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Technologie der Abweisung: Seit 2022 steht der hochgerüstete Zaun an der polnisch-belarussischen Grenze Foto: Maciek Luczniewski/picture alliance

Flüchtlinge zweiter Klasse in PolenTod oder Klaviermusik

Polen bekommt für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge viel Lob. Doch Menschen aus anderen Ländern müssen die Grenze fürchten. Zara will trotzdem helfen.

M ir wurde schwindelig, als ich den Zaun gesehen habe. Fünfeinhalb Meter hohe Metallstäbe, darüber Natodraht. Das ist einfach ein unmenschlicher Anblick.“ So erinnert sich Zara Grabowski an die Nacht im Februar, in der sie trockene Kleidung, warmen Tee und Schlafsäcke in den polnischen Wald brachte. Zara, Mitte zwanzig und Studentin aus Warschau, heißt eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber aus Sorge um ihre Sicherheit nicht öffentlich machen. Seit knapp einem Jahr verbringt Zara Grabowski ihre Tage nicht an der Uni, sondern im polnisch-belarussischen Grenzgebiet.

Wir sitzen an einem Plastiktisch mit geblümter Tischdecke in einem kleinen Kebab-Imbiss in der polnischen Kleinstadt Michałowo. Beim Falafelessen berichtet Zara von ihrer letzten Intervention im polnischen Wald: Am Nachmittag erreicht der Hilferuf einer Gruppe Schutzsuchender sie und ihre Mitstreiter:innen. Sie schreiben, dass das Essen knapp ist. Sie frieren und der Akku ihrer Smartphones geht zur Neige.

Dabei wollten sie ihre Kräfte für die Flucht durch Polen sammeln. Die Gruppe ist vor dem Krieg im Jemen geflohen und möchte einen Asylantrag in der EU stellen. Seit Monaten sind sie unterwegs. Mal in Bussen, mal auf Ladeflächen von Transportern oder Lkw, meist jedoch zu Fuß.

In der Winternacht im Februar steht die Gruppe vor dem letzten physischen Hindernis, das sie von der Europäischen Union trennt: dem meterhohen Grenzzaun aus Stacheldraht. Zara und ihre Mit­strei­te­r:in­nen möchten die Schutzsuchenden in ihrem Kampf gegen das EU-Grenzregime unterstützen. Deswegen ziehen sie in der kalten Februarnacht mit vollgepackten Wanderrucksäcken durch den polnischen Urwald Białowieża, um die Hilfsgüter abzuliefern.

EU-Geld für Abschottung?

Das EU-Grenzregime zeigt sich an der polnisch-belarussischen Grenze in seiner ganzen Hässlichkeit. Entlang der 186 Kilometer langen grünen Grenze zwischen EU-Mitglied Polen und dem geografisch wie politisch russlandnahen Belarus erstreckt sich der über fünf Meter hohe Hochsicherheitszaun, dessen Anblick Zara erschaudern ließ. Neben der physischen Barriere ist die östliche EU-Außengrenze mit seismischen Detektoren, Wärmebildkameras und Bewegungsmeldern technologisch aufgerüstet und bewacht.

Gedenken gegen die Kälte: Ak­ti­vis­t:in­nen erinnern an die Opfer des polnischen Grenzregimes und protestieren gegen Pushbacks Foto: Omar Marques/picture alliance

Immer wieder betonen Ver­tre­te­r:in­nen der EU-Institutionen, dass sie keine finanziellen Mittel für Grenzzäune und -mauern ausgeben. Das entspräche nicht den humanitären Werten der Union. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verweigerte 2022 auch Polen finanzielle Mittel zum Bau des Grenzzaunes. Trotzdem ist die EU an der fortschreitenden Militarisierung und Aufrüstung ihrer Außengrenzen beteiligt. Wärmebildkameras, Drohnen und andere Technologien stellt die Union ihren Außenstaaten bereitwillig zur Verfügung.

Die Ablehnung der EU, Grenzzäune zu finanzieren, scheint nun auch zu schwinden. Nach einem Sondergipfel zum Thema Flucht und Migration am 10. Februar 2023 in Brüssel präsentierte von der Leyen einen neuen Plan gegen „illegale Migration“. Es ist von mehr Abschottung und besserem Grenzschutz, statt von mehr Achtung für Menschenrechte und Solidarität die Rede.

