Finanzpolitik der Türkei: Erdoğan vereinnahmt die Zentralbank
Das Gremium tut, was der Präsident will: Die Leitzinsen bleiben unverändert. Die Märkte hatten dringend auf Inflationsbekämpfung gehofft.

Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 15,39 Prozent hatten die Finanzmärkte erwartet, dass die Zentralbank die Leitzinsen von derzeit 17,75 Prozent um mindestens einen Prozentpunkt anheben würde. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters äußerten 15 von 16 befragten Experten, dass eine Zinserhöhung unumgänglich sei, soll die türkische Währung nicht noch weiter an Wert verlieren und internationale Anleger wieder in die Türkei zurückkehren. Allerdings ist Präsident Erdoğan erklärtermaßen ein Feind von hohen Zinsen: einmal aus ideologisch-religiösen Gründen, zum anderen aber auch aus Angst, das Wachstum zu bremsen, weil Kredite teurer werden.
Aus Sicht der Märkte, also von Großinvestoren, Finanzanalysten und Ratingagenturen, hat die Zentralbank damit ihren Unabhängigkeitstest nicht bestanden. Nach der Sitzung verkündete Zentralbankchef Murat Çetinkaya, man werde den Leitzins nicht erhöhen, aber die Situation weiterhin genau beobachten.
Die Quittung kam umgehend. Die zuletzt mühsam stabilisierte Lira verlor wieder etliche Punkte gegen Euro und Dollar. Statt 5,5 Lira sind jetzt 5,7 Lira für den Euro fällig, der Dollar kletterte auf fast 5 Lira. Auch der Börsenkurs stürzte um knapp vier Prozent ab. „Das war eine enttäuschende Entscheidung“, sagte Piotr Matys, ein Finanzanalyst für Schwellenländer an der Rabobank, gegenüber der Zeitung Hürriyet. „Die Inflation wird wohl steigen, weil die Lira weiterhin an Wert verliert.“ Angesichts der politisch dominierten Entscheidung der Zentralbank sehen Matys und andere die Türkei auch langfristig in Schwierigkeiten. Alle Ratingagenturen haben türkische Staatsanleihen bereits auf „Ramsch“ heruntergestuft.
Angriffe auf die Zentralbank
Die Vereinnahmung der Zentralbank durch die Politik ist geradezu ein Markenzeichen autoritärer Staaten. Umso alarmierter sind Ökonomen weltweit, weil sich in jüngster Zeit auch in den USA Angriffe auf die Zentralbank Federal Reserve durch den Präsidenten häufen. Da Donald Trump die Leitzinserhöhungen der Fed nicht passen, bricht er die eherne Regel der amerikanischen Politik, dass Präsidenten die Entscheidungen der Zentralbank nicht kommentieren, und kritisiert seit Wochen die Zinserhöhungen. Trump ist der Meinung, dass die damit einhergehende Aufwertung des Dollar die Exportchancen der amerikanischen Wirtschaft beeinträchtigt und ihn in seiner Auseinandersetzung mit China schwächt.
Die Folgen der politischen Vereinnahmung der Zentralbank in der Türkei sind steigende Preise für Lebensmittel und Energie. Türkische Firmen, die oft in Dollar verschuldet sind und deren Kreditkosten damit täglich steigen, befürchten deshalb ebenfalls Schwierigkeiten.
Richten soll das jetzt der neue Finanzminister Berat Albayrak, Schwiegersohn des Präsidenten und im letzten Kabinett bereits Energieminister. Albayrak war jüngst beim Treffen der G20-Finanzminister in Buenos Aires angegangen worden – offenbar wegen des hohen türkischen Schuldenstands und der drohenden Überhitzung der Wirtschaft durch zu viele öffentliche Investitionen, die auf Pump finanziert werden. Albayrak veranstaltete deshalb parallel zur Sitzung der Zentralbank am Dienstag ein Treffen mit den wichtigsten türkischen Wirtschaftsbossen. Er verkündete, noch im laufenden Haushalt öffentliche Ausgaben zu reduzieren, um den Schuldenberg nicht weiter zu erhöhen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland