Filmkunst in Berlin: Das Kino, in Fragen getaucht

Die Regisseurin und Künstlerin Albertina Carri entwirft in der daadgalerie mit „Cinema puro“ ein bewegendes Archiv der Abwesenheiten.

Filmstreifen laufen eine Glasscheibe herunter, in der Scheibe spiegeln sich der Bürgersteig und auf der Straße geparkte Autos

In Albertina Carris Filminstallationen in der daadgalerie wird die Fensterscheibe zum Bildträger Foto: © Thomas Bruns

Auf der Straße knurrt und kratzt es hörbar, irgendetwas wird abgeschabt, Rinde vielleicht oder doch eine Plastikverpackung umständlich entblättert. Die Tonspur zu Albertina Carris Videoarbeit „La delgada capa de la tierra“ (Die Dünne Schicht der Erde) löst sich wie von selbst von den Bewegtbildern ab, die noch vor dem Betreten im Fenster der daadgalerie zu sehen sind. Es wehen Gräser, die Kamera streift über Sümpfe – vielleicht sind auch kurz die Tiere sichtbar, die zu hören sind, so sicher kann man sich dabei nicht sein.

Ein sanftes Pendant zu diesem Kratzen, wird dem Publikum am Ende der Ausstellung noch einmal im Freien begegnen. Vögel und Kühe rascheln im Hof geradeso hörbar aus Lautsprechern, die sich incognito auf dem Boden verteilt haben.

Auch die Tausenden Meter an Filmstreifen, die bereits im Schaufenster zum Gehweg hängen und im Ausstellungsraum über Decke, Wände und Boden laufen, erfordern ein antastendes Hinsehen, ein hörendes Sehen.

Wie schnell müssten die Augen die Szene mit dem Mann im Sakko abfahren, die sich auf den unzähligen kleinen Frames gegen die Scheibe drückt, damit dieser anfängt sich zu bewegen? Sind seine Schritte noch zu hören, auch wenn der Film sich hier im langgezogenen Ruhezustand befindet?

daadgalerie, Albertina Carri: Cine puro, Di.–So. 12–19 Uhr, bis 6. 3., Oranien­str. 161

Sinnbild des Suchens

„Cinema puro“ ist die erste Ausstellung der argentinischen Regisseurin und Künstlerin in Europa, die 2021 Fellow im Berliner Künstlerprogramm des DAAD war. Es geht in ihren Film- und Soundinstallationen um weit mehr als darum, den Film in sein Wesentliches zu zerlegen oder in seinen mechanischen Einzelteilen zu betrachten.

Auch wenn allein die Farbflächen in Rot-, Grün- und Blautönen, die ausrangierte Filmprojektoren hier auf die Wände werfen, mit ihren abgerundeten, etwas entrückten und ausgefransten Rändern fesselnde Bildfelder erzeugen, die dazu einladen, den eigenen Blick in Fragen zu tauchen.

Bewegung und Stillstand sind hier Themen der filmtechnischen Art, des Kunstfilms, aber auch von persönlichen Familiengeschichten, die, wie auch in Albertina Carris filmischem Werk, stets eingebettet in politische Zusammenhänge sind. Ein weiterer Projektor wirft den Schriftzug „presente“ an die Wand. Die Opfer der argentinischen Militärdiktatur, die in den 60er und 70er Jahren verschwanden, darunter auch Carris Eltern, werden auf diese Weise ins Jetzt geholt. Die unzähligen Filmstreifen, die nie als fertige Filme gezeigt wurden, werden zu einem Sinnbild des Suchens, zu einem Archiv der Abwesenheit.

In der Ton- und Videoinstallation „Punto impropio“ (Der Uneigene Punkt) im hinteren Teil der Ausstellung ist es wieder die Tonspur, die sich selbstständig macht. In Briefen der Mutter an ihre Töchter, deren papierne Fasern in einem projizierten Kreis auf dem Boden umher flackern, sind Buchempfehlungen zu hören.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Die Satzzeichen ihrer Briefe werden von der Off-Stimme mitgelesen: „Question mark“, „Full Stop“. Zwischen dem Insistieren auf Texte und Beziehungen, die die Kinder stärken mögen, schweben so die Spuren eines Sorgens und Vermittelns inmitten der Unmöglichkeit mit.

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