Die Mitgliedstaaten vereinbarten ein Pilotprojekt, bei dem es um die Sicherung der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Bulgarien und der Türkei geht. Auch dort erstreckt sich ein kilometerlanger Hochsicherheitszaun. Nationale Mittel, Gelder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus unter den Mitgliedstaaten und EU-Haushaltsmittel sollen in Grenzinfrastruktur wie Kameras, Wachtürme und Fahrzeuge investiert werden. So sieht es der Plan des Pilotprojekts der EU vor.

Pushbacks und Sperrgebiet

Ohne diese Infrastruktur würde kein Grenzzaun funktionieren, meint die Kommissionspräsidentin, die Grenzzäune doch eigentlich nicht finanzieren wollte. Nach dem Gipfel in Brüssel scheint es Einigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten zu geben. Sie wollen mehr Zäune und ein härteres Vorgehen gegen sogenannte illegale Migration.

Im Sommer 2021 missbrauchte Lukaschenko, der belarussische Diktator, Tausende Schutzsuchende aus dem Nahen Osten für sein politisches Kalkül. Um Druck auf die EU aufzubauen, wurden Flüge aus Krisenregionen nach Belarus gechartert und die Schutzsuchenden dann an die polnische Grenze getrieben.

Die EU ließ sich erpressen und antwortete auf die von Lukaschenkos verübte Misshandlung ihrerseits mit Misshandlung der instrumentalisierten Schutzsuchenden. Gewalt und „Pushbacks“ (illegale Rückführung, ohne Prüfung des individuellen Schutzanspruchs) erwarteten die flüchtenden Menschen vonseiten des Grenzschutzes.

Im Winter 2021/2022 rief die polnische Regierung ein Sperrgebiet an der Grenze zu Belarus aus. Weder Ak­ti­vis­t:in­nen noch Ver­tre­te­r:in­nen von Menschenrechtsorganisationen oder Jour­na­lis­t:in­nen durften den drei Kilometer breiten Grenzstreifen passieren.

Schwer bewaffnet im Wald

Die Maßnahme wurde von Ju­ris­t:in­nen als undemokratisch und verfassungswidrig kritisiert. Jour­na­lis­t:in­nen sahen die Pressefreiheit angegriffen und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen waren daran gehindert, den vielfachen Rechtsbruch gegenüber Schutzsuchenden zu dokumentieren und dagegen vorzugehen.

Die Todesanzeigen der Opfer wurden im polnischen Grodek aufgehängt Foto: Grupa Granica

Nachdem die Anzahl der im Osten Polens ankommenden Schutzsuchenden im Sommer 2022 wieder etwas gesunken war, wurde die Sperrzone aufgehoben. Stattdessen sollen jetzt der Grenzzaun und regelmäßige Patrouillen von Grenzschutzeinheiten Schutzsuchende abschrecken und am Betreten der EU hindern.

Neben dem Zaun, den Kameras und dem Stacheldraht gehören in Polen die Polizei, das Militär sowie eine spezielle Grenzschutzeinheit (Straż Graniczna) und die sogenannte Territorialverteidigungsarmee (Wojska obrony terytorialne) zum Grenzsicherungsapparat der EU. Sie patrouillieren schwer bewaffnet im polnischen Grenzwald, um Schutzsuchende aufzuspüren. Gelingt ihnen das, halten sie die Menschen fest und schieben sie auf die andere Seite des Grenzzaunes, in den belarussischen Wald zurück.

Es gab Menschen, die sich extra ein Schild mit der Aufschrift „Ich möchte Asyl auf Polnisch um den Hald gehängt hatten. Trotzdem wurden sie einfach abgeschoben“

Zara Grabowski, derzeit Vollzeitaktivistin

Regelmäßig und systematisch werden die deutlich geäußerten Asylgesuche der Menschen von den polnischen Be­am­t:in­nen ignoriert, die Rechte von Geflüchteten missachtet. Die EU-Außengrenze wird rechtswidrig abgeschottet. „Wir wissen von Fällen, wo Menschen sich extra ein Schild mit der Aufschrift,Ich möchte Asyl' auf Polnisch um den Hald gehängt hatten. Trotzdem wurden sie einfach abgeschoben“ erzählt Zara entrüstet.

