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Finanzrisiko neue ProduktionsanlagenDer Plastikgipfel ist in Sicht

Wie viel Plastik braucht die Menschheit? Die Industrie meint: immer mehr. Ein Irrtum, der Investoren 400 Milliarden Dollar kosten könnte.

Einzeln eingeschweißte Früchte in einem Supermarkt in Peking Foto: Thomas Peter/reuters

Berlin taz | Die Erde versinkt im Plastikmüll und das ist nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Finanzproblem: Weltweit will die Industrie in den nächsten Jahren 400 Milliarden Dollar in den Aufbau neuer Produktionsanlagen stecken. Das haben die Denkfabrik Carbon Tracker und das Öko-Beratungsunternehmen SystemIQ, beide in London ansässig, ausgerechnet. Sie warnen zugleich, dass es sich dabei um eine gigantische Fehlinvestition handelt.

„Es gibt einen gewalten Graben zwischen dem, was die Industrie aufbaut und dem, was die Gesellschaften wollen, nämlich weniger Plastik“, sagt Kingsmill Bond, einer der Autor*innen der Studie. Er selbst sei Finanzexperte und komme zu der simplen Schlussfolgerung: Da lauere ein großes Finanzrisiko, nicht nur für die petrochemische, sondern auch für die Ölindustrie.

Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 jährlich zwei Prozent mehr Plastik verbraucht wird – und da sind politische Maßnahmen, was dagegen zu machen, schon drin. Das würde bedeuten, dass die Plastiknachfrage weltweit bis dahin von 350 auf 540 Millionen Tonnen im Jahr steigen wird. Mit den globalen Klimazielen ist das absolut unvereinbar, denn über die Lebenszeit verursacht jede Tonne Öl, die in Plastik umgewandelt wird, doppelt so viel CO2 als Öl, das als Brennstoff verbraucht wird. Die Industrie rechnet im Schnitt sogar mit drei bis vier Prozent Plastikwachstum im Jahr.

Ist das realistisch? Nein, sagt Bond. Er geht in der neuen Studie von einem „Peak Plastic“ im Jahr 2027 aus, danach würde der Verbrauch weltweit nicht mehr steigen. Allein diese Stagnation würde derzeit geplante Investitionen in petrochemische Anlagen wertlos machen – und allein die summieren sich auf 400 Milliarden Dollar, fast ausschließlich in den USA, China und den Golfstaaten. „Uns hat das auch überrascht, aber Europa ist ausnahmsweise mal fein raus“, sagt Bond.

Er warnt deshalb vor „stranded assets“, also vor Investitionen in Unternehmungen, die wegen Klima- und Unmweltregulierungen absehbar nichts mehr wert sein werden. Carbon Tracker ist Pionier in dieser Klimaschutzstrategie: Investoren aufzeigen, was sie verlieren, wenn CO2-Emissionen gesenkt werden, sie so zum Rückzug aus schädlichen Industrien bewegen und damit den ökologischen Wandel beschleunigen. Mit Erfolg übrigens, mittlerweile ist es für Energiekonzerne immer schwieriger, Gelder für riskante Ölexplorationen oder Kohlekraftwerke aufzutreiben.

Vorschlag: Steuer auf nicht recycelten Müll

Die Studie zählt dann auch diverse politische Reformen auf, die die Industrie in ihren Wachstumsszenarien offenbar nicht berücksichtigt hat. Die EU-Kommission schlägt derzeit eine Steuer von 800 Euro auf jede Tonne Plastikmüll vor, der nicht recycelt wird. Ohnehin soll Europa bis mitte des Jahrhunderts eine Kreislaufwirtschaft haben, also Plastik fast komplett wiederverwerten. Die Entwicklungsländer weden die Nachfrage wohl nicht auffangen: Greenpeace listet auf, dass in Afrika 34 Staaten Maßnahmen gegen Plastikmüll ergriffen haben.

Auch China arbeite längst an solchen Maßnahmen, aus einem einfachen Grund: Weniger Plastikverbrauch bedeutet weniger Ölimporte und damit weniger Abhängigkeit vom Ausland. Umweltpolitik ist für China im Fall von Plastik also Machtpolitik. Und: Laut einer Online-Umfrage befürworten 80 Prozent der Menschen in 28 Industrieländern politische Maßnahmen gegen Plastik.

Das Problem geht übrigens über die chemische Industrie hinaus. Die Ölindustrie rechnet mittlerweile fest damit, dass Plastik die sinkende Nachfrage nach ihrem Rohstoff auffängt, wenn immer mehr Elektroautos kommen. BP etwa geht von einer steigenden Nachfrage nach Öl aus, wobei 95 Prozent des Wachstum aus Plastik kommen soll. Das sei geradezu dämlich, sagt Bond.

