Flüchtlings-Dolmetscherin über Traumata: „Frauen brauchen Dolmetscherinnen“

Barbara Katz-Zargarizadeh übersetzt in der Trauma-Therapie afghanischer und iranischer Flüchtlinge. Da muss sie viele Gewalt-Erfahrungen teilen.

Barbara Katz-Zargarizadeh in der Hafencity

Hat eine labile Klientin in den Kreissaal begleitet: Barbara Katz-Zargarizadeh Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Katz-Zargarizadeh, Sie dolmetschen in der Trauma-Therapie afghanischer und iranischer Flüchtlinge. Warum belasten Sie sich damit?

Barbara Katz-Zargarizadeh: Weil es hierzulande viel zu wenig iranische oder afghanische Psychotherapeuten und Psychiater gibt, die diese Menschen direkt – ohne Sprachmittler – in ihrer Muttersprache versorgen könnten. Das wäre die beste Lösung, aber solange das nicht der Fall ist, baue ich zusammen mit meinen KollegInnen gern die sprachliche und kulturelle Brücke. Es ist einfach unbedingt erforderlich.

Warum?

Die Flüchtlinge kommen mit so viel im Rucksack her – schlimme Erfahrungen in der Heimat und auf der Flucht, schwierige Erfahrungen hier, im Ankunftsland. Da muss man sich einfach bemühen, zumindest einigen von ihnen ein Ventil zu liefern. Außerdem kann dieser psychische Ballast sehr konfliktträchtig sein. Es ist also auch im Interesse der Mehrheitsgesellschaft, dass diese Menschen psychologisch betreut werden.

Woher können Sie Persisch beziehungsweise Farsi?

Ich war mit einem Iraner verheiratet und habe mich – auch, weil unsere Kinder bikulturell aufwachsen sollten – intensiv damit beschäftigt. Ich war bereits Diplom-Dolmetscherin für Englisch und Französisch und wollte eigentlich noch einen Abschluss in Farsi machen, um auch in dieser Sprache hauptberuflich arbeiten zu können. Aber als ich mich 2012 darum bemühte, bot keine Universität in Deutschland ein Farsi-Dolmetscherstudium an. Ich habe mir dann weiterhin privat gute Lehrer gesucht – und natürlich viel bei Besuchen im Iran und durch Kontakte mit Iranern hier in Deutschland gelernt.

Und wie kamen Sie zum Dolmetschen in der Trauma-Therapie?

Über die Anfrage einer Hamburger Flüchtlings-Erstaufnahme im Oktober 2015. Ich habe erst gezögert, weil ich keine Persisch-Muttersprachlerin bin und noch nie in diesem Bereich gedolmetscht hatte. Dann habe ich mir gesagt: Du bringst das erforderliche Sprachniveau mit und hast gelernt, was professionelles Dolmetschen bedeutet: das Gesagte unter Kenntnis der kulturellen Besonderheiten korrekt und ohne Weglassungen oder Hinzufügungen übersetzen. Die eigene Meinung außen vor lassen, Vertraulichkeit wahren. Das wollte ich sichergestellt wissen. Deshalb habe ich zugesagt und gleichzeitig begonnen, mich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen.

Wie verlief der Start?

Jahrgang 1958, ist freiberufliche Dolmetscherin und Fachübersetzerin für Englisch und Französisch in Hamburg und spricht fließend Farsi.

Erstaunlich gut. Mit der Trauma-Therapeutin stimmte die Chemie von Anfang an. Im Vorgespräch habe ich ihr erklärt, wie ich arbeite: Wenn ich etwas nicht verstehe – weil es ein Dialekt ist oder ich den Begriff oder kulturellen Hintergrund nicht kenne –, dann sage ich das. Auch das ist ein professioneller Zugang. Es kommt leider immer wieder vor, dass ungeschulte Laiensprachmittler sich nicht so verhalten – aus Angst, sich eine Blöße zu geben. Aber das kann schwerwiegende Folgen haben.

Ist die Dreier-Konstellation nicht schwierig für eine Therapie-Situation?

