Rassistische Äußerungen in Finnland: Skandalregierung auf der Kippe

Die Regierungskoalition muss sich nach rassistischen Äußerungen einem Misstrauensvotum stellen. Die Wahren Finnen drohen ihren Koalitionspartnern.

Menschen demonstrieren mit einem Plakat, auf dem "Zero Tolerance for Racism" steht

Proteste in Finnlands Hauptstadt Helsinki gegen den Rassismus in der Regierung Foto: Alessandro Rampazzo/Anadolu Agency/getty images

STOCKHOLM taz | In Finnland geht am Dienstag die parlamentarische Sommerpause zu Ende. Damit endet auch die Schonfrist für die Regierung von Ministerpräsident Petteri Orpo. Seit ihrem Amtsantritt im Juni wird seine Vierparteienkoalition, der auch die extrem-rechte Partei Wahre Finnen angehört, von einem Rassismusskandal nach dem anderen erschüttert. Nun, nach der Sommerpause, soll eine Vertrauensabstimmung im Parlament entscheiden, ob Orpos Regierung weitermachen darf – oder zu einer der kurzlebigsten jemals in Finnlands wird.

Nach nur zehn Tagen im Amt musste Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila Ende Juni wegen seiner engen Kontakte zu neonazistischen Gruppen zurücktreten. Doch auch der Stuhl seines Amtsnachfolgers, Wille Rydman, wackelt nun. Der hatte bis Anfang des Jahres noch der konservativen Sammlungspartei angehört. Der Parteivorsitzende Orpo warf ihm damals vor, er habe seinen politischen Status ausgenutzt, um junge Frauen sexuell zu belästigen, und sich gegenüber minderjährigen Mädchen „unangemessen“ verhalten. Orpo entzog ihm das Vertrauen und Rydman wechselte zu den Wahren Finnen.

In Anbetracht dieser Vorgeschichte verwundert es nicht, dass viele es als offene Provokation gegenüber Orpo auffassten, als die Wahren Finnen ausgerechnet Rydman zum Nachfolger Junnilas wählten. Nach seinem Amtsantritt wurden außerdem rassistische Äußerungen Rydmans in den sozialen Medien bekannt: Menschen aus Nahost bezeichnete er als „Wüstenaffen“, über Gartengewächse schrieb er, sie vermehrten sich „wie Somalier“. Auf die Frage, ob man einem Kind den Namen Immanuel geben sollte, antwortete Rydman: „So einen Judenkram mögen wir Nazis ja nicht.“

Die Parteivorsitzende der Wahren Finnen, Riikka Purra, bezeichnete die Äußerungen zwar als „unsachlich“, aber entschuldigte sie damit, dass auch Politiker ein Privatleben hätten.

Eine Hand wäscht die andere bei den Wahren Finnen

Dass sich Rydman nicht schon im Juli einem Misstrauensvotum stellen musste, hatte Parlamentspräsident Jussi Hal­la-Aho verhindert. Der war bis vor zwei Jahren Parteivorsitzender der Wahren Finnen und ist wegen Volksverhetzung vorbestraft. Die von der Opposition gewünschte Einberufung des Reichstags in der Sommerpause hatte er verweigert. Das bedeutet, dass das Parlament bislang keine Gelegenheit hatte, zum Wechsel im Amt des Wirtschaftsministers Stellung zu nehmen. In den Augen einiger Staatsrechtler ist das ein verfassungsrechtlich fragwürdiger Vorgang.

Weite Teile der Opposition halten sowohl Rydman als auch Purra aufgrund ihrer Aussagen für untragbar in einer finnischen Regierung und begründen so ihre Absicht für ein Misstrauensvotum. „Eine Person, die die unantastbare Menschenwürde und das Gleichheitsprinzip unserer Verfassung nicht respektiert, kann nicht Minister sein“, sagt etwa Veronika Honkasalo, die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. „Diese Regierung hat unser Vertrauen nicht“, erklärte auch Antti Lindtman, der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten.

Sollten die Parteien der Koalition das Misstrauensvotum nicht geschlossen ablehnen, wäre die Regierung am Ende, drohte Purra schon vorab. Ihre Warnung – „entweder man ist eine Regierung oder man ist keine“ – richtet sich vor allem an die liberale Koalitionspartnerin, die Schwedische Volkspartei. In deren Reihen hatte es von vorneherein Bauchschmerzen bezüglich einer Zusammenarbeit mit den Wahren Finnen gegeben. Nachdem man sich dafür entschieden habe, könne man die Koalition nicht gleich wieder platzen lassen, sagt die Partei- und Fraktionsführung nun. Fraglich ist, ob alle Abgeordnete der Partei dieser Linie folgen werden.

Die Vorsitzende der Schwedischen Volkspartei und Bildungsministerin Anna-Maja Henriksson hatte die Bedingungen, unter denen ihre Partei bereit wäre, die Koalition mit den Wahren Finnen fortzusetzen, immer mehr heruntergeschraubt. Mittlerweile hält sie es für ausreichend, dass sich alle Regierungsparteien auf ein Statement geeinigt haben, wonach alle MinisterInnen sich verpflichten, für Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung arbeiten zu wollen. Eine blosse Selbstverständlichkeit? Nicht in Helsinki. Die Koalitionsparteien brauchten sogar zwei Monate, um sich auf eine solche Erklärung – die erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde – einigen zu können.

Wahre Finnen „definitiv“ ein Problem für das Image Finnlands

Doch selbst wenn eine Parlamentsmehrheit der Koalition das Vertrauen aussprechen sollte, könnte diese auf internationaler Ebene ein Dauerproblem werden. Wie soll sich etwa Robert Habeck, Wirtschaftsminister von Finnlands wichtigstem Handelspartner Deutschland, gegenüber seinem Kollegen Rydman verhalten, fragte die dänische Tageszeitung Politiken Finnlands Außenministerin Elina Valtonen, Mitglied der konservativen Sammlungspartei.

Natürlich sei es „in keiner Weise möglich, solche Aussagen zu akzeptieren“, erklärt Valtonen im Interview. Die Regierungsbeteiligung der Wahren Finnen sei „definitiv“ ein Problem für das Image Finnlands, allerdings gebe es ähnliche Bewegungen in allen europäischen Staaten. In einem anderen Interview sagte Valtonen, dass die Wahren Finnen eben bereit gewesen seien, „Verantwortung zu tragen und jene Reformen voranzutreiben, die unser Land dringend benötigt“.

Diese erstaunliche Verharmlosung der Wahren Finnen passt zu Analysen, die besagen, dass die Sammlungspartei selbst nach rechts gerückt ist. In ihrer Politik setzt sie zunehmend eine migrationskritische Linie durch. Sie konkurriere um die gleichen Wähler wie die Wahren Finnen, sagt etwa Vesa Vares, Historiker an der Universität Turku. In der Vergangenheit hatte es sich hingegen „ausgezahlt, die liberalen Werte in den Vordergrund zu stellen“.

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