„Sie hassen auch uns“

Sie hat ihre Falafeltasche aufgegessen und steht auf. Sie will das Gespräch lieber draußen weiterführen. Eine Gruppe junger Männer ist vor einigen Minuten in den Imbiss gekommen. Während sie auf ihre Bestellung warten, schauen sie immer wieder zu unserem Tisch. Zara fühlt sich nicht mehr wohl damit, hier über ihren Aktivismus und ihre politische Meinung zu sprechen.

Viele An­woh­ne­r:in­nen sind ihr und ihren Mit­strei­te­r:in­nen nicht wohlgesinnt. Immer wieder treffen Zara, die aufgrund ihrer Kleidungswahl aus der Masse der lokalen Bevölkerung heraussticht und als linke Aktivistin zu erkennen ist, böse Blicke im Supermarkt. „Viele Menschen haben Angst vor Schutzsuchenden. Die Propaganda der Regierung wirkt leider. Deswegen hassen sie auch uns.“

Zara seufzt und bezahlt ihre Mahlzeit. Wir treten nach draußen auf die matschige Straße. Wochenlang lag im Grenzgebiet Schnee. Nun ist Tauwetter. Wir laufen durch die Straßen von Michałowo und Zara fährt fort: „Die bösen Absichten der polnischen Beamt:innen, die den politischen Willen der EU ausführen, werden durch die systematischen Pushbacks klar und deutlich.“

Viele Menschen haben Angst vor Schutzsuchenden. Die Propaganda der Regierung wirkt leider. Deswegen hassen sie auch uns

Zara fürchtet auch für ihre eigene Sicherheit

Schätzungen zufolge hat Polen seit 2021 Zehntausende illegale Pushbacks nach Belarus durchgeführt. Oftmals gehen die Pushbacks mit Anwendung von physischer und psychischer Gewalt einher. Schutzsuchende werden geschlagen, erniedrigt sowie rassistisch und islamfeindlich beleidigt. Die verübten Misshandlungen und die Gewaltexzesse haben für die polnischen Be­am­t:in­nen so gut wie nie Folgen. Die Betroffenen befinden sich nach dem Rechtsbruch wieder in Belaus, also außerhalb der EU. Von dort haben sie kaum Möglichkeiten, gegen den polnischen Grenzschutz vorzugehen.

Helfer werden kriminalisiert

Auch Zara hat mit den Grenzschutzeinheiten Erfahrungen gemacht. Immer wieder werden die Autos der Ak­ti­vis­t:in­nen an Posten des Grenzschutzes (Straż Graniczna) angehalten, durchsucht und die Identität der Ak­ti­vis­t:in­nen wird festgestellt und festgehalten. „Wir wollen humanitäre Hilfsgüter an Menschen liefern, die bei Minusgraden und ohne Verpflegung im Wald ausharren, und haben Angst, dafür verhaftet zu werden.“

Zara ist fassungslos und wütend. Die Studentin hat vor ungefähr einem Jahr ihr Studium unterbrochen und verbringt seitdem fast jeden Tag an der polnisch-belarussischen Grenze. Sie ist Vollzeitaktivistin, weil sie den Zustand an der Grenze unerträglich findet. Weil sie nicht tatenlos mitansehen kann, wie Menschen von Be­am­t:in­nen ihres Landes verprügelt und gequält werden. Weil sie die Abschottung Europas nicht widerstandslos hinnehmen will.

Deswegen nimmt sie die mögliche Kriminalisierung in Kauf und riskiert Bußgelder und eine strafrechtliche Verurteilung für ihren aktivistischen Einsatz.

Über zwanzig Menschen wurden seit Herbst 2021 wegen solidarischer Aktionen in Polen verhört, angeklagt, in Gewahrsam genommen oder zu einem Bußgeld verurteilt. Das geht aus einem Ende Januar 2023 veröffentlichten Bericht des Szpi­la-Kollektivs und der Helsinki Foundation for Human Rights hervor.

