Flucht nach Deutschland: Gegen Putin zu sein, lohnt sich
Russ:innen, die in Deutschland Asyl beantragen, können als Geflüchtete anerkannt werden. Wer sich schon gegen Putin engagierte, hat es leichter.

Im Vergleich zu ukrainischen Flüchtlingen haben Russ:innen zunächst zwei gravierende Nachteile. Schon vor dem Krieg war für Ukrainer:innen mit einem biometrischen Reisepass die Einreise in die EU für 90 Tage ohne Visum möglich, während Russ:innen sich erst aufwendig bei einer EU-Botschaft ein Visum besorgen mussten.
Außerdem hat die EU Anfang März für ukrainische Flüchtlinge die so genannte Massenzustrom-Richtlinie aktiviert. Flüchtlinge aus der Ukraine können ohne Asylverfahren bis zu drei Jahre in der EU bleiben. Sie können arbeiten und Sozialleistungen erhalten. Für Russ:innen gelten diese Sonderregeln nicht.
Sie müssten in Deutschland individuell Asyl beantragen. Wer bisher schon in Russland oppositionell tätig war, dürfte gute Chancen auf Asyl in Deutschland haben. Das Gleiche dürfte für russische Journalist:innen gelten, denen politische Verfolgung droht, wenn sie die Wahrheit über den Krieg gegen die Ukraine berichten. Asylberechtigt sind auch russische Soldat:innen, die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen wollen.
Auch nachträgliches Engagement kann Asylgrund sein
Auch wer sich erst nach der Flucht in Deutschland gegen das Putin-Regime engagiert, kann theoretisch Asyl erhalten. Er/sie muss laut Asylgesetz aber nachweisen, dass dies „einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung“ entspricht.
Viele Syrer:innen wurden in Deutschland als Flüchtling anerkannt, weil sie bei einer Rückkehr nach Syrien Ärger schon wegen der Ausreise bekommen könnten. Hier waren die deutschen Gerichte allerdings uneinig. Und für Russland kommt eine derartige Argumentation ohnehin zu früh. Noch weiß niemand, wie die russischen Sicherheitsbehörden auf Rückkehrer:innen reagieren würden.
Nach der Dublin-III-Verordnung der EU ist für das Asylverfahren eigentlich das Land des ersten Kontakts zuständig. Da ohne Visum keine Einreise per Flugzeug möglich ist, müssten sich Russ:innen auf dem Landweg nach Deutschland durchschlagen und kämen dabei vorher zum Beispiel durch Polen. Deutschland kann jedoch ausdrücklich oder stillschweigend auf die Dublin-Rückschiebung nach Polen verzichten.
Mögliche Optionen
Deutschland könnte geflüchteten Russ:innen aber auch die Unwägbarkeiten eines Asylverfahrens ersparen und ihnen generell oder bestimmten Gruppen die humanitäre Aufnahme gewähren. Rechtsgrundlage wäre Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. Solche Aufnahmeprogramme kann der Bund beschließen oder einzelne Bundesländer, die aber die Zustimmung des Bundes benötigen. Solche Programme können nicht eingeklagt werden, sondern werden politisch beschlossen.
Einzelne Bundesländer können auch einen Abschiebestopp nach Russland beschließen. Soll dieser länger als sechs Monate dauern, wäre aber wieder die Zustimmung des Bundes erforderlich. Verantwortlich wäre das Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD.
Erleichtert wurde in den letzten Jahren die Einwanderung von Fachkräften und Hochschulabsolvent:innen. Diese können auch ohne die feste Zusage eines Unternehmens zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Für kurzfristig fliehende Russ:innen dürfte dies aber keine Option sein. Erforderlich sind in der Regel Deutschkenntnisse, die der angestrebten Tätigkeit entsprechen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene