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Finnlands ArbeitslosengeldreformenDie Kehrseite des Grundeinkommens

Den Arbeitslosen in Finnland droht ein neues „Aktivierungsprogramm“. Im Raum stehen Leistungskürzungen.

Ein Jahr bedingungsloses Grundeinkommen in Finnland. Ein Grund zu feiern? Wenn man arbeitslos ist: leider nicht Foto: dpa

Seit Januar 2017 erhalten in Finnland in einem Modellprojekt 2.000 Arbeitslose anstelle des Arbeitslosengelds ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ in Höhe von 560 Euro. Bei den restlichen 190.000 Arbeitslosen, die von diesem Versuch nicht erfasst werden, sind dagegen von Beginn dieses Jahres an die Bedingungen für den Leistungsbezug deutlich verschärft worden.

Die neue Regelung verlangt von allen Arbeitslosen, dass sie binnen einer Dreimonatsperiode jeweils eine Beschäftigungszeit von mindestens 18 Stunden, ein Einkommen aus selbständiger Arbeit von wenigstens 241 Euro oder die Teilnahme an einem einwöchigen Weiterbildungsprogramm nachweisen müssen. Falls sie das nicht können, werden ihnen die Leistungen für das folgende Vierteljahr um jeweils 4,65 Prozent gekürzt.

Mit knapper Mehrheit war diese Gesetzesänderung kurz vor Weihnachten von der gleichen Regierungskoalition aus Rechtsliberalen, Konservativen und Rechtspopulisten parlamentarisch abgesegnet worden, die auch den Versuch des Grundeinkommens beschlossen hatte. Ein Zufall ist das nicht. Als Begründung für das Experiment mit dem – von Kritikern als neoliberale Mogelpackung eingestuften – Grundeinkommen hatte die Regierung ausdrücklich auf die ihrer Ansicht nach „falschen Anreize“ des finnischen Sozialsystems verwiesen. Das „belohne“ zu wenig das Bemühen, eine Arbeit anzunehmen. Man wolle deshalb herausfinden, ob das Grundeinkommen einen positiven Beschäftigungeffekt haben könne. Im Klartext: ob dessen BezieherInnen animiert werden könnten, es mit Niedriglohnjobs aufzustocken.

Nun soll die Auswirkung auf die Beschäftigung durch das Grundeinkommen-Experiment mit den Resultaten des „Aktivierungsmodells“ verglichen werden. Auch dessen Effekt wird nach Befürchtungen der Gewerkschaften vorwiegend auf Lohndumping hinauslaufen. Denn wie anders als über den Preis für seine Arbeit könne ein Arbeitsloser für einen Arbeit­geber attraktiv genug werden, um von ihm mindestens für die vom Gesetz geforderten Stunden angestellt zu werden?

Das Finanzministerium verspricht sich vom „Aktivierungsmodell“ eine Minderung der Arbeitslosenrate um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte. Viele Arbeitslose wollten in Wirklichkeit gar keine Arbeit haben, meint der konservative Abgeordnete Juhana Vartiainen: „Sie glauben, es ist ihr Recht, auf Kosten der Steuerzahler zu leben.“

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17 Kommentare

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  • Wer in Arbeitsmärkte so einer Weise eingreift, muss sich nicht wundern, wenn er Billiglöhne, Billigbuden und frustrierte Arbeitnehmer sich herstellt.

     

    In Deutschland hat der Niedriglohnsektor eine massive Wirkung in den armen Stadtteilen und teilweise sogar in Kleinstädten gehabt: Es gibt Menschen, die praktisch nicht mehr vorkommen, die kaum irgendetwas mitmachen können, die stark zurück gesetzt sind und die oft genug auch Kinder haben, die dann entsprechend frustriert und gefühlt entrechtet aufwachsen.

     

    Die Finnen haben die Dynamik des Niedriglohnsektors nicht wirklich verstanden. Vor allem lässt sich sowas nur noch schwer wieder ändern.