EU-weite Repressionen

Anfang März wurde erstmals eine deutsche Staatsbürgerin, die vom polnischen Grenzschutz verdächtigt wurde, sich dem Grenzzaun genähert zu haben, des Landes verwiesen, berichtete die taz. Mit der Ausweisung von Ak­ti­vis­t:in­nen soll humanitäre Hilfe kriminalisiert werden. Es ist eine weitere Eskalation der Repressionen gegen solidarische Menschen.

Auch in anderen EU-Staaten werden Hel­fe­r:in­nen und Aktivist:innen, die sich für die Rechte von Schutzsuchenden einsetzten, kriminalisiert und schikaniert. In Griechenland werden humanitäre Hel­fe­r:in­nen und Ak­ti­vis­ti:­in­nen mitunter wegen Menschenschmuggels angeklagt.

Die italienische Regierung weist Schiffen der zivilen Seenotrettungsflotte seit einigen Monaten Häfen im Norden des Landes zu. Die Schiffe müssen kilometerweit fahren, um die aus Seenot geretteten Schutzsuchenden an Land zu bringen. Das kostet sie viel Geld und auch Zeit, welche sie nicht im Einsatz in der Rettungszone sein können.

Die Februarnacht, in der Zara den schwindelerregend hohen Zaun sah, dauerte für sie und die anderen Ak­ti­vis­t:in­nen noch bis in die frühen Morgenstunden. Die wachhabenden Grenz­be­am­t:in­nen wurden auf die Ak­ti­vis­t:in­nen aufmerksam. Insbesondere der Grenzstreifen wird stark und lückenlos überwacht. Regelmäßige Patrouillen der Grenzschutzeinheiten und Kameras an Weggabelungen machen es fast unmöglich, unbemerkt das Grenzgebiet zu betreten.

Schikane von taz-Reporterin

Als ich mich für die Recherche dem Zaun näherte, kamen jedes Mal nach wenigen Minuten Be­am­t:in­nen der Straż Graniczna. Sie fragten, was ich an dem Zaun zu suchen hätte, und nahmen meine Personalien auf.

Auch Zara und ihre Mit­strei­te­r:in­nen wurden in der Nacht, in der sie die Hilfsgüter abliefern wollten, von den Grenz­be­am­t:in­nen aufgehalten. „Sie kamen vermummt, schwer bewaffnet, mit drei Geländefahrzeugen aus mehreren Richtungen“, berichtet Zara. Man hört kaum Angst in ihrer Stimme. Sie spricht klar und besonnen von den Ereignissen dieser Nacht. Nur selten kocht Wut in ihr hoch. Dann wird ihre Stimme lauter und fängt leicht an zu zittern.

Sie fährt sich durch die mittellangen blonden Haare und fährt fort: „Die Be­am­t:in­nen waren total aggressiv und beleidigten uns. Wir sollen doch lieber Rotwein trinken und Sushi essen anstatt dreckigen Mi­gran­t:in­nen zu helfen. So ekelige Sachen haben sie zu uns gesagt.“

Mehrere Stunden lang wurden die jungen Ak­ti­vis­t:in­nen von den Grenz­schüt­ze­r:in­nen im Wald festgehalten. Angeblich um ihre Identität zu klären. Zara und ihre Mit­strei­te­r:in­nen verweigerten ein Schuldbekenntnis, sich widerrechtlich verhalten zu haben.

Immer mehr Leichen im Wald

Zwar ist es eine Ordnungswidrigkeit, sich auf 15 Meter dem Grenzzaun zu nähern, Zara und andere Ak­ti­vis­t:in­nen lehnen diese Strafe jedoch aus politischen Gründen ab. Sie verweigern jegliche Aussage und Kooperation mit den Be­am­t:in­nen. „Wir machen nichts Falsches, nichts Verwerfliches. Nichts, wofür man uns bestrafen sollte“, meint Zara.

Auf die Entschlossenheit der jungen Ak­ti­vis­t:in­nen reagierten die Grenz­schüt­ze­r:in­nen im Wald mit erhöhter Aggression und mit Einschüchterungsversuchen. Durchgefroren, müde und erschöpft verließen die Ak­ti­vis­t:in­nen nach insgesamt über acht Stunden den polnischen Grenzwald.

