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Finnlands KulturszeneDie Geister fürchten sich

Noch gibt sich Finnlands neue Rechtsregierung moderat, doch die Kulturszene ist besorgt. Das zeigt eine Reise durch den finnischen Kunstsommer.

Danielle Brathwaite-Shirleys Skulpturen auf der Insel Vallisaari Foto: Helsinki Biennale Perttu Saksa

Helsinki/mänttä taz | Hexe, Voodoo-Zombie oder Vogelscheuche? Wer in diesem Sommer die Insel Vallisaari in der See vor Helsinki durchstreift, trifft immer wieder auf furchteinflößende Puppen mit schwarzen Gothic-Umhängen und Köpfen aus Gestrüpp.

Das ehemalige Militäreiland, eine halbe Fährstunde vom Südhafen der finnischen Hauptstadt, ist der Schauplatz der 2. Helsinki Biennale. Die lebensgroßen Puppen stammen von der Künstlerin Danielle Brathwaite-Shirley. Sie verkörpern schwarze Transmenschen, deren wechselhafte Geschichten über die Suche nach einer geschlechtlichen Identität die Be­su­che­r:in­nen sich im Laufe der Biennale bei Live-Rollenspielen erschließen können – Brathwaite-Shirley sieht sie als Bausteine für eine neue Mythologie der verlassenen Insel.

Die Biennale macht es den Be­su­che­r:in­nen in diesem Jahr nicht leicht. Setzte die erste Ausgabe des jüngsten Zugangs im Reigen der 250 internationalen Biennalen vor zwei Jahren noch auf spektakuläre Arbeiten wie Alicja Kwades Stein-und-Glas-Skulpturen, zieht sich die Kunst in diesem Jahr ins Hermetische, manchmal gar Esoterische zurück.

Inspiriert von den Geisterhäusern, die man in Thailand zuweilen für die Seelen Verstorbener baut, hat das Künst­le­r:in­nen­kol­lek­tiv Keiken auf Vallisaari eine Pagode als Haus für Engel und gute Geister errichtet. In ihrem Inneren betritt man ein Spiegellabyrinth und ein QR-Code für das Online-Game „Angel Arcade“ soll den Weg in eine posthumane Zukunft öffnen.

Es sind vermutlich Arbeiten wie diese, die Riikka Purra „Luxus“ nennen würde. Mit dieser Vokabel hatte die Parteichefin der rechtsextremen Finnen-Partei im vergangenen Wahlkampf die Kultur abgekanzelt. Nun ist die 46 Jahre alte Politikerin Finanzministerin in der Rechtskoalition des Vorsitzenden der Nationalen Sammlungspartei, Petteri Orpo. Ende Juni löste sie das Mitte-links-Kabinett der 37 Jahre alten Sanna Marin ab, des coolen Shootingstars der europäischen Linken.

Tom of Finland in der Nationalgalerie

Wer in diesen Tagen durch Finnland reist, hört ständig, wie „besorgt“ die Kulturszene wegen der neuen Regierung und besonders ihrer neuen Finanzministerin ist. Schließlich hatte Purra im Wahlkampf versprochen, das Land wieder auf den „rechten Weg“ zu bringen.

Noch ist davon im Kultursektor nichts zu spüren. Kurz nach der Parlamentswahl Anfang April eröffnete Finnlands Nationalgalerie Kiasma, pünktlich zum Auftakt der europäischen Pride-Märsche, eine Retrospektive des 1920 geborenen Künstlers Touko Laaksonen. Mit seinen homoerotischen Muskelmännern erlangte er als Tom of Finland Weltruhm.

Ein Dis­claimer zu Beginn des Parcours in dem fünfstöckigen dekonstruktivistischen Museumsbau aus ineinander verschlungenen Treppen und Galerien, der 1998 nach Plänen des US-Architekten Steven Holl eröffnet wurde, warnt zwar, die Schau des schwulen Kunstaktivisten sei nicht für Kinder geeignet und ruft zu „elterlichem Rat“ auf. An Deutlichkeit lässt die Parade der großschwänzigen, penetrationsbereiten „Nordic Gods“ des legendären Zeichners nämlich nichts zu wünschen übrig. Tom of Finland, der 1991 mit 71 Jahren starb, schuf eine mit sexueller Energie bis zum Bersten gefüllte male-supremacy-vision par excellence.

Allzu viel symbolische Bedeutung will Tanja Huutonen der Ausstellung freilich nicht beimessen: „Tom of Finland gehört bei uns ja inzwischen zum Alltag. Ich habe ein Handtuch mit seinen Motiven, meine Schwester eine Backform“ sagt die Kulturreferentin der finnischen Botschaft in Berlin lachend beim Rundgang durch die Schau mit einer Handvoll Gästen aus dem deutschen Kulturbetrieb. Die abgedunkelten Räume sollen keine Darkroom-Atmosphäre simulieren, sondern die lichtempfindlichen Zeichnungen schützen.

Proteste, gar politische Einsprüche gegen die Schau gab es bislang nicht. Schließlich würdigte die finnische Post schon 2014 einen ihrer berühmtesten Kultursöhne mit einer Briefmarke. Und die junge Kunsthistorikerin, die so begeistert durch die Ausstellung führt, will auch noch keine verstörten Jugendlichen in der Retrospektive bemerkt haben.

Kultur spielt in dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung kaum eine Rolle. Darin findet sich sogar der Satz: „Eine diverse Kunst- und Kulturszene ist das Markenzeichen einer zivilisierten Nation.“ Das neurechte Hassobjekt, die 2017 eingeführte Homo-Ehe, steht auch nicht zur Disposition. Und Sari Multala, die neue Kulturministerin, kommt nicht von Purras Wahren Finnen, sondern von Premier Orpos moderater Sammlungspartei.