     

    In Deutschland ist seit 2005 eigentlich klar, dass die Hartz-Reformen kontraproduktiv sind und nur reine Armut, sogar Arbeitsarmut geschaffen haben.

     

    Die Arbeitslosenzahlen hängen in Deutschland immer noch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, so einen Hokuspokus wie eine gesetzliche Senkung der Arbeitslosigkeit gibt es nur in Form einer Statistikmanipulation, die in fast jedem EU-Staat auch schon mehrfach vonstatten ging.

     

    Eche Arbeitslosigkeit lässt sich nur mit Wirtschaftswachstum, niedrigeren Arbeitszeiten und wahrscheinlichen vielen Arbeitsplätzen beim Staat senken. Wahrscheinlich muss man dazu sogar noch Gewerkschaften bevorteilen, dass sie wirkliche Arbeitnehmerrechte auch durchsetzen können. (Warum geht das bei amazon.de nicht?)

  • 560 Euro sind kein Grundeinkommen, sondern reiner Überlebenszuschuss. Die Höhe ist entscheidend. Außerdem geht es nicht um Sozialhilfe mit anderen Namen, sondern um ein Ende des "Arbeits"zwangs. Besitzt man genug Vermögen, kann er/sie selbst bestimmen, was für ihn/sie "Arbeit" ist oder ob mehr angehäuft werden soll. Das gleiche Recht für jeden Bürger kann nicht am Zufall oder Kontostand enden. Dieser Widerspruch ist weder zeitgemäß noch überhaupt begründbar.

    • @Peter Kuhn:

      Werter User, wie soll in einer endlichen Welt ein BGE funktionieren? Wie soll ein BGE unter dem jetzigen Geldschöpfungsmodus funktionieren? Ich meine, wohl nahezu alle Menschen auf der Welt würden Ihre Vision gern teilen.

      Haben Sie schon einmal an die bestehende Machtverteilung gedacht? Wenn ohne Vorteil für die Unternehmen und Unternehmer, die von dem durch den Menschen erzeugten Mehrwert leben, ein BGE den Zwang zur Anbietung der Ware Arbeitskraft - theoretisch - abschafft, wird es Gegenmaßnahmen geben.

      Es ist zB ein Leichtes, ein etwa Parallelgeld, das kein durch Gesetz festgelegtes Zahlungsmittel sein muss, privat einzuführen. Raten Sie einmal was passiert, wenn lieb gewordene Konsumgüter plötzlich in gesetzlicher Währung inflationieren, aber für das Parallelgeld erschwinglich zu haben sind.

      Wenn ein BGE kommt, dann ein Neoliberales.

      Wenn "Sie" etwas von unten nach oben verteilen wollen, dann müssen "Sie" an die Basics heran: u.a. Kapitalverkehrskontrollen, Arbeitsangebotsverknappung, womöglich können "wir" noch auf die Rohstoffe (künftige Eigentumsverhältnisse) einwirken, Harzt IV und Mindestlohn anheben pp.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Hat irgendjemand wirklich an eine Verbesserung geglaubt, bei Einführung eines Grundeinkommens?

    Ist eigentlich vorhersehbar, dass es dann irgendwelche Sanktionen und Kürzungen gibt, im Sozialbereich.

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Die Idee ist ja, den Sozialbereich komplett durch ein kleines Taschengeld zu ersetzen...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Nein, daher ist die Höhe entscheidend. 560 Euro sind kein BGE. Es geht um das Ende des Arbeitszwangs im herkömmlichen Sinne. Was Finnland da versucht ist nicht nachvollziehbar, bzw. nur Sotialhilfe.

        • @Peter Kuhn:

          "Nein, daher ist die Höhe entscheidend."

           

          Woher kommen so viel Geld?

      • 3G
        39167 (Profil gelöscht)
        @warum_denkt_keiner_nach?:

        So isses!

        Wenn dann noch Arbeitgeberverbände diese Idee loben, dann ist höchste Vorsicht angebracht.