Anfang März telefoniere ich mit Zara. Die Vorfälle im Wald beschäftigen sie noch sehr. Der Anblick des Zaunes, aber auch das aggressive Verhalten der Grenz­schüt­ze­r:in­nen haben sie verstört. „Wenn sie das mit uns machen, was machen sie dann mit denen, die nicht weiß sind, die keinen europäischen Pass haben?“, fragt sich Zara. „Wie können Menschen so hasserfüllt sein? Und wie kann unsere Gesellschaft ein so menschenverachtendes Grenzregime aufbauen und aufrechterhalten? Wie kann das irgendjemand rechtfertigen?“

Wie können Menschen so hasserfüllt sein? Und wie kann unsere Gesellschaft ein so menschenverachtendes Grenzregime aufbauen und aufrechterhalten? Wie kann das irgendjemand rechtfertigen?

Zara Grabowski nach dem Zusammenstoß mit agressiven Grenzschützern

Am Morgen des 26. Februar 2023, einige Tage nach dem Falafelessen mit Zara, stehe ich vor einer kleinen katholischen Kirche in Michałowo. Auf einer Anzeigentafel, die ein kleines Dach vor Schnee und Regen schützt, flattert eine Traueranzeige: „Wir bedauern den Tod von Ahmed Hamed Al Zabhawi. Am 19. September 2021 wurde sein Leichnam im Wald in der Nähe des polnischen Dorfes Frącki gefunden. Der Verstorbene war 29 Jahre alt und kam aus dem Irak. Ahmed war gelernter Ökonom. Er hinterlässt eine Ehefrau und eine zweijährige Tochter.“

Anonyme Bestattungen

Hunderte weitere Traueranzeigen flatterten an diesem Morgen an schwarzen Brettern und öffentlichen Informationstafeln in grenznahen Dörfern und Städten. Auf den Plakaten sind die Namen und, wenn bekannt, die Todesursache und einige weitere persönliche Informationen von Menschen zu lesen, die seit 2021 ihr Leben auf der Flucht durch Polen verloren haben.

Insgesamt sind es mindestens 34 Asylsuchende, die seit 2021 in polnischen Wäldern gestorben sind. So die Daten, die das Bündnis Grupa Granica (Grenzgruppe) intern sammelt. Die Dunkelziffer ist wohl deutlich höher. Einige Schutzsuchende starben an Hypothermie, andere an Erschöpfung oder sie sind im Grenzfluss ertrunken. Vielfach ist die Todesursache jedoch ungeklärt.

Genauso ungeklärt ist häufig die Identität der gefundenen Toten. Schutzsuchende haben selten einen Identitätsnachweis bei sich. Außerdem liegen ihre leblosen Körper oft wochen- oder monatelang im Wald, bis sie gefunden werden. Eine Identifikation der menschlichen Überreste ist dann nur noch schwer möglich.

Immer wieder müssen unbekannte Tote begraben werden, bestätigt Zara. Seit sie im Grenzgebiet aktiv ist, war Zara schon bei einigen Beerdigungen von verstorbenen Schutzsuchenden, die auf dem muslimischen Friedhof in Bohoniki beerdigt wurden.

Rassistische Motive

„Wir wollen die lokale Bevölkerung wachrütteln. Sie sollen mitbekommen, was in ihrer Umgebung passiert. Vielleicht tun sie dann etwas gegen dieses Unrecht vor ihrer Haustür“, erklärt eine Bewohnerin, die an der nächtlichen Protestaktion im Februar beteiligt war. In der Woche zuvor wurden vier Leichen von Schutzsuchenden gefunden.

Am 12. Februar wurde die Leiche einer Frau aus Äthiopien im Wald in der Nähe der ostpolnischen Kleinstadt Hajnowka von An­woh­ne­r:in­nen entdeckt. Vier Tage später fand ein Suchtrupp bestehend aus An­woh­ne­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen die Leiche einer weiteren Person im Wald, die Schutz gesucht hatte. Am selben Tag teilte der polnische Grenzschutz mit, dass zwei weitere Leichen in der Nähe des Flusses Switslatsch aufgefunden wurden.

