Filmfördermittel und andere Kino-Storys: Streamingdienste bedrohen das Kino

Das Medienboard Berlin Brandenburg vergibt viele Millionen Euro an Filmfördermitteln. Produziert wird in Berlin jedoch eher für für Netflix und TV.

Der Schriftzug Kino ist an der Fassade vom derzeit wegen des Lockdowns geschlossenen Kino International in der Karl-Marx-Allee in Mitte zu sehen

Die Zukunft des Kinos? Eher wolkige Aussichten … (hier ein Teil der Fassade des Kino International) Foto: dpa/Jens Kalaene

Auf kinokompendium.de findet sich eine lange Liste von Berliner Kinos, die dichtgemacht wurden, und sie ist nicht einmal vollständig. Gleichzeitig verkündet das Medienboard Berlin Brandenburg, es habe 2021 eine Rekordsumme an Filmfördermitteln vergeben: 33,6 Millionen Euro. Und mit 6.000 Drehtagen lag man um 300 Drehtage über dem Wert von 2019. Für das Medienboard resultiert daraus „eine Vollbeschäftigung in der Filmbranche“. Mit mehr als 50.000 Arbeitsplätzen sei die Filmindustrie ein „wichtiger Jobmotor in Berlin-Brandenburg“.

Sie produziert jedoch nicht unbedingt für Kinos, sondern unter anderem für Netflix und Fernsehen. Wir müssen die Leute wieder mehr ins Kino locken, meinte der Regisseur Detlev Buck anlslich der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2022. Die Filmwissenschaftlerin Morticia Zschiesche schrieb in der taz: „Streamingdienste verschärfen die missliche Lage des Kinos. Um die Filmkunst zu retten, ist politisches Umdenken dringend geboten.“

Das Kino hatte seine letzte große Zeit in der Studentenbewegung, als die engagierten Filmemacher aus Italien, Frankreich, Jugoslawien, der UdSSR und der BRD den Linken mit Bildern und Geschichte(n) zuarbeiteten. Damals zog Arztsohn Gerhard in unsere WG, er studierte Germanistik, konnte aber nicht mehr zur Uni gehen, weil er menschenscheu geworden war. In unserer Wohnung nahm seine Sozialangst noch zu. Er schlief viel, frühstückte erst, wenn alle aus dem Haus waren, und war bald nur noch nachts auf. Wir sahen ihn kaum.

Er tat uns leid, aber irgendwann rappelte er sich auf – und ging ins Kino. Im Dunkeln störten ihn die Zuschauer nicht. Von da an ging er immer öfter ins Kino, meist in die „Spätvorstellungen“ nach Mitternacht, die es damals in Westberlin noch häufig gab. Mit diesem „Visual Turn“ wurde der gescheiterte Germanist zum Cineasten, zu einem Filmkenner und Genauhingucker. Nachdem er eine Anstellung in einem Programmkino bekommen hatte, zog er aus der WG aus.

Im „Club der Cineasten“

Eine andere Cineastengeschichte veröffentlichte Morticia Zschiesche 2021: „Die kleinen Leute gehen ins Kino“. Der Titel erinnert an Roland Barthes’ Bezeichnung des Kinos als „Couch des Armen“ und an Siegfried Kracauers Aufsatz „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ (1928). Zschiesches Cineastin heißt Viktoria. Sie hat einen Aufstieg aus der Arbeiterklasse hinter sich – nun verheiratet mit einem Chefarzt und kinderlos. Dessen ungeachtet verbindet die 40-Jährige ihre Kinoleidenschaft mit einer Reihe von Liebschaften mit filminteressierten Männern.

In ihrem „Club der Cineasten“ wird bedauert, dass „die Jüngeren“ nicht mehr ins Kino gehen. Viktoria engagiert sich im „Kampf gegen die Schließung eines Kinos“, aber eigentlich ist ihr Leben „perfekt“: ein toleranter Ehemann und tolerante Liebhaber. Ihren Ehering nimmt sie trotzdem ab, wenn sie nach einem Kinobesuch noch mit jemandem ins Bett geht. Doch dann trennt sie sich überraschend von ihrem Mann und zieht aus.

Zum Geldverdienen sichtet Viktoria nun nächtens Filme und schreibt Untertitel dafür. Richtig glücklich wird sie jedoch erst, als es ihr gelingt, „einen Beamer in Gang zu setzen“, sodass sie fortan „nicht mehr vor die Tür gehen“ muss und sich die „abseitigen Filme direkt an ihr Bett streamen“ kann.

Beide haben einen befriedigenden Job in der Filmbranche gefunden: Gerhard, indem er aus dem Bett fand, und Viktoria, indem sie es ins Bett schaffte. Der Unterschied: In den 1970ern des „Kinobooms“ interessierten Gerhard die politischen (antikapitalistischen) Filme, das „reichhaltige Erbe“, wie es der Spiegel 2009 nennt, während Veronika im heutigen „Kinosterben“ vor allem „abseitige Filme“ goutiert, die wahrscheinlich nie ins Kino kommen, höchstens in ein TV-Programm im Dritten weit nach Mitternacht.

Es gibt inzwischen ein ganzes „LaborBerlin“ im Wedding, in dem analog das produziert wird, was die Filmwissenschaftlerin vielleicht als „abseitige Filme“ bezeichnen würde. Das „LaborBerlin“ ist ein Kollektivprojekt, gelegentlich zeigt es eine Auswahl von Kurzfilmen in ausgesuchten, aber schwer zu findenden „Locations“.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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