungen werden wieder zunehmen, weil die Kälte nachlässt. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Kosten steigen werden.

Muss auch das Land Berlin die Schuldenbremse umgehen?

Berlin plant für 2016 und 2017 ohne Neuverschuldung. Aktuell dürfte Berlin nach der Konsolidierungsvereinbarung, die mit dem Bund geschlossen wurde, sogar neue Schulden in Höhe von 800 Millionen Euro machen. Ob die Schuldenbremse aber nach 2020 eingehalten werden kann, wird sich zeigen. Das hängt von der weiteren Migration, der Steuerpolitik auf Bundesebene und auch von der Konjunktur ab. Wichtig ist, dass nicht an der Integration und auch nicht am sozialen Zusammenhalt gespart wird.

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5 Kommentare

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  • Bei diesem Thema frage ich mich: bei WEM stehen die Staaten in der Schuld? Brauchen die Schuldner wirklich das Geld zurück?

    Ich vermute die Schuldner sitzen in dem Bus der reichsten 1 %, kassieren jähren Milliarden an Zinsen und üben über die Zinspolitik auch noch einen erheblichen Einfluss auf politische Prozesse aus. Der Wirtschaftswissenschaftler und Politloge David Graeber lieferte mit dem Buch ‚Schulden: die ersten 5000 Jahre‘ wirklich einen spannende Beitrag zur Austeritätspolitik, in dem er das Konstrukt Schulden und den Schuldendienst selbst hinterfragt. Alternativen - wie der Schuldenschnitt - gibt es durchaus! Leider fehlt es den Vertreter_innen jenseits von Keynes und Friedmann noch an der entsprechenden Handlungsmacht.

    Wir müssen doch verstehen lernen, dass Menschenwürde weit mehr zählt als undurchsichtige Zahlenkombinationen. Vielleicht können dann Menschen, die vor Krieg in die EU Staaten flüchten tatsächlich humanitäre Unterstützung erhalten. Hier habe ich den Eindruck, der Wunsch frei von Gewalt und Angst zu leben sei - je nach Nationalität - eine Straftat.

  • Die schwarze Null sollte sehr wohl ein Dogma sein. Denn was heißt es anderes? Wenn wir immer mehr Schulden machen führt das zu immer höheren Zinsbelastungen und zu immer mehr Macht der Banken.

     

    Die schwarze Null sollte ein Dogma sein. Unser Staat sollte die Ausgaben, die er für Infrastruktur und eigene Wertevorstellungen aufwenden möchte, auch als Einnahmen verbuchen können. Nun ist über den Umfang unserer Ausgaben nur bedingt diskutierbar. Da gibt es Sorgfaltspflichten und Vorgaben des Grundgesetzes. Ein bißchen politischen Willen schon auch, aber der größte Teil der Ausgaben ist gesetzt.

     

    Mehr Spielraum gibt es bei den Einnahmen. Und da ist es die Aufgabe unserer Politiker, dafür zu sorgen, dass alle in unserem Staat im Rahmen ihrer Möglichkeiten ("Solidaritätsprinzip") zu diesen Einnahmen beitragen. Dazu können und müssen Steuererhöhungen gehören (Abgeltunssteuer weg und durch Einkommenssteuer ersetzen, Finanztransaktionssteuer ...). Vor allem gehört da aber dazu, das Kapital zu beteiligen. Steuerflucht von Konzernen muss eingedämmt werden. Die vermögensverwaltende GmbH als Steuerschlupfloch muss abgeschafft werden.

     

    Die stetige Neuverschuldung heißt vor allem eines: Weil der kleine Steuerzahler die Kosten nicht tragen kann, werden neue Schulden gemacht, die dann wiederum der kleine Steuerzahler bedienen muss. Die Superreichen bleiben außen vor.

     

    Daher: Die schwarze Null muss das Dogma der Finanzpolitik sein. Nur sollte man mal anfangen, von der anderen Seite zu kommen.

    Freilich, man kann an einigen Stellen auch sehr gut über Sparmaßnahmen nachdenken (Eurohawks z. B.) und sollte um effiziente Mittelverwendung kämpfen. Aber diese Diskussion um die Flüchtlinge, die die schwarze Null riskieren ist verfehlt. Wir haben uns Werte gegeben und diese Werte dürfen auch was kosten. Nicht umsonst sagt man: was nichts kostet ist nichts Wert. Bzw. passender: Was nichts kosten darf, ist kein Wert.

  • Die "Schwarze Null", also einen Haushalt der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Kommunen) sowie der Sozialversicherung (gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Rentenversichung, gesetzliche Arbeitslosenversicherung) ohne Neuverschuldung, sei kein Selbstzweck und dürfe kein Dogma sein, sagt die Finanzexpertin der SPD.

     

    Das Problem dabei ist nur, dass beim Wahlvolk das genau so gesehen wird; und dass das Wahlvolk jegliche ökonomische Argumentation, die erklärt, weshalb die Finanzexpertin der SPD inhaltlich recht hat, nicht hören möchte.

     

    Die linke Politik hat eben kein schlüssiges und nachvollziehbares Programm, wie der zweite Teil der Keynes'schen Theorie, nämlich den Abbau der Schulden, umgesetzt werden kann bzw. umgesetzt werden soll.

     

    So lange gilt der Satz "heutige Schulden sind die Steuererhöhungen von morgen" - und wer wird schon bei Wahlen für Steuererhöhungen stimmen?

    • 7G
      73176 (Profil gelöscht)
      @Der Allgäuer:

      Vorab: Keynes hat seine Theorie über höhere Staatsausgaben während einer Rezession darauf basiert, dass KEINE strukturellen Probleme vorliegen.

      Zweitens kann eine keynesianische Politik nicht funktionieren, da die Staatsausgaben normalerweise nur indirekt über zukünftig höhere Steuern zurückfließen und der zukünftige Zahlungsstrom nicht ausreicht, um die Schulden (Tilgungen + Zinsen) zu bedienen. Letztendlich fällt man in ein Loch: Weil man heute Schulden aufnimmt, muss man in der Zukunft Zinsen leisten, womit zukünftiger Konsum eingeschränkt wird.

      Des Weiteren darf man die Menschen nicht vergessen. Während einer Rezession verlieren normalerweise trotz höhere Staatsausgaben Menschen ihren Job, müssen sparen etc. Erklären Sie als Politiker doch mal, dass die Menschen dann in einer Boomphase weiter sparen sollen, um die Schulden zu bedienen.

      Letztendlich führt keynesianische Wirtschaftspolitik immer zu höheren Staatsschulden.

      Richtig spannend wird es aber erst, wenn die Schulden refinanziert werden (sog. roll-over): Wenn die Zinsen steigen und die alten Schulden (mit niedrigem Zinssatz) durch neue Schulden (nun teurer) refinanziert werden, kollabiert der Staat.

      Des Wegen ist die Forderung, Deutschland solle die Phase niedriger Zinsen nutzen, um sich zu verschulden irreführend. Irgendwann steigen die Zinsen wieder. Wenn dann Deutschland seine nun aufgenommenen Schulden (heute: teilweise negative Zinsen) später mit neuen Schulden (höhere Zinsen) refinanziert, schießen die Ausgaben für Zinsen in die Höhe.

  • Wenn andere EU-Länder die Lasten nicht solidarisch tragen und sich nicht an gemachte Absprachen halten, dann sollen diese sich wenigstens an den Kosten beteiligen, bzw. Deutschland weniger an diese Länder überweisen. Das wäre dann aber vermutlich das Ende der EU.