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Flüchtlinge und BundestagswahlHumanität als Nullsummenspiel

Für Flüchtlinge wird die Wahl zur Entscheidung über ihre Zukunft. Dürfen sie bleiben oder müssen sie raus? Auch die FDP fährt einen harten Kurs.

FDP: „Neu denken“ in Flüchtlingsfragen als eine Art „AfD light“? Foto: reuters

Von „Massenzustrom“, „Kontrollverlust“ und der Notwendigkeit entschiedener „Grenzsicherung“ sprach Joachim Stamp, der neue Integrationsminister der FDP in Nordrhein-Westfalen, am Montag in Berlin. Ihm zur Seite stand FDP-Chef Christian Lindner, der nicht weniger als eine „Trendwende“ und eine „neue Ordnung“ in der Migrationspolitik forderte. Diese alarmistischen Schlagwörter und markigen Töne kennt man sonst eher von rechts.

Die beiden stellten am Montag im FDP-Quartier ein Eckpunkte-Papier zu Asyl, Integration und Einwanderung vor. Zwischen Einwanderern, Flüchtlingen und Asylbewerbern solle noch stärker als bisher unterschieden werden, heißt es darin, und für Kriegsflüchtlinge solle es nur einen „vorübergehenden humanitären Schutz“ geben, der auf die Dauer des Krieges begrenzt sei. Das ist zwar mehr oder weniger geltendes Recht, wird aber von der FDP jetzt mit Law-and-Order-Schlagworten und Forderungen nach mehr Härte garniert.

Auf die Frage, was daran liberal sei, flüchtete sich Christian Lindner ins Allgemeine: Liberalität setze Recht und Ordnung voraus, sonst drohten „Anarchie und Chaos“.

Dass Linder die FDP in Flüchtlingsfragen als eine Art „AfD light“ profilieren will, zeigte sich schon vorige Woche, als er in der Bild-Zeitung forderte, alle Kriegsflüchtlinge sobald wie möglich wieder in ihre Länder zurückzuschicken. Das solle ausdrücklich auch für Kinder von Flüchtlingen gelten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen seien, fügte er hinzu. Humanität war gestern.

Sogar Wagenknecht meckert

Widerspruch erntete Lindner dafür sogar aus seiner eigenen Partei. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte daran, dass Flüchtlinge, die zum Beispiel einen Job haben, und Kinder, die mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, hierbleiben könnten. Alles andere wäre ja auch integrationspolitischer Unsinn.

Die schärfste Kritik kam von Grünen und Linkspartei. Sogar die linke Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht befand, Kinder, die hier geboren und aufgewachsen seien, könnten „nicht einfach in ein fremdes Land“ geschickt werden.

Leichtere Integration durch die Familie

Lob bekam Lindner dagegen aus der Union – vor allem aus der CSU. Auch die Union tritt schließlich für eine eher härtere Gangart ein: „Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen“, heißt es im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU mit Blick auf den damaligen Sommer der „Willkommenskultur“. Die CSU pocht überdies auf eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Für Flüchtlinge wird die Bundestagswahl damit zu einer Richtungsentscheidung. Dürfen sie drinbleiben oder müssen sie raus? Und dürfen sie Angehörige nachholen?

Die CSU will den Familiennachzug für Kriegsflüchtlinge ganz abschaffen

Die Grünen sind für Flüchtlingskontingente und humanitäre Visa, die eine sichere Flucht ermöglichen sollen. Zudem wollen sie den Familiennachzug für Kriegsflüchtlinge, etwa aus Syrien, mit nur „subsidiärem Schutz“, den Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ausgesetzt hat, wieder ermöglichen. Das will auch die SPD.

„Wer hier in Dauerangst um seine Familie lebt, hat es schwer, anzukommen“, argumentiert etwa der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Wenn die Familie zusammen in Deutschland leben könne, dann erleichtere das die Integration. Darum müssten Angehörige legal nachreisen dürfen.

