Über Reisende der Weltrevolution: Planetarisierung statt Globalisierung

Unser Kolumnist klärt auf: Was das „WestEuropäische Büro“ der Kommunistischen Internationale mit Berlin zu tun hat. Und welche Rolle Frauen spielten.

Ein Blick über die Karl-Marx-Allee zeigt viele Wohnungen

Hier könnte man ganz easy konspirativ absteigen: die Karl-Marx-Allee mitten in Berlin Foto: dpa/Annette Riedl

Lange vor dem amerikanischen „WORLD-WIDE-WEB“ gab es ein russisches global operierendes WEB – und zwar in Berlin: das „WestEuropäische Büro“ der Komintern (der Kommunistischen Internationale), die sich dort 1927 niederließ. Es ging im WEB darum, dass die KPs weltweit unter der Führung der KPdSU eine „Weltpartei“ bilden, wie die Schweizer Historikerin Brigitte Studer das bolschewistische Ziel in ihrer „Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale: ‚Reisende der Weltrevolution‘“ (2020) nennt.

Die „Moskauer“ ließen sich ihr „Büro“ in der Wilhelmstraße, getarnt als Verlag, jährlich Millionen kosten. Die Bezahlung der vielen Emissäre, Instrukteure und Revisoren geschah meist mit Diamanten, die in Berlin in Dollar „umgerubelt“ wurden.

In „Klein-Moskau“ – wie Berlin genannt wurde – hing das WEB mit der Roten Hilfe, der Liga gegen den Imperialismus, der sowjetischen Botschaft Unter den Linden und der KP-Zentrale am Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) zusammen. „Die Topografie der Stadt war von konspirativen Wohnungen und Absteigestellen übersät“, schreibt Studer. Dazu gehörten auch die Domizile des Medienkonzerns von Willi Münzenberg, den ihm die Kom­intern finanzierte: immer wieder neue Zeitungen, Filme, Bücher, Werbekampagnen und internationale Konferenzen.

Freiwillige Helfern aus bürgerlichen Milieus

Für die meisten „Reisenden der Weltrevolution“ galt: „Häufige Wohnungswechsel waren die Regel. Oft kamen sie bei Genossen oder Sympathisanten unter oder wohnten in Untermiete bei freiwilligen Helfern aus bürgerlichen Milieus.“ Münzenberg mietete sich mit seiner Freundin Babette Gross in einer Villa in den Zelten 9a ein (heute John-Foster-Dulles-Allee 10), die dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld gehörte. In der Dessauer Straße 2 eröffnete der „‚Klub Roter Stern‘ der Berliner Sowjetkolonie“, die nach 1922 so schnell wuchs wie nach Auflösung der Sowjetunion 1991.

Die Verbindung Moskau–Berlin war bereits 1922 mit dem Vertrag von Rapallo intensiviert worden. Beide Länder durchbrachen damit das Embargo der Westmächte, das diese gegen Deutschland wegen „Kriegsschuld“ und gegen Russland wegen unverbesserlichem Kommunismus verhängt hatten.

Erster Leiter des WEB wurde der Instrukteur der Komintern-Exekutive Dmitri Manuilsky. „Neben Sekretärinnen und Stenographinnen (Maschinistinnen genannt) arbeitete eine ganze Reihe kommunistischer Funktionäre für das Büro,“ schreibt Studer. 1929 wechselte das Sekretariat der Balkanföderation von Georgi Dimitroff von Wien nach Berlin. Es entstand ein „dichtes Koordinations- und Supervisionsnetzwerk“, das jedoch immer wieder zerrissen wurde, weil die „fremden Wühler“ der Komintern inhaftiert oder erschossen wurden und Aufstände scheiterten – u.a. in Hamburg und Shanghai. Über letzteren schrieb Bertolt Brecht das Lehrstück „Die Maßnahme“.

Konspirativ tätige Frauen

Die „Delegierten und Abkommandierten“ erhielten je nach Land zwischen 120 und 170 Dollar im Monat, dazu Spesen, so hatten sie etwa „Anrecht auf Fahrten in gepolsterten Waggons“. Im WEB arbeiteten überraschend viele Paare. Einige der in vielen Ländern konspirativ tätigen Frauen wurden berühmt: Olga Benario, Margarete Buber-Neumann, Tina Modotti, Charlotte Stenbock-Fermor, Ruth Fischer: „Kosmopolitische Intelligenz“ nennt Studer sie. Ebenso berühmt wurde die Zeitschrift Inprekorr, die 188 Korrespondenten in 31 Ländern hatte. „Während der WEB-Mitarbeiterstab mehrheitlich aus früheren Arbeitern bestand, verfügten die Redakteure in der Regel über eine höhere Schul- oder Berufsausbildung.“

Nachdem sich die Lage in Europa beruhigt hatte, wandte sich das WEB dem Osten zu, China wurde „zum neuen Hotspot der Weltrevolution“, die Komintern plante eine „antikoloniale Weltorganisation“ für den „Kampf gegen den Imperialismus“, die Münzenberg mit einer „internationalen Arbeiterhilfe“ realisierte.

Aber dann gewannen die Nazis die Wahlen in Deutschland, die KPD brach „kampflos“ zusammen, die Kommunisten flüchteten ins Ausland, vor allem nach Paris und „nach Hause“ – nach Moskau, ihr „letzter Großeinsatz“ erfolgte 1936 im spanischen Bürgerkrieg. 1943 wurde das weit gespannte „Netzwerk gegen Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus“ von Stalin aufgelöst. Er beendete ein „welthistorisches Experiment“, mit professionellen Revolutionären eine „globale Revolution herbeizuführen“.

Inzwischen geht es nicht mehr um eine globale, sondern um eine „planetarische Revolution“, wenn man Dipesh Chakrabarty in seinem Buch „Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter“ (2022) und Bruno Latour (im Nachwort) folgt.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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