Flucht vor dem Krieg in der Ukraine: Mehr Kriegerin als Katalogbraut

Menschenhandel-Warnmeldungen erfüllen die Kolumnistin mit Unbehagen. Ihre Freundin Daria schimpft auf die Verzwergung ukrainischer Heldinnen.

Eine Familie mit Koffern im Gegenlicht, sie überquert Bahngleise an der polnisch-ukrainischen Grenze.

Opfer oder Heldinnen? Die Strapazen und Gefahren der Flucht kann man unterschiedlich deuten Foto: Victoria Jones/dpa

Daria spuckt fast vor Empörung: „Das regt mich so auf“, sagt sie. „Das ist einfach alles, was ihr in uns seht: Nutten, Katalogbräute, Leihmütter, allenfalls noch potenzielles Putz- und Pflegepersonal.“ Mit Daria habe ich Germanistik studiert, kennengelernt haben wir uns aber bei einem Job als Messehostessen auf der Cebit.

Der Job ist vom Anschaffen nicht weit entfernt: Irre gut bezahlt, sexistisch bis ins Mark und voller ekliger Anmachen. Von denen kriegte Daria damals schon immer mehr ab als ich. Aber das wird daran liegen, dass sie einfach viel schöner ist. Eine klassische slawische Schönheit.

Der Text, über den sie sich jetzt aufregt, ist einer von den dutzenden Warnmeldungen vor Zuhältern und Menschenhändlern an der ukrainischen Grenze, die mir in den letzten zwei Wochen auf den Tisch geflattert sind.

Sie wecken in mir ein diffuses Unbehagen, weil sie sich alle so ähnlich sehen: Viele Andeutungen und Gerüchte, wenig Überprüfbares. Sie erinnern an Facebookgeschichten, die im Flüchtlingssommer 2015/16 die Runde machten.

Dieses Mal kommen sie aber aus Ecken, für die ich sonst durchaus was übrig habe: Aus feministischen Organisationen, die für das Verbot von Sexarbeit oder das nordische Modell kämpfen. Da­rüber kann man ja durchaus diskutieren, aber sind diese Kriegsflüchtlinge der richtige Anlass?

Die Frauen sind weder doof noch allein

„Nein, das ist eine Unverschämtheit“, findet Daria, die als gebürtige Ukrainerin und eingebürgerte Deutsche gerade im Dauerhilfseinsatz ist. „Das sind Heldinnen. Kämpferinnen, die damit beschäftigt sind, ihre Kinder und ihre Alten in Sicherheit zu bringen. Die sind doch nicht doof. Und die sind auch nicht allein.“

Sie tippt auf ihrem Smartphone herum und hält mir eine Facebookgruppe mit Beiträgen in kyrillischer Schrift unter die Nase. „Da ist alles voll von Überlebenstipps und rührenden Geschichten. Von Leuten, die sich auf der Flucht verloren und wieder gefunden haben. Die passen aufeinander auf. Und auch wer selbst keine Verwandten im Ausland hat, der kennt jemanden, der jemanden kennt.“

Das, denke ich, ist allerdings eine andere Situation als die der Zwangsprostituierten, die ich kennengelernt habe. Die kommen hier an mit dem Bewusstsein, unerwünscht zu sein, mit Schulden beim Schlepper und dem Erwartungsdruck der Familie im Nacken.

Die waren so mutterseelenallein, wie man es nur sein kann: Im Gepäck eine endlose Geschichte von Vernachlässigungen und Misshandlungen, die sie früh da­rauf trainiert hatten, nicht allzu viel Gutes zu erwarten. Mit einer Kette von Süchten und Problemen, die einen normalen Job undenkbar zu machen schienen. Darauf baut Zwangsprostitution: Ausweglosigkeit, Scham, Isolation. Das wirkt stärker als Gewalt und einkassierte Pässe.

„Aber denkst du nicht, dass dieses Chaos auch Abschaum anlockt?“, frage ich Daria vorsichtig. „Klar“, sagt sie nüchtern. „Die sind alle da: Die Psychos, die sich durchs Helfen selbst stabilisieren, die Grapscher und Wichser, die Sektenangehörigen auf Seelenfang. Aber“, schnauft sie, „mit denen werden wir auch noch fertig. Unterschätz' uns mal nicht.“

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