Flüchtlinge auf dem Balkan: Jetzt droht der Kältetod
Kein Wasser, kein Strom, keine Heizung, kein Essen: So hausen die Flüchtlinge, die es auf der Balkanroute bis nach Bihać geschafft haben.
7.000 Migranten im bosnischen Bihać wollen dies auch tun, vor allem jene, die sich noch in dem berüchtigten, auf einer Müllhalde errichteten Lager Vučjak befinden. Die rund 800 Männer in dem Zeltlager werden seit zwei Wochen nicht mehr mit Essen versorgt, die notdürftige medizinische Versorgung ist zusammengebrochen, nachdem die örtlichen Autoritäten ausländischen Helfern unter Strafandrohung die Arbeit untersagt hatten.
Die Zelte im Lager sind nicht heizbar. Es gibt keine sanitären Anlagen mehr, Wasser und Strom wurden von der Gemeinde gekappt. Doch nach wie vor kommen Migranten in Bihać an, um von hier aus zu versuchen, nach Kroatien zu gelangen.
Während die Frauen und Kinder auf andere Lager innerhalb der Stadt verteilt worden sind, werden die Männer von der Polizei nach Vučjak geleitet.
„Inakzeptabel“, aber von Dauer
Bürgermeister Šuhred Fazlić steckt in einer Zwickmühle. Einerseits steht er unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit, endlich das Lager aufzulösen. So hat der Chef der EU-Delegation in Bosnien und Herzegowina, Johann Sattler, am Freitag die umgehende Schließung des Lagers gefordert.
„Vučjak muss dringend geschlossen werden“, erklärte Sattler nach einem Treffen mit Lokalpolitikern. „Dieser Ort ist für die Unterbringung von Menschen ungeeignet und aus hygienischen Gründen inakzeptabel.“ Doch was mit den Migranten geschehen soll, konnte er auch nicht sagen.
Auf der anderen Seite will die Bevölkerung der weniger als 40.000 Menschen zählenden Stadt Bihać – 90 Prozent sind Bosniaken (bosnische Muslime) – keine männlichen Migranten aus Afghanistan, Pakistan, Syrien und Nordafrika. Vor allem Frauen fürchten Übergriffe.
Hinzu kommt, dass die Pachtverträge für die „regulären“ Lager Bira, Borić und Sedra, betrieben von internationalen Hilfswerken unter Leitung von IOM (International Organization for Migration) betrieben werden, auslaufen und ihnen die Schließung droht. Der Bürgermeister kann gar nicht daran denken, die Migranten aus Vučjak auf die Stadt zu verteilen.
Serbisches Dorf lehnt Alternativlager ab
Deshalb hat die Stadtverwaltung vorgeschlagen, ein neues, winterfestes Lager nahe dem 30 Kilometer entfernten Dorf Lipa bei Bosanski Petrovac zu errichten. Dieses Gebiet liegt auf einer fast menschenleeren Ebene. Doch dort regt sich Protest. Denn Lipa liegt zwar im Kanton Una-Sana, in der bosniakisch-kroatischen Föderation, ist aber von der Bevölkerung her ein serbisches Dorf. Und die Einwohner haben jetzt Unterstützung aus der serbischen Teilrepublik „Republika Srpska“ erhalten.
Die Serben fürchten die Migranten aus Nahost – obwohl es ironischerweise gerade die serbischen Behörden sind, in Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, die die Grenzen kontrollieren und die Migranten überhaupt erst nach Bosnien und Herzegowina reisen lassen.
Kälteeinbruch im Flüchtlingslager
Damit sind die Migranten in das Gestrüpp der bosnischen Politik geraten. IOM hatte schon vor Monaten vorgeschlagen, neue winterfeste Lager zu errichten, doch keine bosnische Gemeinde außer Sarajevo war bereit, die Leute unterzubringen.
So kampieren mittlerweile Hunderte von Migranten am Busbahnhof der ostbosnischen Stadt Tuzla. In einem Vorort Sarajevos, Hadžići, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Einwohnern und Migranten, die Stimmung dort ist gekippt.
Viele Migranten versuchen nun, andere Wege „nach Europa“ zu finden. So hat die bosnische Polizei bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe der westherzegowinischen Stadt Ljubuški 17 syrische und irakische Flüchtlinge in einem Lieferwagen entdeckt. Der Winter und die Zustände in Vučjak schrecken sie nicht ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag