Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen: Erst Lager, dann Asylprozess
Die EU will Asylsuchende an den Außengrenzen in Zentren registrieren und dort für Tage festhalten. Die Idee geht auf Ex-Innenminister Seehofer zurück.
Berlin taz | Physisch da – aber offiziell nicht eingereist: So sollen in Zukunft alle Asylsuchenden behandelt werden, die die EU-Außengrenzen überschreiten. Einen entsprechenden Beschluss fasste am Mittwoch der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, eine Arbeitsgruppe des EU-Rates. Mit der Reform rückt die Einführung der sogenannten Screening-Verordnung der EU näher. Die wiederum ist Grundlage für den Aufbau neuer Registrierungszentren für ankommende Asylsuchende an den Außengrenzen.
Die Lager sollen die derzeit existierenden „Hotspots“ ablösen. Dabei wird ein juristischer Trick angewandt, die so genannte Fiktion der Nichteinreise. Damit soll verhindert werden, dass die Ankommenden sich auf das nationale Asylrecht des Einreiselandes berufen können. Stattdessen sollen sie einer Art exterritorialem Vorprüfungsverfahren unterworfen werden. Dabei wird entschieden, ob der Zugang zu einem regulären europäischen Asylverfahren überhaupt gewährt wird.
Die neuen Screening-Zentren sind Teil des im September 2020 von der Kommission vorgelegten EU-Migrationspakts. Sie gehen zurück auf eine Idee der deutschen Ratspräsidentschaft in jenem Jahr – und entstammen somit dem Haus des damaligen deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU).
„Das Screening umfasst Identifizierungs- und Sicherheitskontrollen, aber auch Gesundheitskontrollen und Prüfungen der Schutzbedürftigkeit“, heißt es in der Mitteilung des EU-Rates vom Donnerstag. Es soll „in der Regel in der Nähe der Außengrenzen“ vorgenommen werden und dürfe „höchstens fünf Tage“ dauern. In dieser Zeit müssten die Personen den nationalen Behörden „zur Verfügung stehen“ – eine dezente Umschreibung für die in der Regel geplante Internierung. Alle Betroffenen würden nach dem Screening den für Asyl oder für Umsiedlung oder Rückkehr zuständigen Behörden zugeführt, so der Rat.
Kritik an „De-facto-Haftlagern“
Wer aus einem Land stammt, aus dem weniger als ein Fünftel der Asylanträge im EU-Schnitt Erfolg hat, kommt dabei in das sogenannte Grenzverfahren: ein beschleunigtes Prozedere in geschlossenen Lagern, an dessen Ende binnen 12 Wochen die Anerkennung oder – wahrscheinlicher – die Abschiebung steht. Dieses Prozedere betrifft die Mehrzahl der Herkunftsländer.
Pro Asyl kritisierte den Beschluss scharf und sprach von einer „verpflichtenden Einführung von De-facto-Haftlagern an Europas Grenzen“. Die Ampel habe im Koalitionsvertrag versprochen, das Leid an den Außengrenzen zu beenden. Stattdessen trage sie Veränderungen auf EU-Ebene mit, die „in beispielloser Geschwindigkeit unter strikter Geheimhaltung“ umgesetzt würden. „Haft darf nicht zum Standard an Europas Grenzen werden“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhardt.