Flüchtlinge im Mittelmeer: Auch 2018 versagt Europa
Italien lässt weniger Geflüchtete ins Land, in Libyen handeln kriminelle Banden mit Menschen. Tausende Menschen ertrinken im Meer. Eine Bilanz.
Salvinis „Nein“ sah so aus, dass er wahr machte, womit seine Vorgänger nur gedroht hatten: Er schloss Italiens Häfen für Schiffe, auf denen sich Migranten und Flüchtlinge befinden. In den vorigen Jahren hatte das Land Hunderttausende Schiffbrüchige aufgenommen. Jetzt mussten Rettungsschiffe wie die „Aquarius“ tagelang auf dem Meer bleiben, weil niemand sie an Land lassen wollte. Aus Angst, die NGOs könnten versuchen, die Menschen nun nach Malta zu bringen, legte die Regierung des kleinen Inselstaats fast alle dort stationierten Rettungsschiffe monatelang an die Kette.
Im zentralen Mittelmeer starb so aufs Jahr gerechnet einer von je 18,6 Flüchtlingen, die die Überfahrt wagten. Im Vorjahr war einer von je 42,5 ertrunken. Nur wenige Schiffe der italienischen Küstenwache durften noch mit Geretteten nach Italien. Seit seinem Amtsantritt ließ Salvini noch 10.980 Menschen ins Land. Im Vorjahreszeitraum waren es 59.441.
Italiens Behörden drängen Retter heute darauf, Menschen nach Libyen zu bringen. Schon im Vorjahr hatten Italien und die EU begonnen, die dortige Küstenwache aufzubauen. Etwa 29.000 Menschen wurden seit Beginn der Einsätze in 2017 von Libyens Küstenwache wieder eingefangen und zurück nach Libyen gebracht. Dort kommen sie in eines von insgesamt elf Internierungslagern, das die Regierung betreibt.
Für Flüchtlinge und Migranten sei Libyen ein Ort „unvorstellbaren Horrors“, schreibt die UN-Unterstützungsmission für Libyen, Unsmil, vier Tage vor Weihnachten 2018 in einem Bericht. Flüchtlinge würden „von einer kriminellen Bande an die nächste verkauft“ und müssten mehrfach Lösegeld zahlen, bevor sie freigelassen oder in Küstengebiete gebracht werden, um auf die Überquerung des Mittelmeers zu warten, heißt es in dem Bericht.
Trotzdem ist Libyen heute für die EU der Partner, der das Flüchtlingsproblem lösen soll. Wie sehr, das zeigt auch ein geheimes Dokument des Auswärtigen Amtes vom Juli 2018, das Medienaktivisten des Lower Class Magazines im Dezember zugespielt bekamen.
Die Diplomaten beklagen darin, dass es keine funktionierenden Abschiebeabkommen mit Libyen gebe. Dazu seien „ergänzende Verhandlungen mit den Milizen notwendig“. Noch unterstütze die UN-Migrationsagentur IOM keine Abschiebungen nach Libyen. Doch die IOM habe erklärt, diese Haltung bei einer konkreten Anfrage „ad hoc zu überprüfen“. Das Auswärtige Amt sagte auf Anfrage der taz, es kommentiere geheime Papiere nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!