piwik no script img

Fleischkonzern Tönnies schlachtet wiederAlles arme Schweine

Das Fleischunternehmen Tönnies hat die Produktion im Stammwerk wieder begonnen. Arbeiter*innen, Tiere und Umwelt leiden weiter.

Ein Schweinesystem, hier in Rheda-Wiedenbrück Foto: Martin Meissner/ap

Jetzt beginnt das Leiden wieder: Kaum vier Wochen war Europas größte Fleischfabrik im westfälischen Rheda-Wiedenbrück wegen des massiven Coronaausbruchs unter ihren Arbeiter*innen geschlossen. Seit Donnerstag lässt der Konzern Tönnies in seinem Stammwerk wieder Schweine schlachten. Das ist keine gute Nachricht. Denn an der Ausbeutung der Beschäftigten, der Tierquälerei und der Umweltverschmutzung in der Fleischbranche hat sich nichts geändert. Zu Recht haben Greenpeace-Aktivisten am Morgen auf einem Banner am Hauptgebäude von Tönnies gefordert: „Schluss mit dem Schweinesystem!“

Klar, wahrscheinlich gibt es jetzt erst einmal 1,50 Meter Abstand zwischen den Beschäftigten, um Infektionen zu verhindern. „Ich gehe davon aus, dass die Hygienevorgaben, die schon vom Bund vor einigen Wochen ausgegeben worden sind, jetzt auch effektiv kontrolliert und eingehalten werden“, sagte der taz sogar Armin Wiese, der für die Tönniesfabrik zuständige Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).

Die Behörden stehen ja auch unter einem gewaltigen Druck, einen weiteren Infektionsherd zu verhindern. Die ganze Republik guckt ihnen auf die Finger, nachdem Mitte Juni mehr als 1.400 Tönnies-Arbeiter positiv auf Covid-19 getestet wurden und deshalb zwei ganze Landkreise das öffentliche Leben wieder einschränken mussten. Nach dem infektiösen Desaster bei Tönnies dürfte auch in anderen Schlachthöfen der Coronadrill etwas strenger eingehalten werden.

Allerdings sind immer noch Zehntausende Arbeiter*Innen der deutschen Fleisch­industrie bei Subunternehmen angestellt, die von den Schlachthöfen per Werkvertrag beauftragt werden. So können Fleischkonzerne Gewerkschafter*Innen zufolge die Kosten senken und sich vor der Verantwortung dafür drücken, dass Arbeitnehmerrechte verletzt werden, die Beschäftigten weniger als den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 9,35 Euro erhalten und Sozialbeiträge sowie Steuern hinterzogen werden. Die Werkvertragskonstruktion führt laut NGG sogar dazu, dass Schlachthöfe Abstandsregeln im eigenen Haus nicht durchsetzen dürfen.

Tiere werden mit Kohlendioxid betäubt

Schlimm geht es den Tieren: Vor allem in großen Schlachthöfen wie bei Tönnies werden sie mit Kohlendioxid (CO2) betäubt, weil man damit so viele Schweine in kurzer Zeit „erledigen“ kann. 15 bis 20 Sekunden lang haben sie das Gefühl zu ersticken und schreien, das Gas verursacht sehr große Schmerzen, wie der Veterinär Michael Marahrens vom bundeseigenen Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit bereits 2017 in der taz berichtete. Sein Urteil: „Die meisten Tiere in Schlachthöfen leiden zu viel.“ Und der Mann gehört keinesfalls zu Verbänden wie der Tierrechtsorganisation Peta, die am Donnerstag ihre Veganer-Grundsatzkritik an Tönnies erneuerte: „Massen an Tieren verlieren weiter ihr Leben.“

Der Staat muss kleine regionale Schlachthöfe fördern

Außerdem müssen die Schweine auf der Fahrt zum Schlachthof auch wieder stundenlang in Tiertransportern ausharren. Denn Tönnies, Vion und andere Konzerne haben systematisch die kleineren, dezentralen Schlachthöfe verdrängt. Auch vor dem Abtransport in den Tod werden die meisten Tiere in Deutschland miserabel gehalten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Ferkel werden ohne Betäubung kastriert und Zähne abgeschliffen. Fast allen wird ein Teil des Schwanzes amputiert.

Der Umwelt schadet das Billigfleischsystem in vielerlei Hinsicht: Nitrat aus der vielen Gülle etwa verschmutzt das Wasser, die Klimabilanz ist miserabel.