Ja, und zwar sowohl für den Behandler als auch für den Klienten. Für den Behandler – sei er Psychotherapeut oder Psychiater – ist es meist ungewohnt, nicht allein mit dem Klienten zu arbeiten. Und auch wenn ich es bei „meiner“ Therapeutin nicht gespürt habe: Manch ein Behandler fürchtet, die Kontrolle über das Gespräch zu verlieren. Denn der Klient nimmt den Dolmetscher als die Person wahr, die seine Sprache spricht und seine Kultur kennt. Das schafft Nähe, und deshalb schaut er eher ihn an als den Therapeuten. Der ist aber auf Blickkontakt angewiesen, um zu spüren, in welche Bahnen er das Gespräch lenken muss. Dieser Blickkontakt zwischen dem Behandler und dem Klienten muss also immer wieder hergestellt werden.

Und wie ist es für die Klienten?

Auch ihnen fällt es möglicherweise schwer, sich zwei Personen zu öffnen. Oft erlebe ich auch zunächst Erstaunen, weil ich so gar nicht iranisch oder afghanisch aussehe und trotzdem dolmetschen will. Dann erzähle ich kurz, warum ich Farsi spreche, und bisher haben alle Klienten dann schnell Vertrauen gefasst. Außerdem wird gleich zu Beginn klargemacht, dass alles, was gesagt wird, von mir absolut vertraulich behandelt wird.

Ist Ihr Frausein für manche Klienten ein Problem?

Das habe ich noch nie erlebt. Ich habe das Gefühl, dass Männer manche Dinge vielleicht sogar leichter sagen können, wenn da eine Frau als Dolmetscherin sitzt. Bei Frauen sollte meiner Erfahrung nach generell darauf geachtet werden, dass sie in der Trauma-Therapie weibliche Sprachmittler bekommen. Außerdem hilft es manchmal, wenn da nicht ein Dolmetscher aus der eigenen Kultur sitzt.

Geht es um Tabu-Themen?

Ja. Da ist zum einen – zum Beispiel in Afghanistan – die in der eigenen Kultur oft geduldete häusliche Gewalt gegen Frauen. Und das nicht nur durch den Ehemann, sondern auch durch Männer aus der Schwiegerfamilie. Ein weiteres Tabu-Thema ist der Schwangerschaftsabbruch. In einem mir bekannten Fall war der Ehemann einverstanden. Aber die Schwiegermutter verbot es und die Schwangere beugte sich. Stark tabuisiert ist auch sexualisierte Gewalt gegen Jungen und Männer durch Männer.

Und wie ertragen Sie all diese schrecklichen Geschichten?

Die Antwort ist nicht ganz leicht. Als ich 2015 anfing, hat mich die Therapeutin, mit der ich zusammenarbeitete, oft aufgefangen. Wenn ich etwas sehr Schlimmes gedolmetscht habe, hat sie hinterher gefragt, ob wir drüber reden sollen. Diese Gespräche waren sehr wichtig für mich.

Wäre das nicht Aufgabe einer „Supervision“?

Ja, aber die Erstaufnahme-Einrichtung bot das für Honorarkräfte wie mich nicht an. Glücklicherweise bin ich dann auf den Hamburger Verein „Seelische Gesundheit – Migration und Flucht“, kurz Segemi, gestoßen, der sich 2015 gegründet hatte. In einem bundesweiten Pilotprojekt hat er einen Sprachmittlerpool für die ambulante Psychotherapie aufgebaut und maßgeblich zur Akzeptanz von Sprachmittlern in der Therapie beigetragen. Neben Fortbildungen bietet Segemi auch eine Supervisionsgruppe an, geleitet von einem Psychotherapeuten der Hamburger Uniklinik (UKE). Das hilft enorm.

Was genau hilft?

Schon das Aussprechen dessen, was – obwohl es nicht meins ist – auf meinen Schultern lastet, löst Spannungen und hilft, Abstand zu gewinnen. Dazu kommt die Erfahrung, dass alle in dieser Runde solche „Rucksäcke“ tragen. Unter fachlicher Anleitung lernen wir, damit umzugehen. Aber damit kein irriger Eindruck entsteht: Trauma-Dolmetschen belastet nicht nur, sondern ist auch bereichernd.