Als Antwort auf diese vier neuen Leichenfunde, aber auch in Gedenken an die anderen im polnischen Grenzgebiet verstorbenen Schutzsuchenden, organisierten Ak­ti­vis­t:in­nen und An­woh­ne­r:in­nen die Protest- und Aufklärungsaktion am 25. Februar.

„Seitdem wir gesehen haben, wie Polen mit weißen, christlichen Geflüchteten aus der Ukraine umgeht, wird das rassistische Motiv des Grenzschutzes an der Ostgrenze noch mal deutlicher“, analysiert Zara. Im Südosten teilt Polen eine 526 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs wurden rund 8,5 Millionen Grenzübertritte zu Fuß, per Bus, im Auto oder mit dem Zug nach Polen registriert.

Zwei-Klassen-Flüchtlinge

Ukrainische weiße Staats­bür­ge­r:in­nen dürfen ohne Weiteres nach Polen und in andere EU-Staaten einreisen. Sie werden nicht zurückgeschoben, geschlagen und gedemütigt, so wie die Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze. Hilfskonvois dürfen die Grenze passieren, freiwillige Hel­fe­r:in­nen werden als Hel­d:in­nen gefeiert und die Flüchtenden teils mit Klaviermusik empfangen.

Während seines Besuchs in Warschau Mitte Februar lobte US-Präsident Joe Biden die Bemühungen und die Aufnahmebereitschaft Polens gegenüber Schutzsuchenden. 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine hat der östliche Nachbar Deutschlands seit Beginn des russischen Angriffskriegs aufgenommen und eine legale Bleibemöglichkeit geboten. Ein löbliches Beispiel staatlicher und zivilgesellschaftlicher Solidarität, findet Biden. Zu der systematischen Misshandlung Schutzsuchender an der polnisch-belarussischen Grenze schwieg er.

Die Realität an den Außengrenzen der EU ist seit Jahren menschenverachtend und gewalttätig. Hochsicherheitszäune, Pushbacks, physische und psychische Gewalt sind zur gängigen Grenzpraxis der Europäischen Union geworden. Eine Änderung der migrationspolitischen Ausrichtung der EU oder ihrer Mitgliedstaaten ist nicht absehbar. „Eigentlich wird alles schlimmer“, sagt Zara während des Telefongesprächs am Anfang des Monats frustriert.

Die migrationspolitischen Entwicklungen in Europa und in Polen bereiten ihr Sorge. Die polnische Regierung möchte die Befugnisse der Grenzschutzeinheiten ausweiten. Sie plant eine Änderung des Ausländergesetzes. Diese Änderung würde die Straż Graniczna dazu befugen, final über Ausreisepflicht, Duldung und Einreiseverbot für Schutzsuchende zu entscheiden – ein Verstoß gegen das Grundrecht auf eine faire, unabhängige Anhörung.

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Polen braucht bestimmt keinen deutschen Oberlehrer! Das Problem mit den Flüchtlingen an der Polnischen EU Aussengrenze kann man sofort lösen. Deutschland müsste nur für eine schnelle Aufnahme in Deutschland sorgen. Polen würde sofort einen reibungslosen Transfer per Bus/Bahn oder Flieger organisieren. Die Flüchtlinge könnten dann von der Aussengrenze sofort an ihre Zielländer (wohl nur Deutschland) übergeben werden.

    • @V M:

      Also ich sehe folgendes Problem:

      Das Lukaschenko-Regime bietet Touristenvisa und einen Flug nach Minsk sowie die Reise an die EU-Grenze an, und verspricht, die Leute könnten von dort aus über Polen nach Deutschland, um dort einen Asylantrag zu stellen. Für all dies bezahlen sie tausende Euro; das Geld fließt in die Taschen des tyrannischen Lukaschenko-Regimes. Wenn sie es dann doch schaffen einen Asylantrag zu stellen, fängt das Sortieren an: wer ist eigentlich wirklich Flüchtling, und wer nicht. (Ich habe noch von keinem Gehört, der mit Folter oder Tod bedroht worden wäre, während er zur belarussischen Botschaft ging und das Flugzeug nach Minsk bestieg.) Das kostet die Steuerzahler viel Geld; Zahlen für Deutschland habe ich zwar keine, aber z.B. in Kanada kostet ein Asylverfahren in einem einfachen Fall 10.000$. Und viele werden abgewiesen, man braucht nur einen Blick in die Statistiken zu den Anerkennungsquoten zu werfen: weil viele eben keine Flüchtlinge sind, sondern Leute die in Länder mit hohem pro-Kopf-Einkommen gelangen wollen, und dazu das Asylsystem missbrauchen. Diese werden also abgeschoben und ihr Geld ist weg.