        Wundere mich immer wieder über die fast kindliche Naivität der Initiative.

  • Wer von einem Arbeitslosen den Nachweis verlangt, dass er arbeitet, damit ihm nicht das Arbeitslosengeld gekürzt wird, ist entweder extrem zynisch oder randvoll Wodka. Angesichts der Wodkapreise in Finnland fällt diese Variante wohl aus.

     

    Das ganze Vorgehen zeigt deutlich, worum es eigentlich geht. Menschen sollen zur Arbeit unter immer schlechteren Bedingungen gezwungen werden. Das "bedingungslose" Grundeinkommen ist eine Möglichkeit dazu. Die finnische Regierung zeigt das recht ungeschminkt.

  • Ein besinnungsloses Grunzeinkommen zerstört den Sozialstaat:

    //http://www.deutschlandfunkkultur.de/armutsdebatte-das-bedingungslose-grundeinkommen-ist.2162.de.html?dram:article_id=375838

    Als Linker kann man nur scharfen Widerstand gegen das BGE leisten.

  • Tja, so isser, der Kapitalismus, alles ansich Gute wird pervertiert!

  • Tatsächlich sind diese Geschenke an Unternehmer eine Ohrfeige für die, aus deren Transfersteuern das Aufstocken von Löhnen bezahlt wird.

    An sich war die or kurzem auf Arte zum Thema ausgestrahlte Sendung sehr informativ; aber wenn das ganze nur dazu dient, prekäre Jobs künstlich am Leben zu erhalten wird das Ansinnen fragwürdig.

  • Bambule

     

    Krankenschein holen!

     

    Das beste Mittel gegen den teuren Schwachsinn der ausufernden Sozialindustrie. Dort werden immer die gleichen Sprüche gekloppt - langweilig.

    ...

    Ansonsten: http://www.sanktionsfrei.de

    Finanzielle Schäden durch Kürzungen werden ersetzt! Also nur keine Angst; immer Bambule machen: Die haben es verdient! Nötigenfalls Lokalpresse einschalten. Das macht sie weich. Da werden sie vorsichtig, die "Unteroffiziere des Kapitals" (Marx), die in Wirklikchkeit nur Obergefreite sind und selbst prekär arbeiten.

    Und dann braucht man auch nicht mehr hin... Aktion gelungen! Schwachsinn erledigt.

  • Das sog. "Grundeinkommen", bzw. "bedingungslose Grundeinkommen", dient vor allem der allgemeinen Kürzung von Sozialleistungen und der weiteren Umverteilung von unten nach oben. Im Kapitalismus gibt es kein "bedingungsloses Grundeinkommen (bGe)". Der Feldversuch des sog. "Grundeinkommen" in Finnland diente auch nur der Feststellung zur sozialen Kostenminderung.

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Das stimmt, leider!

  • Man könnte natürlich eine Reihe sinnloser, aufwändiger, womöglich auch rechtswidriger, nur wesentlich erschwert umsetzbarer Regelungen treffen, um einen größeren Unsinn wie das BGE (gemäß den derzeitigen Vorstellungen) zu rechtfertigen. NAIRU analog.

  • Juhana Vartiainen, ganz offensichtlich ein Neoliberaler.

    Er selbst sieht sich wahrscheinlich als wertvoll für die Gesellschaft, ist arbeitstüchtig und fleissig, natürlich auch intelligent und gebildet - aber die "Anderen", die sind faul und dumm.

    Eine billige Art, seinen Selbstwert dadurch zu erhöhen, andere abzuwerten ! Wozu das führen kann, wenn solche Menschen an die Macht kommen, sah man in extremer Form in Deutschland von 1933 bis 1945.

    Tja, Herr Vartiainen ... weiter so und in nicht ferner Zukunft betrachten Sie die "Anderen" als minderwertig, was Ihren selbst wahrgenommenen Glanz noch heller erstrahlen lässt.