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Fischsterben in der OderKopfschütteln am verseuchten Fluss

Unmengen verendeter Fische und Schnecken: Die Oder ist auf Hunderten Kilometern vergiftet. In Schwedt ärgern sich die Menschen: Alle hätten gepennt.

Ein ganzes Ökosystem zerstört: Tote Fische in Bielinek, Polen Foto: Cezary Aszkielowicz/Agencja Wyborcza/reuters

Auf dem alten Grenzgelände, das seit dem EU-Beitritt Polens 2004 brachliegt, laufen aufgebrachte Menschen herum, die Stimmung ist angespannt. Am Ufer der Oder, die hier in der uckermärkischen Stadt Schwedt die Grenze zu Polen markiert, beugen Passanten und Neugierige ihre Köpfe über den Fluss. Sie erblicken eine Spur der Zerstörung: Unmengen toter Fische und Schneckenhäuser, verfangen zwischen den schroffen Ufersteinen. Angespült von dunkelgrün-milchigem Wasser.

Es ist eine Umweltkatastrophe von noch unbekanntem Ausmaß, die sich gerade in dem 840 Kilometer langen, in Tschechien entspringenden Fluss abspielt. Und ein Versagen der Informationskette auf vielen Ebenen. Bereits am 26. Juli war polnischen Anglern in der Nähe von Breslau aufgefallen, dass ungewöhnlich viele tote Fische in der Oder trieben. Der Chef des Angelvereins in der Region Wrocław, Andrzej Świętach, berichtete laut Märkischer Oderzeitung bereits am 6. August, dass AnglerInnen mehr als fünf Tonnen toter Fische aus dem Wasser geborgen hätten.

Dennoch gelangten nur spät und spärlich Informationen nach Deutschland, ebenso schleppend verläuft die Aufklärung. Nach aktuellem Kenntnisstand sind offenbar in Polen giftige Substanzen ins Wasser geleitet worden; die polnische Regierung sprach am Sonntag wie auch die deutsche Seite von sehr stark erhöhten Salzgehalten im Fluss und mutmaßte, das Wasser sei mit Chemie-Abfällen vergiftet worden. Quecksilber wurde zwar in hohem Maße bei der Analyse toter Fische festgestellt, Ursache der Katastrophe ist das giftige Schwermetall allerdings offenbar nicht. ExpertInnen vermuten, das Quecksilber sei beim Ausbaggern der Oder aufgewirbelt worden. Früher benutzten es Landwirte zum Beizen des Saatguts. Dann lagerte es sich jahrzehntelang im Flussbett ab. Der Oderausbau wird von Umweltschützern auf beiden Seiten des Flusses kritisiert.

Quecksilber? Salze? Oder sogar ein Giftcocktail? Die Unklarheit über die Ursachen ärgert viele, die meisten am Fluss sind einfach erschüttert: Die Bürgermeisterin von Schwedt, Annekathrin Hoppe (SPD), bezeichnete das Fischsterben auf der Länge von Hunderten Flusskilometern als „Umweltkatastrophe von noch nie dagewesenem Ausmaß“.

„Müssen alles Freiwillige machen?“

Die Bürger an der gesamten Oder sind inzwischen angehalten, das Wasser nicht zu berühren. In Schwedt fragt ein Mann einen anderen Passanten: „Wo sind denn alle? Wo ist das THW? Wo ist die Bundeswehr? Müssen heute alles Freiwillige machen?“ Helfer sammeln indes auf deutscher und polnischer Seite Tausende Fischkadaver ein. Es ist eine Zerstörung, die sich unerklärlich lange ohne Kenntnis der Öffentlichkeit abspielte.

„Die Frage der deutsch-polnischen Zusammenarbeit hat an dieser Stelle ganz offensichtlich nicht funktioniert“, sagt Umweltministerin Steffi Lemke – und forderte eine Analyse. Die Grünen-Politikerin hatte sich alles am Samstag vor Ort angeschaut. Am Sonntagabend wollte sie sich zudem mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa beraten. Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke kritisierte auch die deutsche Seite. Bund und Land hätten nicht geholfen, die Stadt habe ein eigenes Krisenmanagement aufbauen müssen.

