Finnland will Atommüll importieren: Strahlende Geschäfte

Atomfans in Finnland schlagen vor, radioaktiven Müll aus dem Ausland in finnischen Endlagern zu verstauen. Sie versprechen sich Milliardendeals.

Eine gigantische Kupferkapsel, oben schauen Menschen darauf hinab

Eine Kupferkapsel sinkt in die Tiefe – erst mal testweise, ab 2024 gefüllt mit alten Brennstäben Foto: Emmi Korhonen/picture allianceEmmi Korhonen/picture alliance

STOCKHOLM taz | Wenn man schon mal ein Atommüll-Endlager hat, warum es nicht auch für die Einlagerung radioaktiven Mülls aus dem Ausland zur Verfügung stellen? Und daraus dann ein gleich in mehrfacher Hinsicht „strahlendes“ Geschäft machen?

In Finnland lancierten diese Idee VertreterInnen des sogenannten Ökomodernismus: Sie sehen im Ausbau der Atomenergie einen Teil der Lösung der fortschreitenden Klimakatastrophe. Neben Milliardeneinnahmen für den Staat hoffen sie mit der Lagerung ausländischen Nuklearabfalls die Skepsis gegenüber neuen Atomkraftwerken (AKWs) abbauen zu können – beispielsweise in Ländern wie Deutschland.

Bei Atommüll gebe es eine enorme Marktnische, meint Rauli Partanen, einer der Initiatoren. Der Mitverfasser des Buchs „The Dark Horse: Nuclear Power and Climate Change“ ist beim Thinktank „Think Atom“ aktiv. Als Pionier im Endlagersektor habe Finnland die große Chance, anderen Staaten eine völlig neue und international begehrte Dienstleistung anzubieten, sagt er.

Selbst wenn man erst einmal nur mit dem möglichen Potenzial in Europa rechnet, könne man von einem Marktvolumen von 100 Milliarden Euro ausgehen. Und global schätzt Partanen den Markt auf 400 Milliarden. Schließlich gebe es weltweit 38 Länder, die Interesse an den „kommerziellen Entsorgungsdiensten“ für ihren Atommüll haben könnten.

Endlagerung sei technisch möglich

Peter Lund, Professor für Energietechnologien an der Aalto-Universität in Espoo, schätzt den Markt grundsätzlich ähnlich ein. Wenn Finnland auf diese Weise europäischen Ländern und ihrer Atomenergie aus der Klemme helfen würde, „wären die natürlich dankbar und bereit zu bezahlen, denn wer will schon ein solches Lager in seinem Hinterhof haben“, sagte er im finnischen Public-Service-Sender YLE. „Aber wenn wir das machen, wird Finnland zu einem Strahlenlager und sinkt damit insoweit auf das Niveau Russlands.“

Technisch sei die Einlagerung ausländischen Atommülls absolut möglich, meint Jon Engström, Forscher an Finnlands geologischer Forschungszentrale GTK. „Aber Voraussetzung wären neben einer Ausweitung der unterirdischen Lagermöglichkeiten und zusätzlicher Forschung natürlich entsprechende politische Beschlüsse und eine Änderung der fraglichen Gesetze.“ Die aktuelle Gesetzgebung verbietet ausdrücklich sowohl den Import als auch die Lagerung von radioaktivem Abfall aus dem Ausland.

Engström arbeitet auch für Posiva, ein Unternehmen, das im Eigentum der Betreibergesellschaften der finnischen AKWs steht und für die Errichtung und den Betrieb eines Atommüllendlagers sorgen soll. Das ist seit mehreren Jahren in Onkalo in Bau, etwa zwei Kilometer vom südwestfinnischem AKW Olkiluoto und seinen drei Atomreaktoren entfernt. Mit der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts wird im kommenden Jahr gerechnet. Wird Onkalo nach weiteren Bauetappen also auch ein Platz für ausländischen Strahlenmüll?

„In Finnland blasen Kernkraftwinde“, konstatiert YLE in einem Bericht zum Thema. Ja, es gebe eine Debatte über die Frage von Atommüllimporten, bestätigte Kai Hämäläinen von der finnischen Strahlenschutzbehörde STUK dem Sender. Die finale Entscheidung müsse letztendlich aber die Politik treffen. An der finnischen Endlagerlösung gebe es großes ausländisches Interesse, zitiert YLE Quellen aus dem Wirtschaftsministerium in Helsinki. Das gelte sowohl für die Technik selbst als auch für die Frage, sich eventuell in dieses Lager einzukaufen.

Sozialdemokraten und Grüne sind nicht direkt dagegen

Die meisten der vom Sender befragten PolitikerInnen lehnten die Idee, sich neben dem für Zehntausende von Jahren strahlenden Müll aus den eigenen Atomkraftwerken auch noch ausländischen aufhalsen zu wollen, nicht grundsätzlich ab.