Die volkswirtschaftlich günstigste Alternative zur Plastikverpackung ist laut der Studie übrigens: möglichst keine Verpackung. Am schlechtesten schneidet als Alternative ab, Plastikverpackungen einfach durch Papier zu ersetzen.

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6 Kommentare

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  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Ich hab mit der Plastikindustrie zu tun. Da erscheinen ganz zarte Pflänzchen des Umdenkens. Hin zu Recycling und Kreislauf.



    Wenn ich die Alternative Papiertüte sehe, ist Plastik mit vollständigem echten Recycling besser für das Klima.



    Aber, die Plastikindustrie beeinflusst auch die Märkte hin zu mehr Verbrauch als nötig. Verbot von Einwegplastik tut Not.

  • Was diese Problematik betrifft, erwarte ich mir vom Staat deutlich mehr an Engagement.

    Im Moment ist die Vermeidung von Plastikreduktion etwas, das ich als Verbraucher dann berücksichtige, wenn ich gerade einen Nerv dafür habe und beim Einkaufen viel Zeit habe. Bin ich gerade anderweitig gestresst, konsumiere ich wider Willen generell deutlich undisziplinierter und ich denke, da bin ich nicht der einzige.

    Ich finde, der Staat sollte uns das aus der Hand nehmen. Wir sind ja nicht von Beruf Verbraucher, wir haben auch andere Aufgaben als uns Gedanken über Konsum zu machen. Der Staat dagegen ist zu nichts anderem da, als dazu, Regeln zu machen und damit dafür zu sorgen, dass das Leben gut laufen kann.

    Das einzelne Einschweißen von Früchten kann der Staat zum Beispiel einfach verbieten. Auch andere grob umweltschädliche und leicht vermeidbare Praktiken kann er einfach verbieten. Er muss es nur wollen. Mehr Mut zur Machtausübung! (Auch wenn die Wirtschafts-Anarchisten von der FDP dann wieder rumheulen)

    • @Ein alter Kauz:

      * "Vermeidung von Plastikreduktion" ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, das habe ich falsch formuliert. Ich denke, es sollte klar sein, was gemeint ist.

  • Plastik ist ein Problem.... wenn es in der Umwelt entsorgt wird. Und zweifelsfrei wird zu viel Plastik vollkommen unnötig eingesetzt (wenn ich 50g Wursträdchen auf einem Plastikverkaufsteller sehe... usw.). Das Recyclen von Plastikmüll, insbesondere Lebensmittelverpackungen, ist allerdings aus mehrfachen Gründen unsinnig.Bisher gibt es nur eine Sorte (PET-Flaschen) bei der das funktioniert, denn das wird sortenrein gesammelt, es wird nicht bedruckt und es werden keine fett- oder proteinhaltingen Flüssigkeiten darin verkauft (Wasserflaschen). Fette oder Proteine dringen in Plastikverpackungen ein und sind nicht mehr entfernbar. Daher können keine neuen Lebensmittelverpackungen daraus hergestellt werden. Ebenso sind Farbaufdrucke nicht mehr entfernbar, ebenso wie ggf. Papieraufkleber etc..



    Unterschiedliche Kunststoffsorten sind praktisch nicht homogen mischbar, auch bei sortenreinen Fraktionen erhält man ein Gemisch aus unterschiedlichen Polymerkettenlängen, was deren Weiterverarbeitung (stark schwankende Viskosität) enorm erschwert. Aus Recylingplastik können daher nur dickwandige, stark eingfärbte Produkte (Waschmittelflaschen, Eimer, Parkbänke...) hergestellt werden.



    Bei der Plastikherstellung (wenige Prozente des Erdölverbrauchs, der Rest wird verheizt) wird aus ca. zwei kg. Öl ein kg. Plastik. Bei der thermischen Verwertung wird also wieder die Hälfte "recycled". Wie im Artikel geschrieben, alternative Materialen sind uneffektiever.



    Die Plastiksteuer der EU (ca. 4000€) pro vollem 5t Mülllaster ist ein "grün angestrichener" Versuch, endlich Steuerrechte wider den EU-Verträgen einzuführen. Die Verpackungen werden dadurch nicht teurer (könnte ja recycled werden), sondern entweder die Müllgebühren massiv steigen (würde aber die Bürger erschrecken), wahrscheinlicher einfach nur ohne Lenkungsanreiz aus Steuern eingezogen.

    Daher : Plastik reduzieren!Einsammeln und als Brennstoff für die Müllverbrennung nutzen (anstelle von Öl). Der EU auf die gierigen Finger klopfen.

  • was gäbe ich für Karton ohne Sichtfenster und Öl basierte Farbe, für Gemüse ohne Plastik und Wurst und Käse in Wachspapier.

    80% meines Mülls ist Kunststoff

  • Die armen Investoren...