Adrián Villar Rojas nennt seine vogelnestähnlichen Skulpturen „The Ende of Imagination“ Foto: Helsinki Biennale Perttu Skasa

Die „blauen Augen“ der Finnen retten

Im Zentrum des rechten Kulturkampfs steht eher eine restriktive Migrationspolitik. Die Finnen wollen die „blauen Augen“ ihrer Landsleute retten. Ihnen ist auch der obligatorische Schwedischunterricht in der Schule ein Dorn im Auge der kulturellen Souveränität. Gut 600 Jahre regierte der ungeliebte Nachbar über heute finnisches Gebiet.

Wie weit Finnlands Neurechte damit kommen, ist noch unklar. Wegen der vor ein paar Tagen entdeckten rassistischen Kommentare über „türkische Affen“ und „Negerkinder“ der neuen Finanzministerin in einem Weblog steht die Regierung unversehens vor einer Existenzkrise. Kurz zuvor war schon ­Purras Parteifreund, Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila, wegen ebensolcher Sprüche zurückgetreten.

„Während der Pandemie ist eigentlich allen Verantwortlichen klar geworden, wie wichtig die Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist“, erklärt Mari Männistö beim Abendessen die Zurückhaltung der Konservativen in Kulturfragen im engeren Sinne. Die junge, 2019 ins Amt gekommene Chefin der Helsinkier Kulturbehörde, früher Managerin einer Galerie, verweist auf den geringen Anteil der Kulturausgaben am städtischen und nationalen Haushalt: „Da kann man nicht viel kürzen.“ 60 Millionen verwaltet sie in der Hauptstadt.

So arbeiten die Kulturhäuser erst einmal ganz normal weiter. In einer alten Mühle, drei Fahrtstunden von Helsinki entfernt, führt Tiina Nyrhinen durch das „Out of Nowhere“ betitelte, dreißigste Mänttä Art Festival. Bei der Ausgabe 2014 hatte die Verhüllung einer Kirche durch ein paar Künstler in der westfinnischen Kleinstadt mit kaum 10.000 Einwohnern, einst das Zentrum der Holz- und Papierindustrie, eine Welle der Empörung ausgelöst. Viele Einwohner fühlten sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt.

Das Festival in Mänttä gilt als die wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Finnland. In der jüngsten Ausgabe steht Belangloses wie Rusto Myllylahtis Skulptur eines überdimensionierten Stücks Pizza neben Engagiertem, wie Pavel Rotts Video „Climbing a Memory“. Darin klettert der Künstler auf den mit Harz gefüllten Bombeneinschüssen aus dem Zweiten Weltkrieg an Häusern in Helsinki wie an einer Kletterwand empor – im Zeichen des andauernden Ukrainekrieges ein beklemmendes Memento.

Auch wenn dem Festival keine Gefahr droht, ist Nyrhinen genauso „besorgt“ wie Päi­vi Viherkoski, die Direktorin der wenige Kilometer entfernten Serlachius-Museen. Das Gutshaus der von dem Papierfabrikanten Gösta Serlachius zusammengetragenen, exklusiven kleinen Kunstsammlung mitten in der finnischen Provinz wirkt wie das klassische Tourismusjuwel: Es beherbergt eine historische Papierwerkstatt, das Haus ist bestückt mit Kunst von Anna Rapinoja bis Jasper Morrison.

Der Papierfabrikant aus Ar­bei­te­r:in­nen­sicht

„Konventionelles Ausstellungsmachen hat bei uns aber keinen Platz“ erklärt Viherkoski nach dem gemeinsamen Schwitzen in der ersten Kunstsauna der Welt beim Abendessen am Hopunselkä-See. Im historischen Stammhaus arbeitet das Museum gerade kritisch die Geschichte des Serlachius-Imperiums aus Ar­bei­te­r:in­nen­sicht auf. Mit seiner Fabrik wollte der antikommunistisch gesinnte Unternehmer ein „workers paradise“ schaffen, widersetzte sich aber ihren Versuchen, sich zu organisieren.

In dem neu erbauten Holzpavillon zeigt Serlachius zum ersten Mal in den nordischen Ländern die Schwarze US-Konzeptkünstlerin Lorna Simpson. Ihre Arbeit „Woman on a Snowball“ von 2018 zeigt die kauernde Figur einer Schwarzen auf einem riesigen Schneeball. Sie ist ein eindrückliches Symbol für das Martyrium des Lebens in einer von Weißen dominierten Gesellschaft – einer Gesellschaft, wie die Wahren Finnen sie sich zurückwünschen.

Vielleicht war es der Versuch, ein Signal zu setzen, dass die kritische Kunst auch im rechts regierten Finnland nicht aufgibt, als Helsinkis stellvertretender Bürgermeister Paavo Arhinmaki kürzlich in einem Eisenbahntunnel aufgegriffen wurde. Die Hände des ehemaligen Vorsitzenden der Linksjugend waren noch rot von der Lackfarbe, mit der er dort Graffiti gesprüht hatte – im Stil des New York der 70er Jahre, wie er stolz dem ­Guardian erklärte.

Solange derlei in Finnland noch möglich ist, dürfte zumindest die düstere Prophezeiung des Bildhauers Adrián Villar Rojas während der Helsinki Biennale nicht eintreten. Seine vielen bizarren, geschwulstartigen Formationen aus Lehm, Farbe und Fasern in Bäumen auf der Insel Vallisaari erinnern an Nistplätze des argentinischen Hornero-Vogels und zersetzen sich langsam in der Witterung. Adrián Villar Rojas hat sie „The End of Imagination“ genannt.

Die Recherchen für diesen Artikel wurden unterstützt von der Botschaft von Finnland.

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