Asylpolitik als Nullsummenspiel

Die CSU dagegen will für Kriegsflüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus das Recht auf Familiennachzug ganz abschaffen. Er sei „ein Irrweg“, sagte Horst Seehofer, und solle deshalb „dauerhaft ausgesetzt werden“. Wer seine Familie zu sich nach Deutschland geholt habe, der kehre „nie wieder in sein Heimatland zurück“. Für Seehofer eine Angstvorstellung.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sagte, zu verhindern, „dass Mutter, Vater und Kind zusammen geschützt werden“, passe nicht zu einer Partei mit dem Anspruch, christlich zu sein. Ähnlich äußerte sich Katja Kipping von der Linken. „Wer den Familiennachzug für Syrer dauerhaft ausschließen will, baut keine sozialen Brücken in unsere Gesellschaft, sondern zieht neue Mauern hoch“, sagte sie.

Die FDP versucht sich beim Familiennachzug an einem Spagat zwischen Härte und Minimal-Humanität. Er solle nur „in dem Umfang ermöglicht werden, wie Kapazitäten durch verbessertes Rückkehrmanagement entstehen“. Anders gesagt: Nur wenn abgelehnte Asylbewerber mehr und konsequenter abgeschoben werden, dürfen die anderen darauf hoffen, ihre Frauen und Kinder nachzuholen. Damit würde die Asylpolitik zum Nullsummenspiel.

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9 Kommentare

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  • Ich habe wirklich nicht die Zeit, um mir jede Polit-Diskussion im TV reinzuziehen, aber irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass Christian Lindner voll in den Fußstapfen seines Vorgängers Westerwelle unterwegs ist: Der neoliberale Alleinunterhalter und Hansdampf in allen Gassen und jeder Talkshow der Republik (Besteht der Parteivorstand nur aus Lindner-Clonen? War da sonst noch jemand???) - rhetorisch geschult, verbreitet die alte neoliberale Eierpampe. Da wundert mich schon, dass erst jetzt, so kurz vor der Wahl herauskommt, dass die Ex-FDP-Bundestagsfraktion "in Auflösung" (HääääH? VIERrjährige Auflösung????) satte ca. 6-Millionen-Schulden bei der Versorgungskasse hat. Eine wirkliche stattliche Summe: Man denkt, die haben seinerzeit - in der vorigen Legislaturperiode überhaupt nix eingezahlt. Oder? Ziemlich frech!!! Denn da waren sie doch ein dicke besetzte Fraktion an den Staatstöpfen rund und fett genährt!!! Außerdem haben sie Stress mit dem Bundesrechnungshof - passt ja so richtig in das Image der angeblich soliden Wirtschaftspartei - ein Betrieb mit solchen Schulden bei der Sozialversicherung hätte fetten Ärger und der Chef könnte längst nicht mehr so bräsig auftreten.

    Aber mit DENEN VON DER FDP hat man natürlich Geduld.

     

    Es wäre übrigens interessant zu wissen, wie in NRW usw. die Landtagswahlen ausgegangen wären, wenn die Schulden der FDP bei der Sozialversicherung schon früher bekannt geworden wären. Aber das betrifft natürlich nur den Konjunktiv....

  • Abschiebungen sollten verboten sein. Jeder Mensch der Erde hat ein Recht hier zu leben, egal woher er kommt. So seh ich das zumindest...

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Nobodys Hero:

      Ohne Sozialstaat, kostenlose Bildung und dergleichen kein Problem ansonsten wird das nicht funktionieren.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Darüber lässt sich trefflich diskutieren, inwieweit das finanzierbar bleibt und wie man das ganze auf sichere Füße stellt. Aber viele der Menschen die herkommen sind hochmotiviert und werden uns auf lange Sicht viel mehr bringen als sie uns kosten. Die paar Idioten die Schlagzeilen machen, werden m. E. überbewertet. Es sollten mehr positive Meldungen von Schutzsuchenden kommen...

  • Erschreckend ist die Tatsache, dass die FDP markige Worte benötigt, um klarzustellen, dass Kriegsflüchtlinge nach Beendigung des Krieges wieder in die Heimat zurückkehren müssen. Das ist ungeachtet ständiger Aufweichungen Grundlage des grundgesetzlich geschützten Asylsystems und damit auch Grundlage der Anerkennung in der Bevölkerung.