Man solle die Frage voraussetzungslos prüfen, meint beispielsweise Matias Mäkynen, stellvertretender Vorsitzender der finnischen Sozialdemokraten: „Ist das Lager erst einmal in Betrieb, kann man auch die Möglichkeit der Einlagerung ausländischen Materials diskutieren.“ Und er ist überzeugt: „Das kann Kunden aus der ganzen Welt, vor allem aus Europa locken.“

Es wäre ganz sicher keine leichte Frage für seine Partei, sagt Atte Harjanne, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Reichstag: „Aber ich würde nicht verstehen, warum man das von vornherein verneinen und nicht diskutieren sollte.“ Dabei wird in Finnland kaum mehr infrage gestellt, ob die gewählte Endlagerlösung tatsächlich so sicher ist, wie die Atomkraftindustrie und die Politik behaupten. Posiva hat sich für sein Lager in Onkalo für die in Schweden entwickelte KBS-3-Methode entschieden: ein System aus drei Barrieren, das angeblich eine für mindestens 100.000 Jahre sichere Lagerung garantieren soll.

Dazu werden die abgebrannten radioaktiven Brennstäbe und anderer hochradioaktiver Müll erst in Kupferkapseln verschlossen und unter der Erde eingelagert. Die Kapseln sollen angeblich Erdbeben und künftige Eiszeiten unbeschädigt überstehen können.

Risiko der Kupferkapseln ist umstritten

Unter WissenschaftlerInnen wird allerdings seit Jahren eine kontroverse Debatte über die Frage der Korrosionsbeständigkeit dieser Kupferkapseln geführt. Sie gelten als die eigentliche, wichtige Barriere, die verhindern soll, dass Radioaktivität ins Grundwasser gelangt.

KorrosionsforscherInnen monieren, dass das führende schwedische Unternehmen in den vergangenen vier Jahrzehnten mit den Kapseln keine Langzeitversuche unter realistischen Bedingungen vorgenommen habe. Nun werde mit Bezug auf theoretische Berechnungen aber trotzdem behauptet, dass Kupfer unter den geplanten Lagerverhältnissen so gut wie nicht korrodiere. Einer von unabhängigen WissenschaftlerInnen erstellten Studie zufolge würden die Kapseln jedoch längst keine 100.000 Jahre halten: Manche könnten schon nach 100 Jahren kollabieren.

In Schweden hatte das zuständige Umweltgericht 2018 nach siebenjähriger Prüfung den KritikerInnen recht gegeben, die Zweifel an der KBS-3-Methode angemeldet hatten: Es gebe „bedeutende Unsicherheiten“ darüber, inwieweit die vorgesehene Technik den Strahlenmüll auf längere Sicht sicher einschließen könne. Die gesetzliche Forderung nach einer „sicheren Endlagermethode“ sei damit nicht erfüllt.

Nach schwedischem Recht war das Konzept allerdings auch nach der gerichtlichen Einschätzung nicht gestorben. Sie führte lediglich dazu, dass die endgültige Entscheidung auf dem Tisch der Regierung in Stockholm landete. Und die erteilte, trotz der Aussagen des Gerichts, im Januar 2022 eine grundsätzliche Genehmigung – ließ aber immerhin ein Hintertürchen offen: Eine neue Bewertung könne infrage kommen, wenn in den nächsten Jahrzehnten zusätzliche ernsthafte Zweifel an KBS-3 auftauchen sollten oder alternative Endlagermethoden mehr Sicherheit erwarten ließen.

„Dass die Regierung das Endlager stoppt, ist eine Utopie“

Wie sicher ist Finnlands Endlagerkonzept angesichts der in Schweden aufgetauchten Zweifel und ungeklärten Fragen also eigentlich? Ein Konzept, für das man sich nun nicht nur eine Vorbildrolle anmaßt, sondern womöglich auch ausländische Kunden gewinnen will? KritikerInnen in Finnland müssten wohl darauf hoffen, dass der Widerstand in Schweden, auch in Regierungskreisen, wächst.

Das hatte Ulla Klötzer, die in den 1990ern Vizeparteivorsitzende der finnischen Grünen gewesen war, schon vor ein paar Jahren geäußert: Dass die eigene Regierung, „die kein Interesse an demokratischen Prozessen hat, das Endlager stoppen würde, ist leider eine Utopie“.

Die Hoffnung auf Schweden dürfte aber vermutlich auch vergebens sein. Denn irgendwie will das Land ja auch den eigenen Atommüll loswerden, selbst wenn die Endlagermethode zweifelhaft ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.