      Was wären nun die Folgen, wenn man Ihren Vorschlag umsetzen würde?



      Sicher, Migranten würden dann nicht mehr im Wald erfrieren, sie könnten einfach zu einem regulären Grenzübergang und sich nach Deutschland transportieren lassen. Aus Migrantensicht wäre dieser Teil der Problematik gelöst. Mit der Erleichterung würde sich die Anzahl jedoch sicher vervielfachen; Ströme wählen den Weg des geringsten Widerstandes. Anstatt für Schleuser auf dem Mittelmeer würden sie ihr Geld für einen Flug nach Belarus ausgeben. Lukeschenko würde es freuen: er macht pro Kopf einige Tausend Euro Umsatz, währen wir pro Kopf Tausende Euro ausgaben haben werden.

      Aus meiner Sicht wird mit Ihrem Vorschlag die Problematik an einer Stelle behoben, aber an anderer Stelle vergrößert, und die mittel- bis langfristigen Folgen kaum berechenbar.

    • @V M:

      Und wer tritt hier als deutscher Oberlehrer auf? Der Artikel handelt doch von einer polnischen Aktivistin und schlägt auch sonst keinen oberlehrerhafften tun an.



      Davon abgesehen hat Polen als EU- Mitglied auch die Pflicht, ein bestimmtes Kontingent Flüchtender aufzunehmen. Man kann nicht nur die Vorteile abzugreifen und den Rest verweigern. Dann konsequent sein und kein Mitglied sein.



      Und man kann sich die Flüchtenden auch nicht aussuchen. Also nicht die Rosinen rauspicken, hier die weißen Christen aus dem Nachbarland. Man nimmt auf, wer Schutz braucht. Gilt natürlich auch für Deutschland (Stich wort Fachkräftemangel)...

    • @V M:

      Deutschland brauch sicherlich keine polnischen Oberlehrer. Polen ist Aufnahmeland und für die Migranten zuständig. So einfach

  • Rassismus. Und Pushbacks sind zwifelsohne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Rassismus lohnt sich aber der Regierungspartei, die seit 2015 gegen Schutzsuchende hetzt.

    • @Slimak:

      "Pushbacks sind zweifelsohne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

      Schon mal die Genfer Flüchtlingskonvention gelesen?

      www.fedlex.admin.c...955/443_461_469/de

      aus Art. 31 (1) „(…) Staaten ergreifen wegen illegaler Einreise oder unrechtmässigen Aufenthalts keine Strafmassnahmen gegen Flüchtlinge, die UNMITTELBAR aus einem Gebiet kommen, wo ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht war und sofern sie sich unverzüglich den Behörden stellen und TRIFTIGE GRÜNDE FÜR IHRE ILLEGALE EINREISE oder Anwesenheit darlegen.“

      M.e. muss demnach ein Staat keineswegs die Einreise oder den Aufenthalt ohne Erlaubnis dulden, wenn einer aus einem sicheren Drittstaat kommt. Wenn es ein Flüchtender versäumt sich bei den Behörden zu melden weil er in einen anderen Staat weiter reisen will, ebenfalls nicht.

      Aus Art 28: „Die vertragsschliessenden Staaten stellen den Flüchtlingen, die sich rechtmässig auf ihrem Gebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen ausserhalb dieses Gebietes gestatten.“

      Anhang §8: Die zuständigen Behörden des Landes, in das der Flüchtling reisen will, werden in seinen Reiseausweis ein Visum eintragen, wenn dies notwendig ist, und sie bereit sind, ihn aufzunehmen.