Inwiefern?

Ich empfinde zum Beispiel große Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Land lebe, wo ich geschützt bin und viele dieser Probleme nicht habe. Dankbarkeit auch dafür, dass ich den Betroffenen durch mein Dolmetschen helfen kann. Außerdem berührt mich das Vertrauen, das die Menschen mir schenken. Das fängt an mit einem Dankeschön und kann bis zur Umarmung bei Begrüßung oder Verabschiedung gehen, wie in der afghanisch-iranischen Kultur üblich. Da überlege ich dann: „Ist das nicht zu nah? Du bist ja nur als Sprachmittlerin hier.“ Aber manchmal erwidere ich die Geste, je nach Situation.

Ein schmaler Grat.

Ja, ich bemühe mich um professionellen Abstand, aber es ist manchmal schwer durchzuhalten – zumal ich ohnehin schwer Nein sagen kann. Ich erinnere mich an eine der ersten Afghaninnen, die ich, zusammen mit ihrem Mann, in der Trauma-Therapie erlebte. Dann wurde sie schwanger und überlegte, ob sie es unter diesen schwierigen Bedingungen durchziehen sollte. Sie tat es. Es wurde eine Risikoschwangerschaft, und ich begleitete sie zu den gynäkologischen Untersuchungen. Nach Suizidgedanken habe ich mit ihr in der Notaufnahme gesessen. Irgendwann habe ich ihr meine Telefonnummer gegeben.

Das ist sehr privat.

In der Tat wird stets davon abgeraten, damit man nicht bedrängt wird, weitergehende Hilfen zu leisten – was tatsächlich passiert, denn natürlich klammern sich diese Menschen an uns Dolmetscher, sie kennen hier ja sonst kaum jemanden. In diesem Fall dachte ich aber: Sie kann kein Deutsch und muss mich in dieser kritischen Situation erreichen können. Ich habe dann auch die Geburt miterlebt.

Nicht ihr Mann?

Nein. In Afghanistan sind Männer ganz selten bei der Geburt dabei. In der Heimat wären andere Frauen bei ihr – ihre Mutter, eine Tante. Hier hatte sie keine von ihnen. Wegen der Labilität der Patientin hat mir der Arzt erlaubt, mit in den Kreißsaal zu kommen.

Haben Sie noch Kontakt?

Ja, sie hat mich zum ersten Geburtstag ihres Kindes eingeladen, weil ich doch die „Oma“ ihres Kindes sei. Ich bin hingegangen, habe aber gesagt: Ich bin nur eine Freundin.

Besuchen Sie generell keine Klienten?

Abgesehen von diesem einen Fall nicht. Ein anderes Mal wollte mich zum Beispiel eine afghanische Familie zum Essen einladen. Ich wusste, dass sie groß auftischen würden, weil Gastfreundschaft Teil ihrer Kultur ist. Sie haben aber nicht viel Geld, und ich wollte sie nicht in die Bredouille bringen. Außerdem habe ich immer wieder Neid unter den Frauen erlebt. Ich wollte aber in der Unterkunft kein böses Blut säen, indem ich die eine besuchte und die andere nicht. Denn diese Frauen brauchen einander, die müssen zusammenhalten. So habe ich meine Absage auch begründet.

Wie kam das an?

Ich weiß es nicht genau. Diese Dinge sind schwer zu vermitteln. Ein Nein wird auch schon mal als Affront empfunden.

Was wissen Sie über psychologische Hilfe in den Herkunftsländern der Klienten?

Ich bin nicht vom Fach, habe aber nach allem, was ich dazu gelesen habe, den Eindruck, dass die Versorgung zumindest in Afghanistan schlecht ist. Wenn überhaupt bekommen die Menschen „Hammer“-Medikamente und mehr passiert nicht.

Woraus schließen Sie das?

Wenn hier im Rahmen der Trauma-Therapie gesagt wird: „Es wäre gut, wenn Sie zusätzlich ein unterstützendes Medikament nähmen“, erlebe ich oft, dass die Klienten scharf die Luft einsaugen oder ablehnend schauen und sagen: „Ich habe Angst, dass ich abhängig werde.“

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