Viel war nicht mehr zu retten

In Deutschland hatten die Behörden erst am Dienstag Hinweise auf ein ungewöhnliches Fischsterben erreicht. Schnell wurden andere Gewässer wie die sogenannte Alte Oder abgetrennt, um verunreinigtes Wasser am Eindringen zu hindern. Aber viel war da schon nicht mehr zu retten. Inzwischen hat sich das verseuchte Wasser Richtung Ostsee bewegt. Laut Behörden sollten sich die Schadstoffe abhängig von Wind und Strömung bereits am Samstag im mecklenburg-vorpommerschen Teil des Oderhaffs befinden.

Ministerin Lemke schloss sogar nicht aus, dass die Behörden eine Badewarnung etwa für die Insel Usedom aussprechen könnten. „Wir haben eine Giftfracht im Fluss“, sagte Lemke. Sie wisse nicht, „wann die sich so weit verdünnt haben wird, dass sie keine Gefahr für Natur und Mensch darstellt“. Die Folgen für die Ostsee und die Nahrungskette sind noch nicht abzusehen, die Konsequenzen könnten laut Umweltschützern über Jahre fortwirken.

„Da fehlen mir die Worte“

Auf der Schwedter Brücke nach Polen treffen unterdessen Menschen aufeinander. Sie schütteln die Köpfe, machen Fotos, reden darüber, was sie wissen und was sie fühlen. Ein Jammer sei es. Alle hätten gepennt. „Dass es immer noch fließt Richtung Ostsee“, sagt einer, „da fehlen mir die Worte.“ Unter den Menschen auf der Brücke fließt die Oder. Auf ihr sind weiße, glitzernde Punkte zu sehen. Es sähe fast schön aus, wenn man nicht wüsste, was das ist. Jeder von ihnen ein totes Tier: Zope, Wels, Zander, Hecht, Karpfen, Plötze, Rotfeder, Barsch und auch wiederangesiedelte Störe. Einige der Fische haben ein Menschenleben lang in der Oder gelebt.

Auf der polnischen Seite riecht es nach Räucherfisch. Am Ufer stehen Männer in weißen Schutzanzügen. Zuletzt hat man solche Anzüge hier im Frühjahr 2020 gesehen, als die Grenze wegen der Coronapandemie dicht gemacht wurde. Im Wasser haben die polnischen Behörden eine 25 Meter breite rote Barriere aufgestellt, in die pro Minute deutlich mehr als hundert Fische treiben.

Am Rand liegt ein Teppich toter Fische. Ein Passant betrachtet die Szenerie und sagt: „Wir sind in Europa. Eigentlich müsste die Barriere von hier nach da gehen.“ Und er zieht einen Strich durch die Luft, eine gemeinsame deutsch-polnische Barriere.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Da das Fischsterben nun auch in umliegenden Gewässern stattfindet, welche nicht mit der Oder verbunden sind (die Ner als Beispiel), sind völlig andere Gründe für das Fischsterben denkbar. Z.B. die extremen Wassertemperaturen und möglicherweise Sauerstoffarmut durch Algenblüte.



    Wenn dem so ist, dann erklärt dies auch, warum die Labore sich schwer tun, etwas zu finden.

  • Kann mir mal ein Wissenschaftler hier erklären, warum man Tagelang braucht um den Killer-Schadstoff zu analysieren?



    Es scheinen ja eher keine Keime, Bakterien oder Viren zu sein, sondern wohl eher eine Chemiekalie, wie Herbizide, Fungizide, oder eine Kohlenwasserstoffverbindung.

    Wäre dankbar, wenn sie jemand da auskennt und es beantworten kann.

    • @Rudi Hamm:

      Ganz einfach: ohne konkrete Anhaltspunkte, *was* und *wo* schiefgelaufen hat, ist es buchstäblich eine Nadel-Heuhaufen-Situation.

      Zumal es im vorliegenden Fall gar keine einzelne Substanz sein muss. Die Oder ist erwärmt, und aus irgendeinem Grund (Aufwühlen durch Schiffsschrauben bei niedrigem Wasserstand?) ist auch die Quecksilberbelastung erhöht. Da kann eine an sich nicht übermäßig gefährliche Menge irgendeines weiteren Schadstoffs zu einer Katastrophe führen.

      Außerdem ist gar nicht sicher, ob der Giftstoff überhaupt in den toten Tieren akkumuliert, oder ob es sich um eine Kontaktvergiftung handelt, und das vergiftete Wasser längst in die Ostsee geflossen ist.

