Flensburger Abtreibungs-Debatte: Selbst gemachte Versorgungskrise
Wenn Ärzte-Vertreter*innen wollen, dass mehr ihrer Kolleg*innen Schwangerschaftsabbrüche machen, müssen sie die Debatte versachlichen.
F lensburg ist einer von vielen Orten, in denen die Kommunalpolitik vor einer unlösbaren Aufgabe steht. Sie soll die Lücken schließen, die vor 25 Jahren der Bundestag mit dem Abtreibungsparagrafen 218 geschaffen hat: Es gibt zu wenig Ärzt*innen, die Schwangerschaften abbrechen, und es werden immer weniger.
Der Hauptgrund: Abtreibungen gelten nach dem Paragrafen 218 als Straftaten gegen das Leben, niemand beteiligt sich gern an etwas gesellschaftlich so Geächtetem.
Darauf haben Kommunal- und Landespolitik keinen direkten Einfluss. Sie können nur wie jetzt in Flensburg den Wenigen die Arbeit erleichtern, die Schwangerschaftsabbrüche als Bestandteil ihres Berufs begreifen. Anders als es die Landeschefin des Gynäkolog*innen-Verbands Doris Scharrel glaubt, gibt es sogar Ärzt*innen, die bereit sind, fast nichts anderes zu machen.
Das berühmteste Beispiel ist die Gießenerin Kristina Hänel. Hinzu kommen Ärzt*innen in den vier medizinischen Zentren von Pro Familia. Sie tun es, weil sich so viele ihrer Kolleg*innen „nicht die Finger schmutzig machen“ wollen, wie es der letzte Münsteraner Abtreibungsarzt der taz gesagt hatte.
Emotionale statt sachliche Argumente
Scharrel hat recht, wenn sie fordert, die Aufgabe auf mehrere Schultern zu verteilen. Aber dann müssen sie und andere Ärzte-Vertreter*innen die Debatte versachlichen und Abtreibungen entdämonisieren.
Dazu gehört, sich von Positionen wie der des Bundesverbands und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie zu distanzieren. Diese hatten im Juli betont, wie belastend ein Abbruch für alle Beteiligten sei. Immer, grundsätzlich.
Er sei eine von „mehreren schlechten Optionen“, für die Frauen „oft lebenslang einen hohen psychischen und in Einzelfällen auch physischen Preis“ zahlen würden, steht darin. Solche Prosa trägt dazu bei, dass der Diskurs über Abtreibungen nicht von medizinischen, sondern emotionalen Argumenten bestimmt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen