Finnische Kunst in Bremen: Sammeln in einem unbekannten Land
Das Museum Weserburg zeigt Teile der Miettinen Collection. So klischeehaft wie der Titel „Dreamaholic“ kommen die Werke nicht daher
Zu den interessantesten Ausstellungen gehören jene, bei denen man nur wenige der beteiligten Künstlerinnen und Künstler kennt. Das ist möglicherweise einer der größten Vorzüge der Reihe „Junge Sammlungen“, die seit etwa drei Jahren und vier Folgen im Bremer Museum Weserburg zu sehen ist. Aktuell ist dort im Rahmen eben jener Reihe ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung des Finnen Timo Miettinen zu sehen, der in Berlin im Übrigen einen eigenen Ausstellungsraum unterhält.
Der Titel, ist mit „Dreamaholic“ zugegebenermaßen etwas kitschig ausgefallen. Träume in Verbindung mit Kunst aufzuführen, ist schon etwas öde. Dazu ist auf dem Plakat ein Foto der 1981 in Helsinki geborenen Künstlerin Noora Geagea zu sehen. „Against“ heißt ihre Arbeit aus dem Jahr 2015. Zu sehen ist ein weiß geschminkter Demonstrant, der eine rote Nase trägt. Verkleidet als Clown, schaut er nachdenklich, fast ein wenig verzweifelt. Ein Spaßmacher sieht anders aus.
Im Hintergrund ist ein berittener Polizist zu sehen. Trotz der staatlichen Übermacht bleibt er seinen Träumen treu. Ein „Dreamaholic“ eben. Schön ist Geageas Fotografie allemal. Und wahr ist sie auch. Denn etwas anderes als den herrschenden Zustand vorzustellen, ist notwendig. Verzweifeln muss man angesichts der Unmöglichkeit einer Umwälzung aber auch.
Der Schwerpunkt der Bremer Ausstellung liegt bei der Präsentation finnischer Kunst – und die ist in Deutschland tatsächlich nur wenig bekannt. Selbst die Anzahl der Ressentiments über Finnland hält sich in Grenzen: Leere, Melancholie, Alkoholismus. Eine originär nationale Kunst zu behaupten, ist natürlich schwierig. Es gibt aber gewisse Regionalismen, die für die Entwicklung einer Szene prägend sein können – und sei es auch nur ein politisches Klima.
Coolness als Gespenst
Letztendlich sind Künstlerinnen und Künstler niemals isolierte Entitäten. Sie arbeiten in Zusammenhängen und beeinflussen sich gegenseitig. Das war im Paris der vorvergangenen Jahrhundertwende nicht anders als im heutigen Helsinki. Formale Mittel und Themen wiederholen sich in den regionalen Szenen. Das ist kein Skandal, sondern ganz normal. Was also geschieht künstlerisch im Finnland des 21. Jahrhunderts?
Einer der in der Bremer Ausstellung vertretenen finnischen Künstler ist der 1962 in Helsinki geborene Maler Robert Lucander. 2011 bereits waren seine Arbeiten in einer großen Präsentation im Museum des Hamburger Sammlers Harald Falckenberg zu sehen. In der Weserburg ist sein Bild „Two in One“ von 2011 zu sehen, das eine männliche Figur mit grauem, gesenktem Kopf und ebenfalls grauen Armen und Beinen um ein kariertes Hemd herum zeigt.
Die Haltung erinnert stark an einen Skater oder einen Rapper, spielt also mit Momenten von Jugendkultur. Die aus dem Hemd herausschauenden Körperteile sind durch ihre Einfarbigkeit und Massivität tatsächlich emblematisch, also Pop. Durch das Muster des Hemds jedoch scheint die holzmaserige Oberfläche des Bildträgers durch, der Körper wird so durchscheinend, geisterhaft, unheimlich. Coolness als Gespenst also?
In einer anderen Arbeit wird der Betrachter selbst zum Gespenst – in HC Bergs Spiegelarbeit, die weder über einen Namen noch über ein Entstehungsjahr verfügt. Der 1971 im finnischen Espoo geborene Künstler hat eine Schale aus spiegelndem Glas geschaffen, die eben wie ein Spiegel vertikal an der Wand angebracht ist. Davor hängt, wie zur Ablenkung, eine kleinere, metallene kugelförmige Konstruktion. Ganz abgesehen von diesem irritierenden Gegenstand ist das Seltsame an Bergs Arbeit die unvollständige Spiegelung des Betrachters. Denn so sehr man auch versucht, sich in der Schale zu erblicken – das eigene Gesicht bleibt stets unsichtbar.
Halbnackte, gut gebaute Männer in SM-Montur
Ein anderer Themenkomplex, der in der Weserburg als Schwerpunkt vorkommt, sind wohl Geschlechteridentitäten. Und auch hier findet man zunächst etwas Gespenstisches: einen geschlechtlich festgelegten, aber im Verschwinden begriffenen Körper. Auf einem weißen, schmalen Sockel steht ein aus Gips geformter Fuß in einem Stiletto. Kurz über dem Knöchel bricht er ab, eine Fortsetzung des Körpers gibt es nicht.
Die Arbeit stammt von der 1975 in Helsinki geborenen Künstlerin Aurora Reinhard. Von ihr ist eine ganze Reihe unterschiedlicher Werke zu sehen. Der Fuß wirkt wie ein Überbleibsel, eine Art Knochen vielleicht. Durch den Riemenschuh mit dem hohen, schmalen Absatz jedoch ist dieser Knochen kultureller Art – und geschlechtlich festgesetzt.
Ein Klassiker der finnischen Sammlungsausstellung, der sich in seinen fotografischen Zeichnungen wiederum ebenfalls wie Reinhard mit Geschlechterrollen auseinandersetzt, ist der 1920 im finnischen Karinaa geborene und 1991 verstorbene Künstler Tom of Finnland. Bereits 1957 waren seine homoerotischen und offen pornografischen Darstellungen muskulöser junger Männer in amerikanischen Undergroundzeitschriften zu sehen und sorgen für Furore. In der Weserburg ist seine Serie „California Men“ von 1984 zu sehen. Es sind Darstellungen halbnackter, gut gebauter Männer in SM-Montur.
Die Reihe der „Jungen Sammlungen“ ist ein guter Beweis für die oftmals von der Bremer Kulturpolitik in Zweifel gezogene Sinnhaftigkeit eines Sammlermuseums. Es wäre schön, würde sie nach der Pensionierung des jetzigen Direktors und Erfinders des Formats, Peter Friese, im nächsten Jahr durch seinen Nachfolger und seine Nachfolgerin fortgesetzt.
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