      Und zuletzt ist da noch die Frage der Analytik. Ich weiß nicht, wie genau gesucht wird, aber ich vermute, irgendetwas mit Gaschromatographie. Die kann aber nur eine Gesamtliste der vorliegenden Substanzen ausspucken, und das ist im Oderwasser eine verdammte Menge. Man muss die Ergebnisse mit Referenzlisten gegenlesen, aber wenn es sich beim Giftstoff um eine wenig verbreitete Spezialchemikalie handelt, deren Produktionsprozess proprietär ist, ist noch nicht einmal gesagt, dass es dazu entsprechende Daten gibt.

      Der einzige Hinweis, den man aktuell hat, ist eine Welle aus (unter Berücksichtigung der Temperatur) extrem sauerstoffreichem Wasser, die zeitgleich mit dem Fischsterben oderabwärts zog. Theoretisch könnte das die Zeit zwischen dem Absterben der Fauna und der Zersetzung der Kadaver markieren, in der der biologische Sauerstoffbedarf kurzzeitig absinkt. Aber bei den aktuellen hohen Wassertemperaturen sollte die Verwesung so schnell beginnen, dass das Wasser nur sehr kurze Zeit ein wenig sauerstoffreicher wird.

      Irgendein Oxidationsmittel - vielleicht ein organisches Peroxid aus der Kunststoffproduktion?







      Aber um mit der Suche schneller voranzukommen, fehlen die entscheidenden Informationen (vgl damals am Rhein: die Information, dass es einen Großbrand bei Sandoz gegeben hat).

      • @Ajuga:

        Danke!

  • Können wir auch jetzt Reparationen geltend machen?

  • Eine Ursache für das Fischsterben ist bis dato nicht bekannt. Ich verschwöre.



    Was die Sache aber nicht harmlos macht. Die üblichen Verdächtigen schweigen.



    Das einzige, was wirklich absehbar ist, es wird mal wieder eine Umweltkatastrophe werden.



    Also, weiter machen wie bisher.

  • mit gesundem menschenverstand ...

    nicht nachvollziehbar, wie lange die alarmglocken geschwiegen haben.

  • Der Artikel trifft ziemlich genau die Stimmung in Schwedt. Die Leute sind frustriert und zunehmend auch wütend darüber, dass man hier alles den Ortskräften und Freiwilligen überlasst. Dass hier wie auf polnischer Seite schweres Gerät angefahren wird, darauf wartete man hier vergebens. Unterdessen sterben nicht mehr nur Fische, sondern auch Biber und Vögel in unserem einzigartigen Nationalpark. Die Fische müssten schnell entfernt werden, um zu verhindern, dass andere Tiere (z.B Fischadler oder Fischotter) sie fressen, aber es sind so viele! Und es stinkt bei diesen Temperaturen auch schlimm! Bei der Oder-Flut vor 25 Jahren erklärte der damalige Bundeskanzler Kohl diese Katastrophe zur nationalen Aufgabe. Ist die Vergiftung unseres Flusses über mehrere 100 km etwa weniger schlimm? Ich vermisse auch die Solidarität von Herrn Woitke. Statt sich in Diskussionen über Zuständigkeiten zu verlieren, muss schnelle unbürokratische Hilfe erfolgen, sonst ist hier bald nichts mehr zu retten.

    • @Manu F.:

      Was soll da noch zu retten sein?

      Es ist wie bei Tschernobyl: Erst schweigen die polnischen Verantwortlichen und sitzen es aus - nun schon über 2 Wochen lang. Dann sollen Freiwillige in "heldenhafter" Kampagne den Deckel auf den Sarkophag legen.

      Umweltschutz im Osten - damals wie heute.

  • Schön das die zuständige Ministerin wenigstens Tage später vor Ort war.



    War auch eigentlich ihre Pflicht.



    „ Ministerin Lemke schloss sogar nicht aus, dass die Behörden eine Badewarnung etwa für die Insel Usedom aussprechen könnten.“

    Was hält sie den davon ab, Personenschutz über wirtschaftliche Interessen zu stellen?



    Vielleicht die neoliberale Ausrichtung ihrer Partei?

    Und wieso fischen nur die Polen die Kadaver raus. Wieso nicht der THW, die Zuständigen Behörden?



    …. Wahrscheinlich haben die alle nicht rechtzeitig ein Fax bekommen.

    • @neu_mann:

      "Was hält sie den davon ab, Personenschutz über wirtschaftliche Interessen zu stellen?

      Vielleicht die neoliberale Ausrichtung ihrer Partei?"

      Für Badewarnungen ist der Landkreis Vorpommern-Greifswald (CDU/AfD-dominiert) zuständig, nicht das Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.