     

    Dieser Grundsatz wurde bedauerlicherweise bereits nach der Beendigung der Balkankrise zu häufig durchbrochen und wird hoffentlich nach der Beendigung der Irak- und Syrienkrisen stringenter durchgesetzt. Auch die Ausnahmeregelungen sollten angesichts des Zulaufes im Jahr 2015 überdacht werden, da nicht absehbar ist, ob eine Rückführung innerhalb von sieben Jahren möglich sein wird.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      "Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte daran, dass Flüchtlinge, die zum Beispiel einen Job haben, und Kinder, die mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, hierbleiben könnten. Alles andere wäre ja auch integrationspolitischer Unsinn."

      Wieso blenden Sie diesen Abschnitt vollständig aus?

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Das Recht aus Asyl ist im Gegensatz auf ein "Recht auf Integration" grundgesetzlich verankert. Die Integration ist ja nur deshalb notwendig geworden, weil die Menschen in vielen Fällen nicht mehr zurück gehen. Dafür habe ich Verständnis, solange der Fluchtgrund (im Sinne des Asylrechtes) besteht. In gewissen Gegenden (z.B. Eritrea) ist absehbar, dass der Fluchtgrund nicht zeitnahe wegfallen wird und das Asylrecht ein dauerhaftes Gastrecht bleibt. Das ist insoweit nicht zu beanstanden. Soweit der Fluchtgrund endet (was wahrscheinlich demnächst im Irak der Fall sein wird), endet der Asylgrund und endet die Notwendigkeit jeglicher Integration.

         

        Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft mit der Geburt übrigens nur, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Das hat mit dem Kern des Asylrechts wenig zu tun.

  • Zur Justierung nur mal -

     

    "…Diese alarmistischen Schlagwörter und markigen Töne kennt man sonst eher von rechts.…"

    kurz - Die Mahnerin Schnarrie mal außenvor - wie Feigenblatt Gerhard Baum - the only!

    F.D.P. - ist rechts. Punkt. &

    Das nicht erst seit gestern - Herr Bax!

  • Die Angst vor'm Kontrollverlust gehört für Politiker zum Job, fürchte ich. Wer glauben will, er könnte ein 80-Millionen-Volk von seinem Bürosessel aus lenken, der hat per se ein Problem. Wenn er unter Versagens-Ängsten leidet, ist das völlig normal. Alles andere wäre un-menschlich.

     

    Dass alle Statements ähnlich klingen, wundert mich nicht. Schon der Wunsch nach einem „Nullsummenspiel“ erfordert ein hohes Maß an Mut und Zutrauen zur Wählerschaft. Bei dieser Wahl haben Migranten gar keine Stimme, und „der Deutsche“ muss nach Jahrzehnten der neoliberalen Gehirnwäsche erst mühsam wieder lernen, dass er/sie/es nicht nur ein Individuum ist, sondern auch Mensch unter Menschen.

     

    Immerhin: Wenigstens in dem Punkt sind „die Politiker“ echte Volksvertreter. Auch sie können schlecht an ihrer Nasenspitze vorbei auf die Gesichter anderer sehen und neben den Privat-Gefühlen noch fremde wahrnehmen. Wo Extremisten aller Art jeden angeblichen Fehler („2015“) zur Staatsaffäre aufblasen, die, wenn nicht den Kopf, dann doch den Posten kosten muss, sind Mitleid und Vernunft doppelt schwer aufzubringen. Nicht nur für Max und Else Mustermann.

     

    Nun ja. Dass „die Deutschen“ sich im Ernstfall nicht unbedingt an ihre an Sonntagen hoch gehaltenen Überzeugungen erinnern, ist nicht neu. Der sogenannte Grundwiderspruch zwischen solidarischem und egoistischem Verhalten ist halt nicht auszuräumen in einer Wettbewerbsgesellschaft. Wo jeder, der nicht kontrollierbar ist, kein potentieller Partner ist, sondern ein potentieller Konkurrent, muss die Angst vor dem Kontrollverlust epidemisch werden – genau wie die Sehnsucht nach Alternativen.

     

    Wer zahlt? Natürlich immer die, die sich grade schlecht wehren können. „Die Deutschen“ sollten sich also sehr gründlich überlegen, ob sie Hetzern und Kriegstreibern auch nur ein Ohr leihen, von ihrer Stimme nicht zu reden. Der nächste Krieg kann schließlich wieder unserer sein. Und wer sollte dann uns Deutsche aufnehmen – und unsre Kinder nicht?