Was tun? SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil muss endlich seinen Gesetzentwurf zum Verbot der Werkverträge bei der Schlachtung und Fleischverarbeitung vorlegen. Der Staat sollte kleine, regionale Schlachthöfe fördern, die ihre Tiere zum Beispiel per Stromschlag betäuben, was schmerzärmer als mit CO2 ist. Deutschland braucht auch strengere Vorschriften für die Tierhaltung. Damit die Bauern das finanzieren können, sollten die Agrarsubventionen umverteilt und eine Tierwohlabgabe auf Fleisch erhoben werden. Es gibt also Lösungsvorschläge – man braucht nur Mehrheiten, um sie umzusetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Sehr geehrter Herr Maurin,

    was haben Sie gegen die CO2-Betäubung von Schweinen? In den 50iger Jahrten wurde die CO2-Narkose in den USA in der Geburtshilfe eingesetzt. 92% der Patientinnen, die zur Entbindungmit CO2 betäubt wurden, antworteten bei einer Befragung mit "sehr zufrieden" oder "zufrieden". Diese Betäubung wurde der Chloroform-Betäubung vorgezogen

    L D MacRAE



    Carbon dioxide in obstetrics; a preliminary report



    Dis Nerv Syst. 1951 Jan;12(1):13-5.

    L D MacRAE



    Carbon dioxide in obstetrics in Carbon dioxide therapy. L. J. Meduna ed. Illinois 1958

  • Die Debatte über Tierwohl in Schlachtbetrieben oder bei der Schweinemast geht am Ziel vorbei. Solange Tiere eines Großteils ihrer Lebenserwartung beraubt werden, um auf unseren Tellern zu enden, ist es müßig, sich darüber zu ereifern, wieviel Quadratzentimeter Stehplatz sie haben. Das gilt nicht nur für Schweine, sondern auch für Kühe, Vögel und sogar Insekten. Vegetarisches Essen braucht keine teuren Veggieburger mit tausend Zutaten. Bohnen, Linsen oder Erbsen ersetzen Fleisch günstig und sind gesünder für uns und die Umwelt.

  • Ich war immer Fleischesser. Seit diesem Jahr kaum noch. Leider habe ich etliche Nahrungsmittelallergien und muss auf ganz viel verzichten. Das ist schwierig. Fleisch und einige Produkte daraus könnte ich essen, will ich aber nicht mehr. Es ekelt mich an, wie mit unseren Tieren umgegangen wird, dann verzichte ich auch darauf und es geht !!! Ich möchte keine Verantwortung mehr für diesen Tiermord übernehmen!

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Hier hilft nur Druck aufbauen



    - KEIN FLEISCH MEHR - !!!



    Solange nicht diese Monopalstellungen von Großschlachtereien / Zerlegebetrieben aufgehoben sind !

  • Seit 14 Monaten gibt es in D das Tierwohllabel. Am Einkaufsverhalten hat sich nichts geändert. Die Deutschen haben keine Esskultur und kaufen Lebensmittel möglichst billig. Die Konsequenz ist dann Tönnies, nicht der Ursprung.

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @RobFlynn:

      ...ach - wie lange meinen Sie, gibt es Tönnies schon ? 5 - 10 - 15 - oder 20 Jahre ?



      Bitte nicht den Telefonjoker einsetzen...

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Alleine bei dem Gedanken, das auch nur 1 Cent von mir ,ins Portomonai von diesem Tönnies wandert ,dreht sich mir der Magen rum.



    Also kein Fleisch!

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @91491 (Profil gelöscht):

      Genau das ist auch ein wahrer Grund für uns - und selbstverständlich geht es uns auch um die katastrophalen Haltebedingungen und fehlende Lebensqualität der Tiere !

  • Das ganze System ist einfach nur krank. Und ihr finanziert es!



    Kein Mensch muss in Europa Fleisch essen und sich fleischlos zu ernähren ist extrem einfach, wenn man nur will. Der einzig haltbare Grund Fleisch zu essen ist der Geschmack – aber ist es das wert, alleine dafür die extremen Auswirkungen auf Umwelt, Tier- und Menschenrechte und nicht zuletzt die eigene Gesundheit in Kauf zu nehmen?

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    Tierwohlabgabe ? Wie wäre es erstmal die Milliarden Gewinnspanne der Fleischindustrie teilweise an die Landwirte / Tiermäster und Mitarbeiter weiterzugeben

  • Wie wäre es denn mit Selbstversuchen, ob Betäubung durch Stromschlag oder CO2 schmerzhafter sind? Das wäre doch mal was für diejenigen, die davon profitieren - Agroindustrie und Konsument*innen. Vielleicht kommt mensch aber auch von alleine darauf, dass weder das eine noch das andere eine gute Idee ist und entscheidet sich gar gegen das Töten von Tieren für den kurzweiligen Gaumenschmaus...

    • 0G
      02612 (Profil gelöscht)
      @Uranus:

      ...schon einmal einen Weidezaun mit Strom angefasst ?