      §9: 1.Die vertragsschliessenden Staaten verpflichten sich, Flüchtlingen, die das Einreisevisum des endgültigen Bestimmungslandes erhalten haben, Transitvisa zu erteilen.

      §13 1.Jeder vertragsschliessende Staat verpflichtet sich, dem Inhaber eines von ihm gemäss Artikel 28 des Abkommens ausgestellten Reiseausweises zu gestatten, jederzeit während der Gültigkeitsdauer des Ausweises in sein Gebiet zurückzukehren.

      M.e. bedeutet dies, dass ein Flüchtling im ersten sicheren Staat als solcher erfasst werden muss; von einem nächsten Staat kann er zurückgewiesen werden, wenn er sich vorher dessen Zustimmung nicht einholt; im Falle einer Abweisung müssen sie innerhalb einer Frist vom Erstaufnahmestaat zurückgenommen werden.

  • Es ist meiner Meinung nach kein Rassismus wenn wir Slawen den Migranten aus muslimischen Ländern reserviert gegenüberstehen. Über 1000 Jahre lang wurden wir von Muslimen versklavt. Noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die letzten slawischen Sklaven in Istanbul gehandelt. Das arabische Wort für Sklaven ist wie in den meisten Sprachen auf unsere Volksgruppe zurückzuführen.



    Das da jetzt keine Jubelstürme ausbrechen, halte ich zumindest menschlich für nachvollziehbar.

    • @Šarru-kīnu:

      Bitte? Das meinen Sie hoffentlich nicht ernst. Eine haarsträubende Begründung für Rassismus und Xenophobie. Da kommt als nächstes wahrscheinlich noch "Slawen können ja gar nicht rassistisch sein, weil es auch antislawische Ressentiments gibt. ".

      • @blutorange:

        Eine Erläuterung ist noch keine Rechtfertigung.

        Für einen westeuropäer ist das ein evtl. ungewöhnlicher Blickwinkel: so wie für große Teile der muslimischen Welt engländer und franzosen einst Kolonialherren waren - so waren es für den Balkan die muslimischen Völker des osmanischen Reiches gewesen; die unterjochten waren Bürger zweiter Klasse. Polen und Russland vermochten sich letztlich gegen Eroberungsversuche zu Behaupten; oftmals wurden aber auf einem einzigen Feldzug zigtausende in die Slaverei verschleppt. In Eroberten Gebieten ging dann die Versklavung durch die Devshirme weiter.

        Als Buch kann ich zum Beispiel empfehlen: The Decline of Eastern Chritianity under Islam von Bat Ye'or

    • @Šarru-kīnu:

      Slawe kommt vom Wort "slowo" -Wort, also die Leute, die "sprechen" konnten, im Gegensatz zu "nemcy" .... die die taub waren.

    • @Šarru-kīnu:

      Die slawischen Länder sind homophober, transfeindlicher, xenophober und sexistischer.

      Patriarchale Kultur und Xenophobie hängen auf natürliche Art und Weise zusammen.

      Menschen mit traditionellen Familienbildern sind öfter ausländerfeindlich und anders herum.

      Und die slavischen Länder sind noch besonders traditionell.

      Das wiegt deutlich stärker als mehrere Tausen Jahre alte geschichtliche Zusammenhänge.

      Damit mögen die Menschen ihren Ausländerhass rechtfertigen, Rassismus ist es trozdem.

      Selbst wenn ich durch sagen wir mal US Amerikaner persönlich massives Unrecht erleide. Rein objektiv betrachtet wäre es rassistisch, wenn ich aus diesem Grund, einem Menschen aus den USA, der sich in Not befindet, nicht helfe.

      • @sociajizzm:

        Weder die Slawen, die Balten, die Ungarn, die Dänen, die Schweden, die Finnen, die Griechen etc. empfinden den Islam als Bereicherung, deswegen werden auch in diesen Ländern sehr nach Rechts gerichtete Parteien gewählt. Eigentlich ist nur noch Deutschland übrig, dass nicht in diese Richtung schlägt..... wie lange noch? Es deutet alles darauf hin, dass es nicht mehr allzu lange geht. Bedauerlich eigentlich. Aber jedes Seil hat eben zwei Enden.

  • Rassismus pur ist das!